Wer meint, hier reitet jemand auf der historischen Welle, weil die gerade so angesagt ist, der täuscht sich. Auch wenn die Pestmaske, die die Figur auf dem Cover trägt, erste Rückschlüsse in diese RIchtung nahelegt. Nobody Knows legt mit "Urbane Camouflage" bereits ihr 13. Album vor, seit 15 Jahren ist die Band aus Tangermünde (Sachsen-Anhalt) rund um Sänger und Saitenmann Max Heckel schon aktiv. Über 1.000 Auftritte haben sie absolviert, 2014 als beste Folk-Band beim Deutschen Rock- und Pop-Preis abgeschnitten, derzeit sind sie für den Preis der deutschen Schallplattenkritik nominiert.
Wer meint, angesichts des Herkunftsbundeslandes und dem Titel des Openers "Nicht polyglott" eine rechte Gesinnung oder besorgtes Bürgertum zu orten, der täuscht sich ebenfalls. Nobody Knows will zwar »Exzessiv unterhalten«, lässt dabei aber die Zeitkritik nicht außen vor. »Ohne erhobenen Zeigefinger und [mit] dennoch deutlichen Worten zur AfDi-sierung ihrer sogenannten Heimat kultivieren die fünf Musiker Spaß und Ernst«. heißt es im Begleittext zur CD.
Und ich singe, wie ich spreche, und ich fühl mich dabei gut.
Brauch kein Englisch und kein Spanisch, keine Sprachendauerflut.
Fern von Phrasen wie "Nation", wie zu jeder andern Zeit,
kultivieren wir nun singend unsre Selbstverständlichkeit.Dieses Landes Volksliedkultur;
Oft stadlhaft inszeniert und dabei nur
dauerfreundlich und atemlos (durch die Nacht)
und wir sagen uns davon los. (Und alle mitgemacht.)
Niemals wie die Patriotenschar.
Ohne Hass und ohne Glatze,
unbesorgt und einfach wunderbar.
Nicht wie die AfD und der Pegida-Dreck,
nicht diskriminierend, sondern als sprachlicher Zweck.
Wer jetzt meint, das wäre eine spinnerte Politrockband, die so blauäugig wie verbissen 'Gutmenschenparolen' drischt, der täuscht sich noch viel mehr. Nobody Knows nimmt alles und jeden aufs Korn, sich selbst aber nicht bierernst. Eine ziemlich gesunde Respektlosigkeit kann ich der Band gleich vorab bescheinigen. Einen Hang zum Blödeln (mit Niveau) ebenfalls. Der darf im zweiten Song, dem Loblied auf die "Cola", gleich mal so richtig die Sau, respektive den Rülpser rauslassen – mehr will ich hier gar nicht verraten.
Das "Bürgerlied" kommt im ersten Moment wie eine mittelalterliche Ballade daher, im Moritatensang wird es dann aber wieder höchst politisch. »Ich hab ja nichts…und dann sein Aber: Fremde, Andre und Araber? Aber was wollen die denn hier? Die Fremden da sind nicht von hier!« Selbst wenn die offensichtliche Ebene, der Text, nicht genauer betrachtet wird, auch musikalisch wird es hier spannend. Denn neben/nach dem Bänkelsang, bei dem auch die systemkritschen DDR-Liedermacher wie Biermann oder Pannach & Kunert grüßen, fließt hier Worldmusic vom Feinsten mit ein. Der Balkan grüßt, die Polka polkt und ganz in der Ferne glaube ich die "Internationale" durchschimmern zu hören. So wie bei einem Festumzug, wenn auch die Kapelle, die schon einen Häuserblock weiter läuft, noch zusätzlich zu den beiden näherlaufenden zu hören ist.
