Als ich mir die Scheibe zum ersten mal reingezogen habe, kam mir augenblicklich eine Empfehlung in den Sinn: Jungs, nehmt erst einmal ein paar Beruhigungspillen und dreht um ein paar Grad runter. Zuerst.
Einen roten Faden in dem effektgeladenen, schrill und vor musikalischen Ideen fast überquellenden Album konnte ich vorerst nicht ausmachen. Irgendwie schien von allem etwas dabei zu sein. Red Hot Chili Peppers auf Speed, acidschwangere Erleuchtungen aus Jimis Nachlass und richtig viel Zeppelin-Feeling. Alles zusammen in buntem progressiven Gebräu, aus dem in "Streetja Man" sogar ein floydsches "Echoes"-Gestrüpp entwächst. Meine Herren.
Aber wenn man nach ein paar Durchläufen anfängt, etwas besser durchzublicken, dann wachsen die Songs in den eigenen Gehirnwindungen und man fühlt förmlich, dass da jemand gekommen ist, der uns wirklich etwas zu sagen hat. Man sollte "No Rhyme Or Reason" wie einen Fleckerlteppich betrachten, passt ja bei der Herkunft der Band nahe Innsbruck auch thematisch ganz gut. Nimmt man die Songperlen einzeln und für sich, dann schnackselt es in der Rübe, dann erschließen sich die mitreißenden Arrangements, die ganz nebenbei erstklassig produziert und aufbereitet wurden.
Allein die spacigen Einflechtungen in "H8" zeigen ein fast schon beängstigend treffliches Gefühl für Sounds und Reflektionen, eben nicht nur für Vollgasmusik. Ja, man muss mit einem breiten Spektrum an Aufmerksamkeit ausgestattet sein, um alle Nuancen des Albums von Mother’s Cake aufnehmen zu können.
Hektische Drums, dröhnender Bass, krasse Breaks und schriller Gesang mit einer aggressiv auskeilenden Gitarre, so knallt uns der Titelsong "No Rhyme Or Reason" um die Ohren. Musik, für die man einen Energiepass braucht. Das wiederholt sich übrigens in dem schon vorab als abgefahrenes Video produzierten "The Killer". Dass die Jungs auch in der optischen Umsetzung echte Maßstäbe setzen können, konnte man bereits in der irren, von David Hölzl so genial umgesetzten bildlichen Bearbeitung von "Void" nachvollziehen, eine Nummer aus dem Vorgängeralbum, die über Crowdfunding finanziert wurde. Da war ich übrigens auch dabei.
"Black Roses" ist wieder so ein Bekenntnis zu den düsteren Gelüsten tief in einem selbst, wie wir es von "Love The Filth" schon kennen. Ein wildes, klassisch schönes Solo schenkt uns Yves, um seine leidenschaftliche Position zum Thema zu zeigen.
"Now Or Never" bringt uns wie viele andere Songs ein schönes Break mit anschließendem, von den Drums getriebenem, hypnotischen Inferno, da reißt es mich echt aus den Schuhen. Jeder Song scheint in sich durch alle möglichen Stimmungslagen laufen zu müssen.
"The Sun", schöne schlichte Hooks, die auch von den Peppers stammen könnten, die immer wieder Verschnaufpausen nehmen, mal fast schon jazzig angehaucht, dann wieder klassisch progressiv – hier geht es hin und her, schneller als die Polizei erlaubt.
Und dann, "Streetja Man". Ein geiles Gitarrenintro wie aus den Siebzigern, verdammt, das Thema weckt irgendwie Assoziationen an Deep Purple, während die Gestaltung eher bluesig aufmacht. Die Gitarre entströmt dem Dunstkreisen eines Stevie Ray Vaughan, Ives Gesang kommt schräg und zurückgenommen, allmählich gleiten wir in einen Sog aus Effekten, der nun wirklich das schon zitierte Pink Floyd-Epos "Echoes" vom legendären "The Meddle" streift. Pure Soundspielereien zwischen düsteren Ausritten in Welten voller Angst und Bedrohung, aufgelöst mit vereinzelten Friedensangeboten aus rhythmischen Vertrautheiten und kurzen warmen Gitarrenverlockungen. Eine Reise durch den Kosmos eigener Alpträume.
