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Nikolai Okunew / Red Metal – Die Heavy-Metal-Subkultur der DDR – Buch-Review

Der Buchtitel inklusive ein spätgeborener, doktorander Autor generiert in jedem DDR-sozialisierten und gelegentlich Luftgitarre mimenden Bibliomanen, der sich dazumal im Sympathisieren für hartglötzige Rockklänge und Lederkrachtener Denim-Couture obendrein als Brecher einer realsozialistischen Norm – sogenannter Heavys – selbst erfand, eine gewisse Skepsis. Alle primären Lese-Befürchtungen vor konfektionierten, wenngleich zeitarchäologischem Trockenfutter anstatt gelebter Geschichte jener, deren musikalische Wegweiser britische Hardrocker und spätere West-Metaller waren, sollten sich, dank Okunews anekdotischer wie auch Hippocampus-stimulierender Materie-Forschung, alsbald zerstreuen.

Der 1987 in Ost-Berlin geborene Historiker Nikolai Okunew gewährt uns in 335 Seiten plus 2000 Fußnoten abgefasster Akribie den Zugang seiner mit summa cum laude-gepreisten Dissertation "Red Metal: Heavy Metal als eine Subkultur der DDR" und hebt durch zahlreiche Dialoge mit Zeitzeugen, sodann ausgiebigen Sichten von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen 'Honecker-Republik', den Schleier der zweitgrößten-jugendlichen Subkultur.
Im leicht erfassbaren Schreibstil vervielfacht diese Erkenntnisse über jene vom »Schild und Schwert der Partei« als »negativ-dekadent« markierten Jugendgruppierung, deren gewichtiger Impetus vornehmlich urbane Riff-Gewitter sowie die Gemeinschaft, darüber hinaus unbestritten »das historischste Datum aller Daten«, der 4.Februar 1984, war.
Ein Dortmunder Großkonzert sowie die »emotionale Reise in die englischsprachigen Zentren der Heavy-Metal-Kultur« in der TV-Reihe 'RockPop in Concert' mit Iron Maiden, Judas Priest u.a. befeuerte, kraft suggestiver West-Medien, langmähnige Sehnsüchte im Mauerstaat und ließ »den Eindruck von Mangel« andernfalls deren findige Behebungspraxen wachsen.

Dieses Buch gräbt tief in den Aktivitäten der als »Gegenentwurf marxistisch-leninistischer« Moralvorgaben definierten Heavys im Verbund ihrer Musik, entwirrt das Paradoxon von staatlichen Duldungen und Schikanen, noch dazu rekonstruiert es, unterm einst politischen Radar, den Einzug härterer Klänge im ostdeutschen Medientrio "Radio-Kassette-Schallplatte".

Im realexistierenden Sozialismus vermochte die Parteiherrschaft jene nietenrasselnde Jugendbewegung, für die Heavy-Metal – im Gegensatz zum Vorgegebenem – »ein Sinn-und Lebensstilangebot« darstellte, schwer einzuordnen, allein der »ästhetische Ungehorsam« ihrer »Signen für Individualität und investierte Zeit«, also in rühriger Heimarbeit gefertigte Fan-Kutten plus typische Accessoires, trieb der Stasi Dorne in die Augen.

Erschöpften sich blühende Schwarzmärkte, Eigenrezeptionen und 'West-Tanten', suchten die vorrangig ihr »Menschenrecht auf Anpassung« gleich Arbeit wahrnehmenden Heavys den Heilsegen bei kostspieligen Pilgerfahrten ins westlichste Eldorado Ungarns, Budapest, um die begehrten Fanbibeln, Tonträger nebst Garderoben (verschlang eine Platte für 150-300 Ost-Mark, Metal Hammer für 50 Mark faktisch ein halbes Durchnittseinkommen), zu shoppen.

