Wer im Jahre des Herrn 1962 vom Stapel gelaufen ist, darf sich zu Recht zu den älteren Semestern zählen, ich weiß das genau, denn da bin ich geboren. 1962 war aber auch das Startjahr für eine sehr ungewöhnliche und beständige Formation von Rockmusikern, ungewöhnlich insbesondere, was ihre Herkunft angeht. Allzu viele bekannte Rockbands hat uns Ungarn nicht geschenkt, Omega ist unbestritten das leuchtende Rock-Flaggschiff aus dem Land der Puszta. Seltsam, dass im gleichen Jahr auch in Rumänien eine faszinierende Formation namens Transylvanian Phoenix zu einem bis heute nicht enden wollenden Flug in die progressive Rockmusik ansetzte. Zwei seltene Sterne am fernen Himmel des Balkan mit ungewöhnlich langer Halbwertzeit. Seltsamerweise bringt man beide Bands in der Literatur durchaus mit dem Begriff 'Krautrock' in Verbindung, was gar nicht einmal so abwegig erscheint. Die Festlegung und irgendwie anfänglich auch ein wenig bösartige Stigmatisierung deutscher Rockbands hat sich längst verflüchtigt, heute betrachtet man den Begriff eher als ein Konglomerat bestimmter retro-orientierter Merkmale, die wir sicherlich vielfach bei deutschen Vertretern vorfanden und –finden. Aber eben nicht nur dort.
Während die Band in den frühen Jahren häufiger die Besetzung wechselte, kristallisierte sich 1971 die bis heute noch aktuelle Formation der Band heraus, die dann auch prompt in den Siebzigern ihre wohl beste Schaffensphase produzierte. Es war zugleich auch die Zeit, in der Omegas Songs sehr straight dem Muster anerkannter Größen des Kontinents folgte, während schon in der zweiten Hälfte der Siebziger ein deutlicher Wechsel hin zu spacigeren, oft auch ein wenig kommerzielleren Kompositionen vollzogen wurde.
"200 Years After The Last War" ist ein Musterbeispiel für die rockige Seite des großen Omegas, mit dem die Band auf ihren Konzerten aufmachte. Dabei hat die Platte eine durchaus bewegte Geschichte. Ursprünglich aufgenommen im Jahr 1972, damals unter dem Titel "200 Évvel Az Utolsó Háború Után" und ausnahmslos mit ungarischen Texten, versprach das Album zunächst nicht viel Glück, denn es wurde sehr bald von der damaligen Regierung zensiert. Wikipedia berichtet, das eben nicht nur der Titel des Albums den Politikern ein Dorn im Auge war, nein, ein seinerzeit mit verantwortlicher Produzent fühle sich offenkundig von dem Song "Szex Apó" angesprochen und beleidigt. "Szex Apó" bedeutet wohl 'Sex-Onkelchen' – das hat ihm nicht gefallen.
Wie auch immer dieser Titel zu interpretieren wäre, wir müssen uns nicht mit ihm befassen, denn als das Album zwei Jahre später über das deutsche Bacillus-Bellaphon-Label mit englischen Texten erschien, war von der ursprünglichen Version nicht mehr viel übrig geblieben. Stattdessen wurde das episch grandiose "Suite", das im Original auf "Omega 5" und unter Einsatz eines klassischen Orchesters erschienen war und eine komplette LP-Seite füllt, in einer neuen Fassung aufgenommen und auf "200 Years After The Last War" produziert, nun aber mit Mellotron und Synthesizer statt der klassischen Instrumentierung. Dieses Mammut-Werk ist einer der Hauptgründe, warum ich dieses Album so sehr mag. Außerdem fand eine der mitreißensten Nummern, die Omega jemals produziert hat, nämlich das treibende "Help To Find Me" auch den Weg auf dieses tolle Album.
Nähern wir uns der Musik über die fantastische "Suite", die ihren Namen zu Recht trägt. Ein großes, progressives Meisterwerk mit wunderschön reflektierten Momenten, rhythmischen Spielereien, die aber so kommod gehalten sind, dass jeder Hardrock-Fan ohne Kopfkratzen mitgehen kann und ein ekstatisch aufgeladenes Finale mit einem dramatischen Kulminationspunkt zum Schluss.
