Wüsten gibt es ja viele: eine Steinwüste, eine Bleiwüste, die berühmte Servicewüste, eine Eiswüste … dort würde man die drei Jungs von Odd Times vielleicht am ehesten verorten. Die kommen nämlich aus Kanada. Eine Eiswüste so ganz im Norden – wieso nicht? Aber die Reise aus dem Debütalbum der Band führt dann doch ganz klar durch so eine Wüste, wie man sie sich prototypisch vorstellt: endloser roter Sand, mittendrin eine Kamel-Karavane – ganz weit die ersehnte verwunschene Wüstenstadt und zwischendurch hoffentlich mal eine Oase. Zum was Trinken. Das ist ein bisschen stereotyp, aber witzig. Denn genau an diesem Klischee entlang hangeln sich Étienne Fournier, Vincent Perreault und Maxime Bidégaré auch in der Story ihres knapp eine Stunde langen Konzeptalbums. Diese ist durchaus mit Zwinkerauge zu verstehen; aber schließlich geht es da ja ’nur' um die Verpackung für die Musik.
Aber wie klingt diese Musik nun? Als 'kanadisches Trio' muss man es wohl ertragen, sofort mit Rush verglichen zu werden – auch wenn Odd Times, wie die Namen der Musiker schon vermuten lassen, französischsprachig sind; sie kommen aus Montréal und haben dort seit der High School zusammen Musik gemacht. Rush-Einflüsse kann man aber schon erkennen, wenn man sie denn sucht. Und dann sind es die frühen Rush, zumal (außer einem Gast-Klavierchen zu Beginn von "Sandstorm Rise") es keinerlei Keyboards gibt und auch keine spacigen Effekte, sondern die Musik nur aus Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang besteht. Die Vorliebe für leicht abgedrehte Komplexität auf kleinem Raum lässt tatsächlich auch noch an Rush-Stoff à la "Natural Science" denken. Aber auch eine andere kanadische Band kommt einem in den Sinn, nämlich Tiles – dank des ziemlich bodenständigen, straighten und kehligen Gesangs und des organischen Sounds, den man – absolut positiv gemeint – als … 'trocken' bezeichnen könnte. Na Glückwunsch – 'trockener' Sound auf einem Wüstenalbum. Es passt schon alles zusammen.
Trocken ist die Stimmungslage auf dieser Wüstenreise aber zum Glück nicht, sondern abwechslungsreich. Und eintönig wie der endlose Sand ist die Musik auch keinesfalls! Erdig-roh riffig geht es im langen Opener zu. Es gibt Instrumentalpassagen, die zwar schwerlich als 'vertrackt' zu bezeichnen sind, dafür aber in ihrer simplen Anlage aufs Angenehmste proggig-wild wirken. Es gibt Tempowechsel; und zwischendurch wird es mal hymnisch. Bei "Eternal Zenith" beschreiben Tool-artige, ölige Lava-Riffs mit einem Hauch von Orientalik das Gefühl der Ausgelaugtheit inmitten des heißen Sandes. Ein genial kurzweiliger Instrumentalteil in abgefuckter Tech-Thrash-Manier à la Annihilators "Brain Dance" bringt noch eine ordentliche Portion Schizophrenie mit rein, bevor die Nummer mit einem Mitgröhl-Chor aufhört, am Ende angenehm wortlos einladend zum Mit-'Singen'. Ertappt – man ist schon beim ersten Zuhören auch selbst inbrünstig mit am Start. Und das ist doch eine geniale Kombination: von komplex bis promillig!
Bei "Oasis" überwiegt die Partylaune, ein wenig berauscht, und etwas Flamenco-Feeling inklusive."Wandering Again" ist wieder staubtrocken – der Soundtrack aus einem guten alten Westernfilm: eine endlose, schnurgerade Straße, eine einsame Tankstelle; und ein Fremder kommt vorbei. Das instrumentale "Sandstorm Rage" (eingeleitet vom kurzen "Sandstorm Rise") fasst quasi nochmal alle Launen zusammen: spannend, heavy, abgedreht. Mit einer Art 'Speed Hard Rock', gespickt mit technischen Finessen geht es weiter: "Path To The City". Und ja, die Stadt ist echt und keine Fata Morgana. Knapp eine viertel Stunde lang geht es mit "Find My Way" in der Stadt 'rund' – ein hochpulsiger Mix aus 80er-Metal, wildem Prog und episch angehauchtem Wahnsinn. Der eher kurze Ausklang "Back Home" ist eine etwas beschwipste, laute, schnelle (und ziemlich lustige) Schunkel-Rock-Sause und zeigt nochmal eines: So fürchterlich ernst nehmen sich Odd Times nicht …
… und das ist die allerbeste Voraussetzung für ein unbeschwertes Debütalbum! "A Journey In The Desert" klingt so, wie nur eine richtig junge Band klingen kann. Das macht irrsinnig viel Spaß; und so hundertprozentig wollen sie in keine Schublade rein. Die Sache mit den Klischees löst sich am Ende der Story übrigens nochmal recht unterhaltsam auf. Der Erzähler findet in besagter Stadt eine geheimnisvolle alte Dame, die ihm offenbart, wie er so mir nix, dir nix in der Wüste aufwachen konnte: Bilder, die er sieht, werden Realität. Tja und wenn sein Bild von der Wüste nun mal ein so stereotpyes ist?! Ordentliche Konzentration bringt ihn schließlich auf ebenso magische Weise zurück nach Hause, wie er in der Wüste gelandet war. Und es braucht keine magische Vorstellungskraft, um Odd Times richtig, richtig gut zu finden – die sind es tatsächlich! Ein witziges Detail am Rande gibt es noch … ausgerechnet das ja nicht soooo unwichtige Wort 'desert' spricht Lead Sänger Étienne Fournier konsequent etwas … ’schräg' aus – eigentlich schon wieder witzig. Ein wahrlich wüster Newcomer-Tipp aus Kanada!
Line-Up Odd Times:
Étienne Fournier (eclectric guitars, acoustic guitars, lead vocals, backing vocals)
Maxime Bidégaré (bass, fretless bass, backing vocals)
Vincent Perreault (drums, backing vocals)
Félix Brodeur (piano – #5)
Tracklist "A Journey In The Desert":
- Journey In The Desert (9:45)
- Awakening
- Caravan
- Wandering
- Eternal Zenith (6:46)
- Oasis (4:26)
- Wandering Again (4:38)
- Sandstorm Rise (2:13)
- Sandstorm Rage (7:04)
- Path To The City (5:51)
- Find My Way (14:31)
- Contemplation
- Synergy
- Unwelcomed
- Witch Speech
- Imagery
- Seeking
- Finding My Way
- Back Home (2:46)
Gesamtspielzeit: 58:01, Erscheinungsjahr: 2020
Neueste Kommentare