Kürzlich habe ich Ilka und Ulli besucht. Am Samstag-Morgen brachte der Postmann einen Brief mit einer CD, die keiner von uns zuordnen konnte. Begleitmaterial gab es keines, so musste Herr Google weiterhelfen und siehe da, das Projekt National Wrecking Company wurde dort als extreme Metal-Band angekündigt. Erste Töne aus dem Player konnten diese kühne Behauptung jedoch sogleich widerlegen, hier wird von Beginn an in herrlicher Tradition klassisch gerockt wie einst bei Jack Bruce & Friends – und zwar mit Klasse und mit Verve, was nicht verwundert, wenn man sich das Line-up näher anschaut. Musiker, die mit The Lizards, Cactus, Savoy Brown, Humble Pie und The Plasmatics gespielt haben, versprechen ein spannendes Konzept. Und wer gerade zufällig an der Quelle sitzt, der darf dann auch die Platte besprechen. Es war Liebe auf den ersten Ton!
Die Auseinandersetzung mit dem vor Spannung strotzenden Tonträger birgt aber noch ein weiteres Geheimnis, denn auf dem Cover sind nur zehn Songs ausgewiesen. Tatsächlich enthält die CD aber elf Nummern. Der Hintergrund dazu ist ein sehr trauriger. Bernie Tormé, der für Ian Gillan und Ozzy Ozbourne die Gitarre spielte, hat für das Nachfolgealbum "National Wrecking Co. II" als Gastmusiker mitgewirkt, kurz vor seinem Tod. Die Band hat daher wohl spontan entschieden, als Vorgriff auf das Nachfolgealbum und aus Respekt vor Bernies Kunst einen Song vorab noch kurzfristig mit auf das Erstlingswerk zu brennen, ein entsprechender Aufkleber auf dem Cover informiert darüber.
Ein murmelnd gurgelnder und pumpender Bass von Randy Pratt bietet die Basis zu einer Melange aus bluesig, funkig, jazzig hartem Rock, der von zwei stark konterkarierenden Gitarren und einem exzentrisch empathischen Gesang von einem Höhepunkt zum anderen getrieben wird. Ja, dieses Album wurde zu allererst auf dem Bass eingespielt, alles andere hängte sich daran an. Das ungeheure Vibrato oder Tremolo in der Stimme von Jimmy Kunes, der aufgrund der rhythmischen Basis sogleich die Texte schrieb, tobt leidenschaftlich durch die höchst professionellen Soundgebilde. Jesse Berlin nennen sie in Übersee ein Wunderkind an der Gitarre und der darf sich mit seinem kernig erdigen Stil permanent mit einem Altmeister des Fingerstyle, Phil Bader duellieren, sehr zur Freude des immer noch völlig überraschten Zuhörers. Wie heißt die Band noch mal?
Dabei bewegt sich die mitreißende Musik auf durchaus politischem Boden, denn die Texte befassen sich mit Themen unserer Zeitgeschichte und deren dunklen Begleiterscheinungen: »Das Album enthält einen vielfältigen Diskurs über den aktuellen Stand von Politik, Krieg, Religion und Gier. Der Blick aus unserer Sicht auf eine globale katastrophale klaustrophobische Dystopie. Es gibt Menschen an der Macht, die mit den mächtigen Industrien und Konzernen im Bett liegen …«. So beschreibt es Jimmy in einem Interview jenseits des großen Wassers. Musiker, die mit spielerischer Leichtigkeit die großartigen Stilmuster unserer Urväter aufgreifen und dazu noch etwas zu sagen haben, »boah äh«, würde man hier im Ruhrpott sagen, da kann ich nur meinen tiefsten Respekt vermitteln, zumal ich nicht nur das gezeigte Verständnis von Musik, sondern auch von dieser unserer Welt mit der Band teile.
Gleich der Auftakt mit "Supersonic" erweckt eine patinafreie Anspielung auf die "Mississippi Queen", so wie sie Leslie West und Felix Pappalardi damals mit Mountain vom Stapel ließen. Diese Musik wirkt wie aus der Geschichte abgeschöpft und ist doch erst in diesen Tagen ersonnen worden. Wen jucken Diskussionen über retrospektive Bezüge, wenn die Originale derart abgehen? Mitch Ryders herrliche Begleitband in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern kommt immer wieder mal in den Sinn, wenn sich das Album mit Vehemenz in die nächsten Songs bewegt. Auch dort gab es funky groovende, knallharte Riffs und Solo-Einlagen, man mag nur an das legendäre Rockpalast-Konzert denken oder auch die geniale, live im Studio eingespielte CD "Live Talkies". Zusammen mit den bereits zitierten Jack Bruce & Friends sehe ich hier die tiefsten Wurzeln und Verbindungen. Und wie bei beiden genannten Bezügen versteht es auch Jimmy Kunes, mit energetisch, aggressiv überschäumenden Vocals den Hörer mitzureißen. "Beast" gefällig?