Bleibt am Ende die alles entscheidende Frage: Sind die ausufernden stilistischen Exkursionen nun zu viel für einen einzelnen Silberling? Der Vorgänger "Love The Filth" war für meinen Geschmack ein wenig überfrachtet und thematisch überladen, vielleicht sogar zu sehr konstruiert in dem Bemühen, dem Rest der Welt möglichst deutlich zu beweisen, wie 'rough ’n tough' man ist. Dabei hat die Band es ganz sicher nicht nötig, überhaupt irgend etwas zu beweisen, da brodelt ein rockmusikalischer Vulkan unter der Nordkette, der längst vor dem Ausbruch steht – wenn das Spektakel nicht längst schon begonnen hat. Und mal ganz ehrlich und um ein fieses Beispiel aus den beheimateten Bergen zu bemühen: Ob ein böser Bengel des nachts auf der Alm die bedauernswerte Gemse Grete beglückt oder ein braver Bube morgens Omis Katze aus dem Baum rettet – wenn juckt das, wenn der Bursche geile Musik macht? Das mit dem Hörnertier ist übrigens nicht ganz ernst gemeint, ich hab bekanntermaßen einen Hang zu Übertreibungen, um meine Gedanken besser zu verdeutlichen.
Vielleicht ist die wirklich enorm bunte Vielfalt der Musik aber doch den einzelnen Charakteren der Musiker geschuldet. Ich hab sie 2016 einmal live gesehen und war völlig beeindruckt, welch ungeheure Bühnenpräsenz diese jungen Leute bereits präsentieren. Das wilde, irgendwie zappelig schrille Auftreten des sehr charismatischen Yves und die eher verwegen düstere Erscheinung der Rhythmusfraktion mit Jan und Benedikt finden sich ganz ausgeprägt auch in den Songs und dem Konzept wieder. Wenn’s denn so entstanden ist, dann verdienen Mother’s Cake einen Preis für wirklich beeindruckende Authentizität und Aufrichtigkeit. Hauptsache ist, dass dieses 'we love the filth-Motto' keinen Marketing strategischen Erwägungen entwächst, dann wär’s ein völlig falscher Weg und ärgerlich obendrein. Wer soll das als Außenstehender schon beurteilen?
Mothers Cake vereinen die technische Brillanz von Bands wie The Brew mit einem schier überbordenden kreativen Geist. Da wo andere in ihrem eigenen Sud herum brutzeln, köcheln sie völlig neue Kulminationen abgefahrenen Geschmacks, flambieren sich sozusagen selbst in höhere Aggregatzustände. Feinschmecker für ausgefallene Arrangements auf Basis erstklassiger Rock ’n' Roll-Arbeit werden bei diesem Menü mit der Zunge schnalzen – und vielleicht sogar süchtig werden. Ich möchte fast darauf wetten, dass die Band in ein paar Jahren immer noch in großen Hallen Europas zu sehen sein wird. Dann aber nicht als Support. Sie haben das Zeug zum Headliner, für einen modernen Zeppelin – oder so etwas ähnliches. Wenn sie auf dem Boden bleiben, ihren Weg gehen, ohne über die Ziele hinauszuschießen.
Line-up Mother’s Cake:
Yves Krismer (guitar, vocals)
Benedikt Trenkwalder (bass)
Jan Haußels (drums)
Additional Musicians:
Andreas Haslacher (keyboards)
Matthias Bartolomey (cello)
David Furrer (guitar, vocals, percussion)
Alex Tomann (backing vocals)
Tracklist "No Rhyme Or Reason"
- Nor Rhyme Or Reason
- H8
- Black Roses
- Now Or Never
- Big Girls
- The Sun
- Streetja Man
- The Killer
- Enemy
- Hide & Seek
- Isolation
Gesamtspielzeit: 55:36, Erscheinungsjahr: 2017
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