Aus dem Nichts nähert sich ein waberndes Keyboard-Gewölk, sanfter Gesang nimmt die schöne Melodie auf, ein paar Akkorde und eine zurückhaltend einscherende Gitarre verdichten das Thema mit ganz allmählich steigernder Intensität. Doch wenn man glaubt, nun geht gleich die Post ab, führt uns ein klassisch progressives Break zurück in ein entspannt dahin treibendes, bassorientiertes Zwiegespräch zwischen den Drums und der Orgel. Mit Gitarre und Gesang kommt wieder ein bisschen mehr Fahrt in die "Suite", das Keyboard groovt ein wenig wie in den schnelleren Parts von Floyds "Echoes". Wie gesagt, die Rhythmen wechseln eigentlich fortlaufend, aber die Breaks stören nicht den Flow, den Sog des Gesamtwerks. Eine sehr verträumt und relaxt wirkende Passage mäandert noch einmal in den Gefilden von Pink Floyd, schenkt uns ein schönes Zwischenspiel mit einem dezent virtuosen Gitarren-Outbreak – aber dann ist Schluss mit lustig. Wir orgeln sanft und kaum noch vernehmbar in den großen Bruch der Suite. Aufbrausende Synthesizer, wildes Getrommel und eine elegische Gitarre künden von einer neuen Welt. Mit den ersten Riffs startet unsere "Suite" in einen wilden Parforceritt, von nun an hat György an der Gitarre eindeutig das Sagen. Jetzt bewegen wir uns sehr viel mehr in der Verwandtschaft mit Uriah Heep oder Deep Purple, daran kann auch ein letztes, sehr sanft eingestreutes Zwischenspiel nichts mehr ändern. In einem letzten, anreißenden Riff kreist die "Suite" in ausladenden Steigerungsläufen in den Schlussakkord. Tusch, das war’s. Ein großes, klassisches Stück Siebziger Jahre Musik und eine nostalgische Erinnerung an meine Jugend. Kult eben.
Qualitativ gleichwertiger Gegenpol ist "Help To Find Me" auf der B Seite der LP, "Nem Tudom A Neved" im Original und einem schönen, lyrischen Angebot an die 'Ex', zurück zu kommen. »Ich habe ein Lied mitgebracht, es soll dir helfen, mich zu finden, wenn du mich suchst.« Wer nun aber eine romantische Ballade vermutet, liegt gänzlich falsch. Stattdessen befinden wir uns Ratz Fatz in einem wahren Rhythmusmonster, bei dem sich die Gitarre diesmal weitgehend auf die Gestaltung des Refrains beschränkt, nein, hier darf sich László an den Tasten austoben, was er genüsslich zelebriert. "Easy Living" Feeling, denn die Nähe zu Uriah Heep ist hier unverkennbar. Was soll’s, wenn der Song so schön abgeht.
Verglichen mit diesen beiden tollen Krachern sind die beiden restlichen Stücke eher von minderer Bedeutung.
Welchen Stellenwert Omega im Heimatland genießt, hat mir einst Heinz Glass, Gitarrist von Epitaph sehr anschaulich verdeutlicht. Demnach spielten sie damals als Support für Omega in Budapest und es kamen 30.000 Menschen ins Stadion. Ein Konzert vor 30.000 Fans, davon können hierzulande viele Bands nur träumen. Für Omega waren solche Besucherzahlen hingegen nichts Außergewöhnliches. Inzwischen haben sie ihr fünfzigjähriges Band-Jubiläum längst hinter sich und bereiten gerade die Tour für 2017 vor, Termine für Erfurt und Rostock sind bereits avisiert. Interessenten mögen sich aber beeilen, die Alte Oper Erfurt scheint schon fast ausverkauft zu sein.
Line-up Omega:
Ferenc Debreceni (drums)
Tamás Mihály (bass)
László Benko (keyboards)
György Molnár (guitar)
János Kóbor (vocals)
Tracklist "200 Years After The Last War"
- Suite
- Help to find me
- 200 years after the last war
- You don’t know
Gesamtspielzeit: 36:02, Erscheinungsjahr 1972 (Ungarn), 1974 (englische Version)
1 Kommentar
Mario Keim
11. Dezember 2016 um 6:55 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Danke für diese Review. Die Rolle der Band OMEGA kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Gründe hast Du bereits genannt. Vor allem sind sie in all den 50 Jahren bodenständig geblieben und zeigen sich, wenn auch inzwischen in veränderter Besetzung, als Künstler zum Anfassen. Nun, mit Deinem (Geburts-)Jahrgang 1962 kann ich nicht ganz mithalten. Ich bin zwei Jahre jünger. Aber auch dieser Jahrgang ist nicht von schlechten Eltern, kann ich Dir bei allem Spaße versichern!
Grüße von Mario Keim