Irgendwie fasse ich es nicht, dass Muse bei RockTimes noch nicht angekommen ist oder ignoriert wird! Oder doch? Ich muss gestehen, dass auch mir Muse erst seit knapp einem Jahr bekannt geworden ist. Ein Bandkollege kam eines Tages an und präsentierte mir den Muse-Titel "Psycho" – und es hat Wums gemacht! Seitdem habe ich mich mit Muse befasst, ihre Alben durchgehört, eine Vielzahl von Konzerten auf YouTube angesehen. Kurz, ich bin ein Fan geworden!
Nun, ganz einfach für einen Classic-, Hard- und Blues Rock-Liebhaber ist mir das nicht gefallen. Denn was Muse in ihren Songs zusammenbaut, das ist eine schon ungewöhnliche, gewöhnungsbedürftige Mischung von Stilen und Stilelementen. Das geht von Elektro-, Synthie-Rock-Pop, über Klassikanleihen bis zu Elementen und Tönen, die uns Älteren aus der klassischen Rockwelt, gar aus alten Surf-Rockzeiten, und der neueren Rockwelt sehr bekannt vorkommen. Ich höre da Queen, ich höre Bowie, ich höre Doors und Anleihen von Hendrix, natürlich auch Radiohead oder Talking Heads, auch Bekanntes aus dem Alternative Grunge oder Anleihen aus dem Metall, inclusive disharmonischer Töne und schräger Harmonien. Alles aber nicht als schierer Aufguss, sondern als eine sehr elegant und neu zusammengesetzte Mixtur. Hinzu kommt die außergewöhnliche Stimme des Sängers und Kopfs des Trios. Matthew Bellamy besitzt einen beachtlichen Stimmumfang und fällt mitten in den Songs in hohes, manchmal schluchzendes Falsett, um danach wieder ’normal' weiter zu singen. Und: es sind keine Banalitäten, die die Songtexte der Band ausmachen, sondern oft sehr lyrische, nachdenkliche, philosophische und politische Gedanken, die Bellamy dort verarbeitet hat. Keine gothischen Mythen, Gewalt- oder das Dunkle und Böse beschwörende, neuheidnisches Geschwurbel.
Wer ist Muse? Wie gesagt, die Band agiert als Trio, und zwar in sehr klassischer Rockbesetzung: Gitarre, Bass, Drums. Zweifellos ist dabei Matt Bellamy der Mastermind des Trios: als Songschreiber, als Frontmann mit Gesang, Gitarre und bisweilen Keyboards. Er spielt stellenweise auch sehr virtuose Läufe, bringt bekannte Riffs und Anspielungen in die Live-Versionen der Songs ein und zeigt nebenbei oft, dass er alle gängigen Techniken auf der E-Gitarre beherrscht. Wobei er sicherlich nicht als Gitarrero gelten will.
Bellamy kennt seine Mitstreiter seit ihren gemeinsamen Schultagen in der englischen Stadt Teignmouth. Chris Wolstenhome spielt einen markanten, von Verzerrer, Fuzz- und Synthesizer-Effekten unterstützten Bass, der durch ausgeprägte Läufe oft ein tragendes Gerüst der Songs bildet. Dominic Howard wiederum liefert die heftigen Beats auf den Drums und erinnert mich bisweilen an Keith Moon. Da die Songs der Band in den Studioversionen bisweilen sehr komplex aufgebaut und instrumentiert sind, wird das Trio bei Auftritten meist durch einen Keyboarder unterstützt. Manchmal fügen sich auch fertige Zuspielungen aus der Konserve in die Live-Präsentationen ein. Ganz abgesehen von den visuellen Showelementen, die zumindest seit zehn Jahren ihre Live-Auftritte auszeichnen.
Wie außergewöhnlich die oft als Konzept-Alben vorgestellten Titel der Band sind, kann man schon den seltsamen Albumnamen entnehmen. "Origin Of Symmetry", "Absolution", "Black Holes And Revelations", "The Resistance", "The 2nd Law", "Drones" und zuletzt "Simulation Theory" lassen erahnen, dass man offenbar versucht, Tiefsinniges einem Massenpublikum nahezubringen. Und in der Tat, wenn man sich die Texte der Stücke durchliest, dann merkt man, dass sich hier ein kluger, auch an George Orwell inspirierter Kopf Gedanken über sich, über Beziehungen, über die politischen Zustände oder potentielle Bedrohungen durch eine technisierte, computerbeherrschte Welt macht. Titelnamen wie "Thoughts Of A Dying Atheist", "Stockholm Syndrome", "Supermassive Black Hole" oder "United States Of Eurasia", "Resistane" und "Uprising" mögen das bezeugen. Speziell die politischen Nummern wie "Uprising" oder "Psycho" sind geradezu Hymnen geworden, die vom Publikum begeistert mitgesungen werden. Ich muss gestehen, dass ich mir vor meiner Bekanntschaft mit Muse überhaupt nicht vorstellen konnte, dass es heutzutage noch ein Massenpublikum gibt, das mit solchen Songs ansprechbar, ja richtig begeisterbar ist.
Ich möchte daher eine Empfehlung an diejenigen Rockfans aussprechen, die von Muse noch nie gehört haben: bitte richtet mal eure Augen und Ohren auf diese außergewöhnliche Band! Als Einstieg dienen sicherlich die großartigen Live-Videos, die man zuhauf auf YouTube findet. Für den traditionellen Rockfan empfehle ich die Tracks "Uprising" und "Psycho", letzterer übrigens mit einer klaren Anleihe des Riffs vom "Roadhouse Blues" der Doors. Und wenn das Interesse dann ein wenig geweckt wurde, sollte man sich mal eine komplette Show der Band reinziehen, etwa "Muse Live At Rock In Rio 2019", oder Videos vom "Glastonbury Festival 2010". Ich denke, dass für Neues aufgeschlossene Rockfans hier, wie ich auch, eine regelrechte Entdeckung machen können.
Auf eine Besprechung der einzelnen Alben des Trios möchte ich nicht weiter eingehen, sondern hier nur kurz als Diskographie aufzählen:
- Showbiz (1999)
- Origin Of Symmetry (2001)
- Absolution (2003)
- Black Holes And Revelations (2006)
- The Resistance (2009)
- The 2nd Law (2012)
- Drones (2015)
- Simulation Theory (2018)
Und wer sich dann weiter interessiert oder nur einzelne Songtexte nachlesen möchte, dem empfehle ich das gut gepflegte, englischsprachige Wiki zu Muse.
[Anmerkung der Redaktion:]
Sapperlot, da nehmen wir uns tagtäglich jede Menge Muse und müssen uns dann sagen lassen, uns fehlt Muse. Aber Carlo hat natürlich Recht und sicher haben Heerscharen von Lesern auch Bands im Ärmel, die uns fehlen. Es ist schier unmöglich, bei der Vielzahl alle Gruppen und Musiker im Index zu haben und daher ist es toll, auf diesem Weg Feedback zu bekommen und den Horizont zu erweitern.
Weiter so.
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