Für die meisten Blues-Fans war er nur 'Speiche'. Am 31. Mai hörte das Herz des Musikers Jörg 'Speiche' Schütze auf zu schlagen. Der Bassist und Mitbegründer der Blues-Band Monokel starb im Alter von 73 Jahren.
Noch vor einem Jahr stand er auf der Bühne, ehe ihn eine Krebserkrankung zum Aufhören zwang. Zu diesem Zeitpunkt gab es unter seiner Mitwirkung die Monokel Blues Band, während sich andere ehemalige Weggefährten der Band Monokel Kraftblues angeschlossen hatten. Eitelkeiten und Streit um Namensrechte hatten 1995 leider auch die Legende Monokel eingeholt.
Ihr Song "Bye bye Lübben City" war zu diesem Zeitpunkt längst Kult. Jörg Schütze beschrieb das Gefühl der Szene um dieses Lied vor ein paar Jahren so: »Es ist das Lebensgefühl der Fanszene. Für uns habe ich es als 'Dauerwoodstock' empfunden. Der Inhalt war der Gegenentwurf zum durchorganisierten DDR-Alltag.«
In einem Interview, das er mir im April 2016 im Vorfeld eines Konzerts im thüringischen Neustadt an der Orla gab, sagte er mit Blick auf die nahe Zukunft: »Blueserrente, gibt es die überhaupt?« Einmal Musiker, immer Musiker.
Das Konzert, das anlässlich seines 70. Geburtstags und der 40. Bandgründung stattfand, zeigte auf authentische Weise und in bester Manier, dass Bluesmusiker gar nicht anders können, als vor Publikum auf der Bühne zu stehen.
Durch Stefan Diestelmann traf Jörg Schütze 1976 mit Basti Baur und Peter Schneider bei einer Session zusammen. Sie suchten gerade einen Bassisten. Der Grundstock für eine neue Band in dieser Besetzung war gelegt. Kurze Zeit später hatte 'Speiche' bei einer Session mit Stefan Diestelmann Frank Gahler gehört und ihn als Sänger zu einer Monokel-Probe eingeladen. Die Band war geboren. Drei Monate später folgte der erste Bezirksleistungsvergleich mit dem ersten 1. Platz. Damit kam der Monokel-Zug ins Rollen.
Monokel waren Kult, so wie auch viele Konzertsäle im Osten Deutschlands.»In Thüringen habe ich an alle Spielorte gute Erinnerungen, Thüringen wurde unsere zweite musikalische Heimat«, erinnerte sich 'Speiche' später an seine zweite musikalische Wahlheimat zurück, die Autor und Musikwissenschaftler Michael Rauhut in seinem Buch "Das Kunden-Buch-Blues in Thüringen" in vielen Beobachtungen im Detail beschrieb.
Die Mitglieder der Blues- und Tramperszene galten immer als unangepasste Aussteiger. Sie hatten lange Haare und Bärte, trugen Jeans, Parka, Jesuslatschen, Klettis. Aber es ging stets friedvoll zu, wenngleich die Säle und die Open-Airs übervoll waren und Alkohol in Strömen floss. Die Blues-Szene war die längste Subkultur in der DDR, sie hat den Boden für die spätere Punker- und Rocker-Szene geebnet.
Wie aber konnten Monokel und die anderen Bands in schwieriger Zeit in der DDR vergleichsweise frei von staatlicher Kontrolle agieren? Auch hierzu befragte ich 2016 Jörg Schütze: »Monokel war in der DDR unter ständiger Kontrolle. Das Wissen, dass bei allen musikalischen Voraussetzungen kein Weg in die '1. Reihe' führen würde, wurde durch Spielverbote und andere staatliche Maßnahmen klar. Der staatlichen Kontrolle haben wir uns durch Eigeninitiative entzogen. Sprich: Alle Muggen wurden von uns selbst organisiert.«
Von 1976 bis 1989 spielte die Band praktisch eine Dauertour – jedes Wochenende an anderen Orten. Auch daran hatte 'Speiche' bis zuletzt Intensive Erinnerungen: »Die Zeit von 1976 bis 1989 war eine Dauertour und für mich – ich wiederhole mich gerne – ein 'Dauerwoodstock'. Ich habe etliche Filmrisse, aber woran ich mich erinnere, reicht für ein erfülltes Lebensgefühl, die Säle und Open-Airs waren immer ausverkauft. Wir waren die Stellvertreter der Bands, die nicht kommen durften – Skynyrd, Allman Brothers, Gallagher, B.B. King und so weiter. Und nicht zu vergessen, unsere eigenen Stücke."
Die deutsche Bluesszene hat einen ihrer authentischsten Vertreter verloren.
6 Kommentare
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Volkmar Richter
29. Januar 2021 um 10:05 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo kleine Geschichte zu Monokel,mein Kumpel und ich wollten in den Achtziger Angeln fahren. Auf dem Weg mit dem Auto eine Tramperin cool Reichsbahn Ledermütze … ansonsten schönes Fräulein. Wohin schöne? Nach Freiwalde… Watt machste da? Spielt Monokel … okay wir also los .. angeln konnten wir vergessen so lernten wir Monokel kennen.. aufm Rückweg nahmen wir noch den Schlagzeuger mit nach Berlin Marzahn der hatte kein platz im Band Wagen. Von da an waren wir Monokel Fans und bei vielen Konzerten
Ilka H.
4. Februar 2021 um 14:40 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Das sind doch Erlebnisse, die man nicht vergisst und die einem niemand nehmen kann.
Kathrein Merkel
14. August 2020 um 19:42 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ich lebe in Österreich und habe heute durch Zufall gelesen vom Tod von Speiche. Es tut weh. Ich war in den 80ziger oft bei Monokel. Ich weiß nicht wie oft. Und es war immer ein Hochgenuss und ein Erlebnis. Die Musik höre ich heute immer Internet. Sie wird immer zu mir gehören. Sie hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Und ein Anteil hat auch Speiche.
Ich danke dir Speiche.
In bleibener Erinnerung
Eine deiner vielen weiblichen Fans
Kathrein Merkel
14. August 2020 um 19:52 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ich habe heute erst vom Tod von Speiche erfahren. Ich lebe in Österreich.
Es tut immer weh, wenn uns solche Leute für immer für immer verlassen.
Ich war so vielen Konzerten in den 80zigern. Sie haben mich geprägt und zu dem gemacht was ich bin.
Und du Speiche, du bist ein Teil von dem.
Ich danke dir. Du lebst durch deine Musik weiter.
In bleibener Erinnerung
Eine deiner viele weiblichen Fans
Mario Keim
15. August 2020 um 20:13 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Kathrein,
danke Dir für Deine Zuschrift. Deine Zeilen sind heute noch so aktuell wie Anfang Juni, als wir alle vom Tod des Musikers erfahren mussten. Du sprichst sicherlich sehr vielen Menschen bzw. Fans aus der Seele, die die Zeit ähnlich erlebten. Mir war es ein Bedürfnis, diesen Nachruf zu schreiben, nachdem ich "Speiche" einmaö während eines Interviews als bodenständigen und bescheidenen Musiker kennengelernt habe und ihn im Anschluss auf der Bühne sah. Nochmals alles Gute an Dich und Deine Lieben, liebe Grüße in die Alpenrepublik. Bleibe uns gewogen und bleibe vor allem immer schön gesund!
LG Mario für das RockTimes-Team
Jörg Eichler
4. Juni 2020 um 19:29 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ein sympathischer Musiker. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich ihn bei Konzerten erlebt habe.