Wie man mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder hört und liest, hängt dem Amerikaner Neil Diamond nach wie vor der Ruf (bzw. das Gerücht) nach, ein Schnulzensänger mit starken Las Vegas-Zügen zu sein. Dabei können solche Behauptungen jedoch eigentlich nur von Leuten kommen, die sich noch nicht mit der Musik des am 24. Januar 1941 in New York City geborenen Diamond (und ja, das ist sein tatsächlicher Name) beschäftigt haben. Zugegebenermaßen kann sein Strahlemann-Image und Zahnpasta-Lächeln schon mal in die Irre führen und ihn unvorsichtigersweise, aber leichten Gewissens auf die Show-Bühnen von Vegas verfrachten, aber… da sind nach wie vor diese großartigen Songs und diese fantastische, keine Zweifel an den von ihr erzählten Geschichten zulassende Stimme. Der gute Neil startete nach einigen erfolglosen Singles in der ersten Hälfte der Sechziger eigentlich erst als Songwriter im Brill Building (New York City) so richtig durch. Nach einem ersten Album "The Feel Of Neil Diamond" (1966) hatten plötzlich auch andere Bands mit seinen Songs weltweite Nr. 1-Hits (u. a. The Monkees mit "I’m A Believer"). Der große Durchbruch gelang schließlich im Jahr 1973 mit dem 1972 aufgenommenen Live-Doppel-Album "Hot August Night".
1987 gab es auch schon mal die Fortsetzung "Hot August Night II", doch der Musiker wollte genau vierzig Jahre nach seinem ersten Live-Album wieder genau auf dieselbe Bühne in Los Angeles zurück, wo damals seine Karriere so richtig abhob. Und auch 2012 hatte es der Songwriter nach wie vor drauf. Diamonds Stimme kann man zwar nicht als spektakulär im eigentlichen Sinne beschreiben, aber es ist nach wie vor unglaublich, welche Kraft von ihr ausgeht. Ganz offensichtlich eine Kraft, die von ganz tief innen kommt. Die Vocals haben, selbst wenn oft leicht brüchig, eine ganz eigene Magie, die den Hörer direkt in den Song integrieren und ihn miterleben lassen. Die Texte haben es darüber hinaus ebenfalls ganz schön in sich. Liebes-Gesülze ist hier kaum zu finden, vielmehr geht es meist um sehr ernste und persönliche Themen wie beispielsweise innere Verlorenheit ("I Am… I Said"), Einsamkeit ("Shilo"), Alkohol-Missbrauch ("Cracklin' Rosie" und "Red, Red Wine") und manchmal einfach auch nur einzelne Szenen an einem stinknormalen Tag im Leben eines Mannes, die bei ihm eine wahre Emotionsflut auslösen.
Der zum Zeitpunkt dieser Aufnahmen 71-Jährige sparte natürlich nicht mit seinen ganzen Hits. "Sweet Caroline", "Forever In Blue Jeans", "Cracklin' Rosie", "Holly Holy", "Crunchy Granola Suite" und, und, und… Aber auch von ihm komponierte Tracks, mit denen andere Künstler kleinere bis riesengroße Erfolge hatten, lässt er nicht aus. Den Welt-Hit der Monkees aus den Sechzigern hatte ich bereits erwähnt, Deep Purple würdigten "Kentucky Woman" auf einem ihrer ersten Alben und UB40 machten Jahrzehnte später "Red, Red Wine" zu einem großen Erfolg. Erwartungsgemäß steht hier eine große Band inklusive Bläsern auf der Bühne, was die Tracks insgesamt natürlich ein bisschen runder erscheinen lässt. Glücklicherweise jedoch nie überladen, aufgesetzt oder gar verwässert. Das hat alles Hand und Fuß, wobei wahrscheinlich nichts auf dieser Welt – und ich wiederhole mich diesbezüglich gerne – diese Songs und diese Stimme ruinieren könnte.