Dabei versprachen Konzertaktivitäten ihrer bis dato unerreichbar scheinenden West-Idole wiewohl personifizierten Glücksmomente in einen der 'Bruderländer', sei es zu Tausenden 1984 bei den Scorpions in Budapest oder 1987 Running Wild in Prag, wahrhaftige Segnungen.
Im umzäunten Mikrokosmos DDR hingegen verlangte das wachsende Publikum von einheimischen Metal-Bands, welche die Regeln undurchsichtiger Kontrollapparate und Einstufungskommisionen für die 'Musiker-Pappe' mit Tricks bestanden, nach authentischen Kopien sprich Nachgespieltem, um »ein Feeling zu erhaschen, selbst wenn es nur aus zweiter Hand war«.
Selbstredend amortisierten beispielsweise Bands namens Pharao, Merlin, Biest durch zunehmend »marktwirtschaftliche Archipele«, dazu die Gunst des Publikums, per se ihre Investitionen in teuer importierte sowie selbstgebastelte PA-Anlagen um die Konzertbretter »organisatorisch-qualifizierter« Provinzen zu bespielen.

Der Staatssicherheit, ungeliebtes 'Element' sowie »selten explizit politischer« Ost-Metal fristete »eine Existenz fernab der parteilichen Logik«, erwarb sich indes die Gunst des Regimes durch deutschsprachlich und ideologisch gebremste »leichtgewichtige Texte, die den Alltag junger Arbeiter thematisierten«, um gegebenenfalls mit Rundfunk oder Amiga-Produktionen honoriert zu werden.
Wenn auch zu limitierten Kompromissen mit der SED bereit, wie die 'volksnahen' Mundart-Rocker Formel 1, die sich »mit Doppelbödigkeit und vorsichtiger Kritik« durchs zensorische Territorium taktierten, derweil ihre 1986 im Kulturhaus der Stahl-und Walzwerker Hennigsdorf live mitgeschnittenen Konzerte auf Vinyl (Live Im Stahlwerk) pressen durften, stagnierten diese wie alle Republik-Metaller, in der zweiten Reihe und ohne Reisepässe.

»So’n kaputtes Haus, in dem er nicht leben will,
da gibt’s nicht viel, was ihn hält,
Ein Haus, in dem er nicht leben will,
da ist es kalt, er will raus. (18 Jahre sein,1985)«

Das mit Willkür geschwungene Damoklesschwert der Stasi schwang demungeachtet immer mit, so auch im Fall der Erfurter Oberstufen-Metaller Macbeth (zwischenzeitlich Caiman), deren Antikriegssong "Bomber" zuvor als 'progressiv' galt, allerdings nach einem von »extasehaften Ausschreitungen, aufheizend und in Darstellung ihres Genres aggressiv«, begleitetem Konzert 1986 im heimischen Stadtgarten, nun als 'kriegsverherrlichend' verorteter »Eigen-Sinn«, wirksam »liquidiert« wurde.
Die ganze Tragik gipfelte nach sporadischen Stasi-Repressalien in Frontmann Detlef Wittburgs Inhaftierung und späterem Suizid. Andere hingegen, wie die 'verflochtenen' Berliner Trasher Blackout und Disaster Area, die sich klar von der DDR abkapselten und von Knebelungen nach Fluchtversuch, Ausreiseanträgen respektive langfristigen Karrieblockaden geplagt wurden, setzten ihr Ziel im Westen.

Anfängliches Bemühen der ideologisch-gefesselten Jugendhörfunk-Programme DT 64, Stimme der DDR, ebenjenen radikalen Druck nach westlichen Härtegraden zu wiederstehen  musste alsbald kapitulieren. So setzte Leo Gehl in seiner Wunschsendung 'Notenbude' als Pionier der 'Heavy Stunde' den Nucleus für musikalisch härtere Brocken im roten 'Staatsradio', seine Nachfolger Matthias Hopke und später Jens Molle sogar, avancierten ab 1986 mit 'Tendenz Hard bis Heavy' zur Samstagsnachmittag-Pflichtveranstaltung für Mittschnitt-freudige Heavys.