Die Harp eröffnet "Was ich hier noch soll", das dann aber musikalisch wieder an das "Bürgerlied" anknüpft. Das Kleinbürgeridyll samt Gartenzauntratscherei und Ordnungsliebe wird im Text karikiert und dreimal dürft ihr raten, in welchem Zusammenhang der Songtitel dazu steht… Mehr in Richtung Folk Punk geht "Watt wa woll’n", die raue Stimme und der Chorgesang passen zu dieser Nummer wie das Tüpfelchen auf dem 'i'. Der Song ist teilweise in Mundart gehalten und geht richtig gut ab. Trommelwirbel und Punk Polka kennzeichnen die "Political Correctless", das mit sehr spitzer Feder die Suche nach dem absolut diskriminierungslosen Songtext zeichnet. Ein paar der aufs Korn genommenen Sprachkonstrukte, wie beispielsweise die »Aschenbecherin« oder das »afrodeutsche Schaumgebäck« sind zwar nicht mehr ganz neu, der Schmunzler kommt trotzdem.
In "Sansibar" trifft der Graf auf Howard Carpendale, im Background 'huhuhuut' es allerliebst und es wird mit viel Ironie geschmalzt, was der Klischeetopf hergibt. "Fleisch" dürfte höchstwahrscheinlich die Nummer sein, die unseren Ulli dazu bewogen hat, mir (Veggie seit 30 Jahren) dieses Album in missionarischen Absichten zukommen zu lassen. Denn hier wird die Bio-Vegan-Öko-Veggie-Szene kräftig durch den Kakao gezogen; ich kann genauso kräftig mitlachen. Genauso wie beim "Türstehertanz", der mit kräftigen Bläsern und einem Hauch Guggemusik die dicken Arme schiebt. Das "Postpubertäre Geigenspiel" wird vermutlich bis zur letzten Zeile jedem jugendlichen Geigenspieler, der von Eltern und Lehrer zum Üben genötigt wird, aus der Seele sprechen. Dass hier gefiddelt wird, was das Zeug hält, versteht sich wohl von selbst.
"Kanalisierte Aufmerksamkeit" ist ein Song, in den vermutlich die meisten Musiker und Konzertgänger einstimmen werden. Die allgegenwärtige Handymanie, mehr muss man dazu wahrscheinlich gar nicht anführen. Musikalisch kommen auch hier wieder coole Bläserparts zum Einsatz, die einen Hauch Latin reinbringen. Mit Vollgas gehts aus dem Album raus mit "Häschtäck WhoopWhoop" und »Wir hab’n ja noch lang' nicht genug« ist hoffentlich das Versprechen auf Nachschub. Solange gibt es die Repeat-Taste oder ein paar der Vorgängeralben, denn Nobody Knows machen wirklich Spaß. Zumindest dann, wenn man einen flotten Stilmix und viel Wortwitz mit Tiefgang mag. Fein, dass im Klappdigipak auch ein schönes Booklet enthalten ist, in dem gut lesbar die Texte abgedruckt sind, denn beim Nachlesen finden sich noch einige Spitzen, die beim reinen Zuhören vielleicht gar nicht sofort auffallen. Häschtäck #kannmanguthören #weitermachen
Line-up Nobody Knows:
Max Heckel (Gesang, Gitarre, Bouzouki, Violine, Banjo)
Ronny Heckel (Lead Gitarre, Mandoline, Mundharmonika, Gesang)
Georg Marth (Violine, Gesang)
Marcel Storjohann (Kontrabass, E-Bass, Gesang)
Aron Thalis (Schlagzeug, Percussion)
Gastmusiker:
Tabiha Harzer (Piano, Keys, Gesang)
Dietrich Eichenberg (Altposaune, Bassposaune, Cello)
Melchior Eichenberg (Trompete)
Tracklist "Urbane Camouflage":
- Nicht polyglott
- Cola
- Bürgerlied
- Was ich hier noch soll
- Wat wa wolln
- Political Correctless
- Sansibar
- Fleisch
- Türstehertanz
- Postpubertäres Geigenspiel
- Kanalisierte Aufmerksamkeit
- Häschtäck WhoopWhoop
Gesamtspielzeit: 44:28, Erscheinungsjahr: 2016
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