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Nina Hagen / Nina Hagen Band & Unbehagen – DLP-Review

Nina Hagen - "Nina Hagen Band & Unbehagen" - Doppel-LP-Review

Mein lieber Schwan, was haben mir damals als Frühpubertierender die Ohren geschlackert, als mir zum ersten mal Songs der Marke "Rangehn", "Auf’m Bahnhof Zoo" oder auch "Pank" von einer scheinbaren Punk-Lady namens Nina Hagen durch die Gehörgänge rauschten. Die kam aus den östlichen Bundesländern der damals noch gespaltenen Republik und hatte 1977 'rübergemacht', war sozusagen ihrem Stiefvater Wolf Biermann gefolgt. In West-Berlin fand sie dann relativ schnell musikalische Unterstützung durch die ehemaligen Lokomotive Kreuzberg-Musiker Manfred (Manne) Praeker am Bass, Bernhard 'Potsch' Potschka an der Gitarre sowie Herwig Mitteregger am Schlagzeug. Zusätzlich wurde Reinhold Heil für die Tasten engagiert. Miss Hagen bekam auch relativ bald einen Deal bei der CBS, was schon mal für ein nettes Budget hinsichtlich der Aufnahmen garantierte.

Was daraus entstand und schließlich 1978 auch veröffentlicht wurde, entwickelte sich dann zu einem echten Klassiker der deutschen Rockmusik, der mit dem The Tubes-Cover "White Punks On Dope" gleich schon mal einen schrilles, selbstbewusstes und angriffslustiges Ausrufezeichen setzte. Der deutsche Text "TV-Glotzer" zur oben genannten Nummer wurde – wie alle anderen auch – von Nina Hagen selbst geschrieben. In der Blütezeit des Punk Rock (der mittlerweile auch Deutschland erreicht hatte) darf man davon ausgehen, dass in Texten wie etwa "Auf’m Bahnhof Zoo" auch immer ein gutes Stück Provokation verankert war. Und warum auch nicht, ein absolutes Novum in der deutschen Rockmusik – solche Texte von einer Frau gesungen zu hören – war das allemal. Musikalisch hingegegen ein cleverer und dazu irgendwie stimmiger Mix aus Rock, Reggae ("Heiss") sowie Punk Rock ("Pank") und textlich sprach Nina (in "Unbeschreiblich weiblich") auch die damals so aktuelle wie brisante Diskussion über das Recht der Frauen auf Abtreibung an. Erfolgstechnisch ging das Konzept ebenfalls bestens auf und die Platte erreichte durch mehr als 250.000 verkaufte Exemplare Gold-Status.

Leider kam es irgendwann zwischen der ersten und zweiten Scheibe zum großen Knall zwischen der Sängerin und ihrer Band, was sogar so weit führte, dass Nina Hagen die gemeinsame Zugfahrt zum Aufnahmestudio in Frankfurt verweigerte. Ihren Gesang nahm sie dann im Nachhinein alleine zu der Musik auf. Diese zweite Scheibe wäre auch gar nicht mehr zustande gekommen, wenn beide Parteien (Lady Hagen auf der einen und die Band auf der anderen) nicht vertraglich dazu verpflichtet gewesen wären.

Erstaunlicherweise wirkten sich diese Begleitumstände keinesfalls negativ auf das im Jahr 1979 veröffentlichte Zweitwerk "Unbehagen" aus. Allerdings: So entspannt die Scheibe mit dem "African Reggae" auch begann, so ist sie insgesamt im Unterton deutlich aggressiver ausgerichtet als das Debüt. Was sich unter anderem bei der Nummer "Alptraum" zeigt, wo die gute Nina ihren Gefühlen freien Lauf ließ. Wie auf der ersten Scheibe ist auch hier ein Coverstück (dieses Mal "Lucky Number" von Lene Lovich) enthalten, für das die Frontlady mit "Wir leben immer … noch" einen neuen Text verfasste. Ninas kurze Liaision mit dem holländischen Rocker Herman Brood warf immerhin noch das Stück "Hermann hieß er" ab, in dem sie ihren Ex allerdings erwartungsgemäß alles andere als gut wegkommen lässt. Und auch das restliche Songmaterial lässt kaum nach.

"Unbehagen" ist mindestens genauso gut und je nach Gusto sogar noch eine Spur stärker als das Debüt ausgefallen. Erneut konnten über eine viertel Million Exemplare abgesetzt und somit eine goldene Schallplatte eingefahren werden. Das Label Sony Music hat diese ersten beiden Alben von Nina Hagen nun in seiner neuen Serie 'Original Vinyl – Double Classics' noch einmal mit sehr gutem Sound versehen auf den Markt gebracht. Ein Muss für jeden Deutschrock-Fan oder -Interessierten.


Line-up Nina Hagen Band:

Nina Hagen (vocals)
Bernhard Potschka (guitars)
Manfred Praeker (bass)
Reinhold Heil (keyboards)
Herwig Mitteregger (drums)

Tracklist:

Side 1 – "Nina Hagen Band":

  1. TV-Glotzer (White Punks On Dope)
  2. Rangehn
  3. Unbeschreiblich weiblich
  4. Auf’m Bahnhof Zoo
  5. Naturträne

Side 2:

  1. Superboy
  2. Heiss
  3. Fisch im Wasser
  4. Auf’m Friedhof
  5. Der Spinner
  6. Pank

Side 3 – "Unbehagen":

  1. African Reggae
  2. Alptraum
  3. Wir leben immer … noch (Lucky Number)
  4. Wenn ich ein Junge wär (Live Version)

Side 4:

  1. Hermann hieß er
  2. Auf’m Rummel
  3. Wau Wau
  4. Fall In Love mit mir
  5. No Way (instrumental)

Gesamtspielzeit: 21:50 (Side 1), 20:26 (Side 2),  19:55 (Side 3), 18:19 (Side 4), Erscheinungsjahr: 2019 (1978, 1979)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv
News
Meine Konzerberichte im Team mit Sabine
Mail: markus(at)rocktimes.de

1 Kommentar

  1. Steffen Nitzsche

    Nina Hagen….was soll ich dazu sagen, die sogenannte Punkröhre mit berühmten Eltern aus dem Osten. Für mich war sie ein Beispiel gesamtdeutscher Musikgeschichte wo die Medien einen Großteil dazu beigetragen haben, dass der Name in Ost und West bekannt war. Musikalisch hat sie aber weder im Osten, noch Westen und gesamtdeutsch die Landschaft geprägt. Mich hat sie nie vom Hocker gerissen, geschweige denn das sie gute Konzerte oder bahnbrechende Songs veröffentlicht hat. Gundermann war das ganze Gegenteil, wenig bekannt und tolle Lieder. So läuft es halt in der Medienlandschaft der Neuzeit.
    Nina Hagen soll ja noch gelegentlich Auftreten Live….

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