Okunews tiefschürfende Erkenntnisse seiner Forschungsarbeit bescheinigt ebenjener weitestgehend autonom-unpolitischen, obschon »zwischen den Polen von Anpassung und Widerstand« wandelnden DDR-Headbanger-Subkultur ein hybrides Wesen.
Demnach scheinen, aus heutigem Blickwinkel, die sich ehedem »von der sozialistischen Sinnwelt zu entfernenden« Metal-Akteure, nicht immer bewusst, die Mit-Totengräber für eine korrodierende »Welt des Parteilichen« und deren kruden Kontrollmechanismen, gewesen zu sein.
Nikolai Okunews anschaulich bebildertes, griffig-investigatives sowie unterhaltsames Psychogramm einer sich selbsterfindenden Jugendkultur unter dem herrschaftlichen Bann von 'Hammer, Zirkel, Ährenkranz' hinterlässt bei genreinteressierten Lesern, zuweilen auch seinerzeit Betroffenen, ein Erweckungsgefühl.

Bildernachweise und Bilderrechte:

Von Oben nach Unten:
01: Von der Stasi konfiszierte und wahrscheinlich selbst hergestellte Utensilien von Heavy-Metal-Fans – Bundesarchiv,
MfS, BV Magdeburg, Abt. XX, Fo. 1655/9
02: Open-Air Konzert in Telz – Privatarchiv Claudia Bamberg
03: Disaster Area – Ole Reich
04: Bundesarchiv, MfS, BV Dresden, KD Görlitz, 70008, Bl. 34, 35, 36 und 37 (nicht im Buch)

Vielen Dank an den Verlag für die Genehmigung zur Veröffentlichung in diesem Beitrag.


Verlag: Ch. Links Verlag
Erschienen: Dezember 2021, 2. Auflage (Erstveröffentlichung: November 2021)
Taschenbuch, Seitenzahl: 352
Abbildungen s/w: 86, Abbildungen farbig: 31
Format: 16,5 x 23,5 cm
ISBN: 978-3-96289-138-1
25,00 Euro

Über den Autor

Ingolf Schmock

Als gebürtiges Mauerkind zudem frühzeitig mit westlichen Rock'n Roll-Ultrakurzwellen-
Oddyseen und Beatclub-Aufklärungen sozialisiert, galt mein musikalisches Verständnis
deren meist langmähnigen Aussenseitern. The Who, Small Faces, The Move...,später dann
Hartglötzer wie Black Sabbath, Deep Purple&Co., zu guter Letzt Schwurbel-Pioniere
ala Yes, Genesis, ELP...waren (sind) meine Helden sowie Seelenklempner.
Heute liegt mein Hauptaugenmerk (auch Hierzulande) auf sowohl handgemacht Rockistischem
mit Engagement und Seele, als auch Prog-gebrandmarkten virtuos-Verspieltem.

3 Kommentare

  1. Birgit Marzinka

    Hallo,
    wir sind für ein Jugendprojekt zu Jugendkulturen (in der DDR) auf der Suche nach Kleidung, Utensilien, Schallplatten, Plakate usw.. Die Lerngruppen erstellen virtuelle Ausstellungsräume u.a. zu Heavy Metal, Blueser (Kunden), Beat-Jugend. Die Ausstellung wird auf der Webseite http://ddr-jugendkulturen.de veröffentlicht. Auch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die damals in der Musikszene/ Jugendkultur bewegten wären super.

    Kontakt bitte an kontakt@keibelstrasse.de

    Grüße
    Birgit Marzinka

  2. Birk

    Eine Zeitreise in die Kindheit oder Jugend… das beschriebene tv spektakel von rock Pop in konzert anfang der 80iger is wie neu erlebt diese nacht war magisch und die Kassetten hab ich bis heute.
    Danke das sich jemand die Mühe gemacht hat um das Gefühl Tausender metalfans in Erinnerung zu halten.

    1. Ingolf Schmock

      Birk, danke für den Kommentar. Es hat beim rezensieren, als Zeitzeuge und Beteiligter,
      auch meine Gedankenwelt aus dieser Zeit wieder erweckt.

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