Eigentlich habe ich gerade ein Auftragsprojekt auf dem Tisch, doch dann kam für mich überraschend die Ankündigung der Tiroler von Mother’s Cake dazwischen, ihr verloren geglaubtes, prähistorisches Kurzalbum wiederentdeckt und auf Silberling gebannt zu haben. Ich folge dieser außergewöhnlichen Band (fast) von ihren frühesten musikalischen Verlautbarungen und habe mit dem Erstlingswerk, Creation’s Finest, damals mein Herz an sie verloren. Ihre Spurensuche nach den eigenen Anfängen möchte ich mir nicht entgehen lassen. Heute liegt die schöne schwarze Box mit goldenen Lettern und Handsignierung in der Version '008' von 100 für mich bei der Poststation bereit, Grund genug, trotz Fußball, Tour de France und anderer Platten ein wenig näher einzusteigen.
Man kann viele gute Dinge über Mother’s Cake verbreiten – zu ihren größten Vorzügen gehört die Tatsache, dass sie niemals wirklich einzuordnen sind. Sie entziehen sich allen Klischees. Wann immer Du anzudocken glaubst, überrascht Dich ein perfekter Stilwechsel. Das zitierte erste Album wurde tatsächlich von einigen einschlägigen Händlern anfangs in der Rubrik Progressive geführt. Wahrlich ein bisschen gewagt. Das stimmt zwar irgendwie, aber weitgehend doch nicht! Progressive Songstrukturen sind unzweifelhaft vorhanden, aber das Herz der Musik schlug von Beginn an zwischen funkigem Blues und psychedelischem Stoner. Dazu trägt die Rhythmusfraktion einen sehr prägnanten und perfekt abgestimmten Background bei. Und ein inspirierender Taktgeber für die Musik unserer österreichischen Freunde war aufgrund der Gitarrenlastigkeit wohl auch ein Herr, der schon lange nicht mehr unter uns weilt, da komme ich noch drauf.
Überschäumend sprühende Energie, wilde Rhythmus-Eskapaden und eine knackig krachende Gitarre unterstützen eine Art Heavy-Funk mit Yves' schrill empathischem Gesang. Bluthochdruck-Musik von Anfang an. "Death In The Stars" zeigt die kernige Seite der Jungs, wild, ausufernd, aber irgendwie auch cool kontrolliert. Benedikts Bass erscheint mir ab und an wie eine Gletschermuräne, die der Gitarre den Weg ebnet und Jans Drums geben den erodierenden Anschieber. Geile Musik zur Geröll-Lawine!
Mit "Realitricked Me" gibt es eine frühe Version eines echten Hammers vom ersten Album, nur ein wenig roher und erdiger. Ein geiler Song, den die Band auf ihrem ebenfalls früh und nur als LP erschienenen Livealbum, "Off The Beaten Tracks", aufgenommen hat. Hier jammen die drei Herren aus Tirol sehr basisorientiert und entspannt. Groovende Lines kulminieren mehr und mehr und spätestens jetzt sollte der irritierende Mantel des Prog abgeworfen worden sein. Der dreckig bluesige Ausstieg zeigt schon, dass man die Band nicht zu früh in irgendeine Schublade stecken sollte.
Ich hab schon mehrere Artikel über Mother’s Cake verfasst, frage mich aber, ob ich jemals bislang auf die immer wieder auftauchenden Verwandtschaften zu den Chili Peppers hingewiesen habe.
"Puppets Of Disposition" eröffnet mit einer Phrasierung, die Yves auch live so grandios rüber bringt. Hier klingt es ein wenig nach Jimi, wenn der seine "Machine Gun" geladen hatte. Und dann entbrennen sie plötzlich am Ende einen Jam, wie er bei meinen Lieblingsmaultieren gerne gesehen würde. »Prog? Nö, datt iss cooler und driftender und funkiger Rock.«
Am Ende jammen sie sich noch einmal die Seele aus dem Leib, ausufernder als auf den nachfolgenden Platten. Der Schlag darf sich entwickeln, dem Bass gewährt man etwas ähnliches wie ein Solo. Die Rhythmen kochen und wechseln und wollen uns zum Abschluss ganz offensichtlich noch einmal ihre Haltlosigkeit beweisen. Sequenzen strömender Rockmusik driften in diese oder jene Richtung, nehmen mit, bleiben aber irgendwie immer beim Konzept. Alte Jam-Rocker wie ich sind hier besonders sensibilisiert. Und die Gitarre steuert wie einst der Käpt’n gegen Moby Dick.
Dass die Jungs Visionen haben, beweisen sie vielleicht am besten mit einem Live-Album im Kessel der Sprungschanze von Innsbruck. Mitten im Winter, nachts, bei sechs Grad Minus. Wo Helden den Berg hinunter segelten, die ich seit meiner frühesten Kindheit verfolge, obwohl ich ein doofer Flachländer bin, da spielt eine ambitionierte Band eine Art winterliches Pompeii – David Gilmour wäre bei den Temperaturen wohl nicht sehr motiviert gewesen.
Lassen wir uns nicht von den rhythmisch stilistischen Sprüngen und stilistischen Vielfältigkeiten auf eine falsche Spur führen. Schon damals, auf ihren ersten belegbaren Tonzeugnissen haben Mother’s Cake gezeigt, dass sie einen Plan haben, der sehr viel weiter reicht, als viele Kritiker es ihnen zusprechen wollen.
Ich weiß um die Ungerechtigkeiten im internationalen Musikgeschäft und könnte eine Menge Bands benennen, die mit den richtigen Kontakten und passenden Bookern längst aus dem Underground in höhere Sphären gedrungen wären. Es bedarf eigentlich nur eines einzigen, überraschenden Ereignisses, um eine Band wie Mother’s Cake weit nach vorne zu spülen.
Sie haben die Vintage der Rival Sons oder ähnlicher Bands und dazu die Kreativität aus eigener Klasse und den Mut, ausgelatschte Wege ein wenig zu verlassen. Sie haben das Zeug, ganz weit zu kommen.
Und das hatten sie schon damals, als sie ihre ersten Gehversuche im Studio hinterließen. Mit der "Lost EP" bekommen wir ein Stück Zeitgeschichte der Band und ich frage mich nach wie vor, wann sie endlich für die größeren Bühnen entdeckt werden. Es ist nur noch eine Frage der Zeit!
Line-up Mother’s Cake:
Yves Krismer (guitar, vocals)
Benedikt Trenkwalder (bass)
Jan Haußels (drums)
Tracklist "The Lost EP":
- Death In The Stars
- Realitricked Me
- Puppets Of Disposition
- Fame’s Decision
Gesamtspielzeit: 32:10, Erscheinungsjahr: 2019
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