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Outsideinside / II – LP-Review

Outsideinside / II

Es gab eine Zeit, irgendwann in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern, da hat mich Eishockey jenseits des großen Wassers sehr angemacht und neben den Edmonton Oilers mochte ich die Pittsburgh Penguins ganz besonders. Mario Lemieux war ein Pélé auf Kufen, einer der Größten aller Zeiten. Warum ich das erzähle? Outsideinside kommen auch aus Pittsburgh und ihre Musik liefert eine Backflash-Lawine, gegen die solche Reminiszenzen aus der NHL wie eine Gute-Nacht-Geschichten klingen. Diese Band ist nicht Retro, sie ist eine Reinkarnation der glorreichen Siebziger. Schon auf ihrer Bandcamp-Seite werden sie als eine Hardrock-Mischung irgendwo zwischen Blue Cheer und Spooky Tooth bezeichnet. Was erstgenannte Band angeht, sollte es nicht wundern, der Bandname wurde dem zweiten Album von Blue Cheer entnommen. Es zeigt, wo man her kommt und wo man hin will.

Nachdem sie in 2017 ihr Debüt hingelegt hatten, folgte eine große europäische Tour, unter anderem mit einem Auftritt beim Freak Valley Festival, das parallel vom Rockpalast produziert wurde. Es mag diesem Event geschuldet sein, dass die zweite Scheibe, simpel "II" genannt, bei den dortigen Rock Freaks und ihrem Label verlegt wurde. Es ist ein Griff in die Schatzkammern unserer Kultur, so viel darf ich vorweg verraten.

Ursprünglich hatte die Band als Power-Trio begonnen, doch irgendwann erweiterte James Hart nicht nur das Line-up, sondern auch die musikalischen Möglichkeiten. Die getasteten Applikationen tun der Musik wahnsinnig gut. Hier wird Rock’n’Roll zelebriert, wie ich ihn aus meiner Jugend kenne. Hart, cool und mit jeder Menge Spielraum. Hier in Europa findet man diesen Spirit bei Siena Root, aber Outsideinside klingen noch originärer. Kaum zu glauben? Hört rein!

"My Mother’s Son" macht auf wie eine Southern Adaption mit ein bisschen Boogie und breakt sich dann in ein verschleppt taumelndes Wesen mit jeder Menge rhythmischer Sprünge. Wir tanzen springend von Stein zu Stein durch eine staubtrockene Wüste und je mehr die beiden Gitarren sich aufeinander zu bewegen, desto mehr groovt in uns der Vibe vergangener Tage. It’s time for boogie, baby. Der heißt "Sisterman", thematisch dem ersten Titel arg verwandt und irgendwie lassen beide Texte gemeinsam ein wenig vom Simple Man in mir erwachen, auch wenn die Musik deutlich anders klingt. Das aufbegehrende geile Gitarrensolo jagt uns erstmals aus dem Sessel. Arsch hoch und mitgehen.

Der fließende Beat in "Fine Line" hält uns in Bewegung und mag die Ollen unter uns an Free oder Humble Pie erinnern. Der Song kreiselt herrlich mit einer melodischen Gitarre und sanftem Georgel, solche Solo-Passagen bekommst du heute live nur noch von Gov’t Mule, geht es mir durch den Kopf. Die, die ich in diesem Jahr erstmals seit 2008 nicht live sehen darf. Geile Nummer.

Eine brodelnde Mixtur aus Heavy- und Boogie Rock hält den Kessel unter Dampf, "In Your Mind" scheint sich zwischenzeitlich selbst überholen zu wollen. Auch hier lebt Dave Wheelers Sologitarre von den rhythmischen Begleitungen von James Hart, der eben nicht nur die Orgel bedient. Macht Danny Louis übrigens auch nicht. Später, bei "Ancient Faces" finde ich den Sound sehr nahe an europäischen Retro-Schwergewichten wie Siena Root und Blues Pills. Der jammige Mittelpart driftet herrlich stimmungsvoll daher und nimmt eine Menge Feeling großer alter Zeiten auf, wir reisen jetzt durch eine zeitlose Sphäre impulsiver Rockmusik, die schwingt und pendelt und treibt. Und live müsste das Ganze noch sehr viel länger dahin gehen.

Das Geilste kommt aber immer zum Schluss. Ich bin nachweislich nicht der erste, dem beim epischen "Eventide" das legendäre "Maggot Brain" von Funkadelic in den Sinn kommt. Es war ihr Meisterwerk und meine ganz persönlichen Helden von Gov’t Mule nehmen sich dieser Nummer ja auch immer wieder gerne an.

Das psychedelische Solo über einem getragenen Rhythmus, den damals unsere Krautrocker von Jane nicht schöner hinbekommen hätten, schenkt uns Erlösung. Ein wunderbarer Spannungsbogen kulminiert aus anfänglichem Aufflackern hinein in ein unendliches Universum fließender Ströme und ekstatischer Ausbrüche. Befreie deinen Geist, dann führt er dich an Plätze und in Räume, von denen du nicht zu träumen wagtest. Diese Wahnsinns-Nummer vereint UFO, Cream und Led Zeppelin am Ende, denn die Harmonien haben etwas von "White Room", "No Quarter" und ein bisschen Spacerock von "Ufo II". Und wenn es in die letzten Improvisationen geht und der Psych uns den Rest gibt, dann sterben wir in der Schönheit vergangener Epochen. Gebt’s mir, Leute, so fahre ich gern in die ewigen Jagdgründe ein.

Meine Herren, was sprießen da immer wieder für geniale Projekte wie inspirierende Pilze aus dem siegerländer Boden? Wer sagt, die alte Musik ist tot? Rock Freaks Records haben eben nicht nur ihre eigenen Konzerte vermarktet, dort hat man intuitiv ein gutes Gespür für geile Musik. Jens Heide hat sich über die Jahre den Ruf eines innovativen Bookers mit einem untrüglichen Gespür für gute Musik und vielversprechende Neulinge erarbeitet. Er vermittelte einst Lonely Kamel aus Oslo den ersten Plattenvertrag und war Starthelfer für die Blues Pills. Soweit ich weiß, stammt die Idee für den Bandnamen sogar von ihm. Es wundert mich in keinster Weise, dass er so eine geile Scheibe an Land ziehen konnte. Respekt.

Outsideinside sind wie so viele Bands in den letzten Monaten eine neue Erfahrung für mich, ich kannte sie bislang nicht und bin froh und dankbar, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Danke an meinen alten Freund Boris für die Bemusterung, je tiefer ich in das Siegener Archiv großartiger Musik eindringe, umso mehr bereue ich, damals aus dem Verein ausgestiegen zu sein – auch wenn dies nur den körperlichen Strapazen bei der Maloche angesichts des ersten Freak Valley Festivals geschuldet war. Im Siegerland sprießen sehr aufregende Pilze, unsere Freunde aus Pittsburgh haben ihren Anteil daran.


Line-up Outsideinside:

Dave Wheeler (guitar, vocals)
James Hart (guitar, keyboards, vocals)
Jim Wilson (bass)
Panfilo DiCenzo (drums)

Tracklist "II":

  1. My Mother’s Son
  2. Sisterman
  3. Fine Line
  4. In Your Mind
  5. I Ain’t Waitin'
  6. Ancient Faces
  7. Top 10
  8. Eventide

Gesamtspielzeit: 40:23, Erscheinungsjahr 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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