Psychedelische Einbrüche warten in der Folge, intensiv ausgelebt in "Blood Moon Rising" – das Tempo hingegen bewegt sich immer im mittleren Bereich, man setzt voll und ganz auf Intensität und nicht auf Krawall. Die gedehnt bebenden Gesänge werden durch diesen irgendwie entschleunigten Flow hypnotisch verstärkt und umgekehrt, eigentlich eine perfekte Symbiose! Ein funkiger Jesus holt uns aus dem Drift. "Return To Jesus" dürfte mehr bedeuten als nur ein lässiger Refrain, wie schon gesagt, die Band geht mit allerlei gesellschaftskritischen Pfeilen im Köcher in dieses Album. Aber die geil gejammte Gitarre ist wirklich cool. Und es wird noch griffiger. "Praise Yourself" lässt abermals Erinnerungen an Lesley West aufkommen, die Orgel heult im Hintergrund und die schmissigen Riffs bringen uns in Stimmung, nur um eine abgefahren dahingroovende Sologitarre vor den Latz geknallt zu bekommen, die meinem Herrn und Meister Warren Haynes irgendwie auch gut zu Gesicht gestanden hätte. Ja genau, dieser Song klingt wie ein Outtake von "Revolution Come, Revolution Go". Yeah! This Could Be My Mule!
Das düstere "Whirlpool World" hingegen hat etwas von Black Sabbaths Riffs an sich, die ein wenig Weichspülung erhalten haben. Wilde Freak-outs auf der Gitarre und in der allgegenwärtigen Stimmgewalt halten die Stimmung und gehen in der Bedrohlichkeit des letzten Titels über: "End Of Days" klingt so, wie es der Titel verheißt. Schwer, tief und grollend pflügt die Rhythmusfraktion fast martialisch durch den Song und die Harmonien geben sich nicht die geringste Mühe, harmonisch zu klingen.
Und da wäre das Album eigentlich am Ende angelangt. Track elf ist aus den genannten Gründen mit an Bord und schließt dennoch inhaltlich stimmig an den morbiden Duktus der letzten Nummern an. Neuerliche Bezüge zu Black Sabbath liegen im ersten, getragenen Teil des Stückes nahe, immerhin steigt hier mit Bernie Tormé jemand ins Rennen ein, der wie schon erwähnt mit Ozzy zusammen gearbeitet hat. Über den eintönig schweren Riffs und den schräg psychedelischen Chorälen sprießen und kreisen die Licks, bis ein klares Break eine Abschluss-Sequenz einleitet, die ganz und gar nach Stan Webb klingt. Relativ abrupt und ein wenig überraschend endet der Song.
Leider muss ich darüber informieren, dass Jimmy Kunes in einem Interview in den Staaten auf die Frage nach möglichen Konzerten bekannt hat: »NWC sind im Prinzip ein Studioprojekt.« Hoffnung macht immerhin der verschmitzte Nachsatz: »Aber wer weiß!«
Diese so unverschämt cool jammende Band wäre auf der Bühne eine Offenbarung.
Hier bekommen wir genüsslich klassisch auf die Fresse, entspannt groovend und mit spielerischer Leichtigkeit und Eleganz – einfach zeitlos geil. Rockmusik lebt und sie besinnt sich ab und zu ihrer herausragenden Merkmale, auch und ganz besonders dort, wo man es nicht erwartet. National Wrecking Company nehmen den Faden auf, den einst ganz große unserer Zunft gesponnen haben und sie erweisen ihnen ein würdiges Erbe.
Ein veritables Meisterwerk!
Line-up National Wracking Company:
Jimmy Kunes (vocals)
T.C. Tolliver (drums #2, 5)
Scott Treibitz ( keyboards #6, 8)
Phil Bader (lead guitar)
Randy Pratt (bass)
Neil Cicione (drums)
Jesse Berlin (guitar)
Bernie Tormé (guitar #11)
Tracklist "National Wrecking Co.":
- Supersonic
- King Of All I See
- Beast
- Molotov
- Holy Creatures
- Blood Moon Rising
- Return To Jesus
- Praise Yourself
- Whirlpool World
- End Of Days
- …* (preview track from NWC II, "Overture/Mechanized Confusion")
Gesamtspielzeit: 58:56, Erscheinungsjahr: 2019 (Soundcloud 2018)
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