Die Cleverness eines großartigen Songwriters zeigt sich oft in kleinen Dingen, die jedoch eine wahnsinnig große Wirkung haben. Zum einen verwendet Neil Diamond auffallend oft gar nicht mal so viele, dafür aber durchaus prägnante Worte in seinen Texten. Dafür setzt er gekonnt auf stetige Wiederholungen, ohne dass diese störend erscheinen, vielmehr bohren sie sich umso besser ins Kurz- wie auch Langzeit-Gedächtnis. Zum anderen versteht er es nahezu genial, gesangliche Pausen zu setzen und im exakt richtigen Moment die Worte zu bringen, die einen sowieso schon dramatischen Titel sogar noch spannender und emotionaler machen. Etwas überrascht war ich, dass "Song Sung Blue" nicht enthalten ist und ein bisschen traurig, das großartige "Dry Your Eyes" (das er auf dem Abschieds-Konzert von The Band, nämlich The Last Waltz brachte) hier nicht zu finden. Apropos The Band: Dafür, dass Diamond auch bei Rockmusikern sehr angesehen war spricht die Tatsache, dass kein geringerer als Robbie Robertson in den Siebzigern unbedingt ein Album ("Beautiful Noise" von 1976 sowie anschließend auch noch "Love At The Greek" von 1977) für ihn produzieren wollte und dies dann auch tat.
Wer Neil Diamond bisher noch nicht auf der Rechnung hatte, sollte unbedingt mal ein Ohr riskieren, denn neben den bereits genannten Stücken treffen u. a. auch "Brother Love’s Travelling Salvation Show", "Play Me", "Solitary Man", "Shilo", "Girl, You’ll Be A Woman Soon", "Cherry, Cherry" oder "Thank The Lord For The Night Time" voll ins Schwarze. Das dann doch etwas zu süßliche "Hello Again" oder auch "America" sind dabei lediglich zwei kleine Tropfen auf einem verdammt heißen Stein, die dem Rest des Materials überhaupt nichts anhaben können.
Im Januar 2018 brach Neil Diamond eine laufende Tour ab, nachdem er von einem Arzt mit der Parkinson-Krankheit diagnostiziert wurde. Auf der Bühne werden wir den Amerikaner deshalb wohl nicht mehr erleben, weshalb es umso schöner ist, diese DVD (und natürlich auch die CDs) genießen zu dürfen.
Line-up Neil Diamond:
Neil Diamond (acoustic guitar, lead vocals)
Alan Lindgren (keyboards)
Tom Hensley (piano)
Reinie Press (bass)
Ron Tutt (drums)
King Errisson (percussion)
Doug Rhone (guitars)
Hadley Hockensmith (guitars)
Don Markese (saxophone, flute, clarinet)
Larry Klimas (saxophone, harmonica, accordion)
John Fumo (trumpet, flugelhorn)
Arturo Velasco (trombone, euphonium)
Linda Press (background vocals, lead vocals – CD 2 – #5)
Julia Waters (background vocals)
Maxine Waters (background vocals)
plus The Orchestra
Tracklist "Hot August Night III":
- Overture
- Soolaimon
- Beautiful Noise
- Forever In Blue Jeans
- Love On The Rocks
- Hello Again
- September Morn
- Play Me
- Shilo
- Red, Red Wine
- You Got To Me
- Girl, You’ll Be A Woman Soon
- Thank The Lord For The Night Time
- Cherry, Cherry
- Kentucky Woman
- Solitary Man
- Glory Road
- Chelsea Morning
- I’m A Believer
- Happy Birthday Rose
- Cracklin' Rosie
- And The Grass Won’t Pay No Mind
- Pretty Amazing Grace
- We
- Stones
- You Don’t Bring Me Flowers
- Holly Holy
- Morningside
- Crunchy Granola Suite
- Sweet Caroline
- Sweet Caroline – Reprise
- I Am… I Said
- Walk Off
- America
- Brother Love’s Travelling Salvation Show
- I’ve Been This Way Before
- Walk Off
- Band Bows
- Audience Exit
DVD: Identisch mit den CDs
Gesamtspielzeit: 77:55 (CD 1), 64:47 (CD 2), 150:00 (DVD), Erscheinungsjahr: 2018 (2012)
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