Musik op Plattdüütsch, dat is nix för Jedermann/Frau.
Plattdüütsch, also Plattdeutsch, ist auch nicht gleich Plattdeutsch, dazu gibt es viele unterschiedliche Dialekte. Nun, ich bin aufgewachsen mit 'Ammerländer Platt', weil meine Großmutter von dort stammte und dieses auch gelegentlich sprach.
Plattdeutsch in der Musik, das kam und kommt leider relativ selten vor. Und wenn – dann wurde/wird das oft eher als belustigende Variante denn mit normaler Ernsthaftigkeit vorgetragen. Nicht, dass wir Norddeutschen keinen Humor hätten, doch zwischen Humor und Klamauk gibt es durchaus Unterschiede.
Die ernsthafte Variante plattdeutscher Texte in der Musik habe ich einst in den Siebzigern kennengelernt durch den Liedermacher Helmut Debus, der mit seiner Platte "Wo ik herkam" Texte des Jeveraner Poeten Oswald Andrae vertonte. Andrae war aktiv in der friesischen Friedens- und Umweltbewegung, die er mit seinen Gedichten und Liedern unterstützte.
In einem Radioprogramm des Norddeutschen Rundfunks hörte ich einen Song, der mich aufhorchen ließ: "Sailing To Alaska", denn diesen hatte ich schon einmal gehört, klar – vom US-amerikanischen Singer/Songwriter Si Kahn. Und – er singt darüber hinaus sogar noch mit auf dem Stück, als Gast, welch' schöne Überraschung, allerdings nicht auf Platt, sondern auf Englisch. Ach – und von wem war nun dieses Lied? Es stammt vom Otto Groote Ensemble, von deren vierter gemeinsamer Platte "Noordlandwind". Und Si Kahn beteiligt sich auf einem weiteren seiner Kompositionen – "De Groote Fabrik / Aragon Mill".
Otto Groote schrieb im Jahre 2005 seinen ersten Song. Eigenen Angaben zufolge lagen seine musikalischen Vorlieben stets im Bereich Singer/Songwriter. Und genau in diesem Genre ist auch die Musik von "Noordlandwind" angesiedelt. Darüber hinaus lag es nah, dass in Plattdeutsch gesungen wurde, ist es doch die Muttersprache des Protagonisten. Nach der ersten CD lag die Verantwortung für die folgenden Produktionen in den Händen der drei Bandmitglieder, mithin sind die Lieder als Gemeinschaftsproduktionen zu betrachten. Die Band, das Otto Groote Ensemble, wurde 2007 gegründet, nachdem Otto Groote bereits vorher nur unter seinem Namen eine Platte veröffentlichte. Die heute noch in dieser Besetzung bestehende Formation besticht eben durch diese hörbare Gemeinsamkeit, sowohl im Zusammenspiel zweier Gitarren plus Bass sowie durch den einfühlsamen Harmoniegesang, plus die Beiträge der Gastmusiker/innen. Apropos Gesang – mich erinnert der stimmliche Ausdruck stellenweise mitunter an Hannes Wader, letztlich bleibt jedoch der individuelle Charakter der Band unverkennbar.
Und dieser individuelle Charakter zeichnet sich meines Erachtens dadurch aus, dass die angenehm reduzierte Instrumentierung dennoch über starke Ausdruckskraft verfügt durch dieses vermittelte Gefühl von Bodenständigkeit, und die damit verbundene stark harmonische Vorstellung der Songs. Und selbst Alle, die über keine Kenntnisse des Plattdeutschen verfügen, hier speziell einer ostfriesischen Ausrichtung, sollten allein Gefallen an der gemütlich und freundlich wirkenden Musik finden, die sich anhört, als sei sie beim Zusammentreffen von guten Freunden entstanden. Und diesem Freundeskreis mag man sich dann auch gern anschließen.
Und wer sich dann doch an die Texte heranwagen möchte, dem kommt zunächst entgegen, dass alle Texte im Booklet abgedruckt sind. Und so schwierig ist es dann gar nicht mehr, sich einzulesen. Darüber hinaus finden sich zu jedem Lied entsprechende Fussnoten, die nähere Erklärungen zum Inhalt zur Verfügung stellen. Weiterhin gibt es im Vorwort, im Booklet, Erläuterungen zur Absicht des Inhalts der Stücke. Hiernach geht es um ein Schwerpunktthema – das Verlassen einer alten Welt, damit verbunden Gefühle wie Abenteuerlust, Neugier, Unbehagen, Trauer. So dürfe man die ersten sieben Titel gern als Auswandererlieder bezeichnen, und hierzu nicht nur auf frühere Jahrhunderte bezogen, sondern auch auf die aktuelle Situation der weltweiten politischen Lage. So wirbt man um Verständnis für die Nöte vieler Flüchtlinge in der Welt.
So gesehen, sollte man dieses Projekt auch als ausgesprochen ambitioniert betrachten. Solch ein Einsatz in Verbindung mit der Verwendung von Folk-Musik hat Tradition, ich verweise stellvertretend auf Woody Guthrie und Pete Seeger. Einige Songs haben ihren Ursprung und ihre Inspiration in Irland, den USA und Schottland, und "Dat Leed van Esterwegen" hat thematisch die Moorsoldaten im Fokus und behandelt das Elend im KZ Esterwegen. Aber natürlich gibt es auch ganz Alltägliches, wie die Liebe, hier: "Dat lesde Bladd" und "Dat wiede Meer".
Zum Schluss werden wir wortlos verabschiedet, Gitarren, Bass, Perkussion und Piano/Orgel gestalten diese harmonisch und verträumt wirkende Komposition, mit fünf Minuten länger geraten als die Vokal-Version. Ja, das ist ein entspannter und entspannender Abschluss einer Platte mit sehr emotional strahlender Musik. Lü, disse Schallplaat mutt ji kopen!
Line-up Otto Groote Ensemble:
Otto Groote (Gitarre, Gesang)
Matthias Malcher (Gitarre, Banjo, Gesang)
Ralf Strotmann (Bass, Gesang)
Si Kahn (vocals – #3,11)
Ulli Sieker (Mandoline – #2,4)
Armin Seelig (Piano, Orgel – #13)
Tracklist "Noordlandwind":
- Noordlandwind (3:53)
- Vörut (3:03)
- Sailing to Alaska (4:28)
- Straat nah Westen (3:31)
- Kien Fragen un kien Blieven (3:27)
- Land vull Hoop, Land vull Tran’n (4:59)
- Saro (3:41)
- Dat Leed van Esterwegen (3:29)
- Dat lesde Bladd (2:55)
- Dat wiede Meer (4:25)
- De groote Fabrik | Aragon Mill (4:19)
- De Mann, de ik was (4:19)
- Kien Fragen un kien Blieven (Instrumental) (5:00)
Gesamtspielzeit: 51:58, Erscheinungsjahr: 2015
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