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Patti Smith zum 70. Geburtstag

Patti Smith wird 70

Wenn bei uns in der Gegend die nette, in Ehren ergraute Frau Schmitt von nebenan ihren 70. Geburtstag feiert, dann bewaffnet man sich mit lecker Likörchen und Alpenveilchen und stattet am Vormittag des Ehrentages einen Besuch auf ein Gläschen Sekt und Schnittchen ab. Zumindest dann, wenn man nicht zum engeren Kreis der Leute zählt, die zur eigentlichen Feier am Abend geladen sind. Zwischen Pfarrer und Bürgermeister sowie Abgesandten des Sport-, Gesang-, Tennis- und/oder Altenpflegevereins, kann man gute Wünsche loswerden, ein paar Takte plaudern und dann mehr oder weniger beschwingt oder beschwipst von dannen ziehen.

Wenn die nette, in Ehrlichkeit ergraute Frau Schmitt aber Patricia Lee Smith heißt, am 30. Dezember 1946 in Chicago, Illinois geboren ist und einige tausend Meilen entfernt wohnt, dann bleiben die Alpenveilchen in der Gärtnerei. Likörchen würde umdrehungstechnisch sowieso nicht ausreichen, um die Nervosität vor einer direkten Begegnung mit dieser so charismatischen wie sympathischen Frau auch nur ansatzweise zu bekämpfen. Und wer auch nur im geringsten daran zweifelt, dass 70 ohnehin das neue 50 ist, der schaue sich die Dame an, wie sie in engen Jeans und Sakko auf der Bühne steht, ungefärbt und ungeliftet, junges Mädchen und weise alte Frau zugleich.

Wer Patti live erlebt hat, wird sie nicht mehr vergessen, ob nun Ilka 2002 in Jena, Rudi in Frankfurt 2009, Norbert 2011 in Nürnberg oder Markus und ich 2012 in Berlin. Und nein, unvergesslich ist sie ganz sicher nicht wegen verpassten Einsätzen, vergessenem Text oder Nervosität, wie zuletzt bei der Nobelpreisverleihung für Bob Dylan. Die Wärme, Ausstrahlung und unglaubliche Präsenz dieser Frau ist für mich unvergesslich. Schaut euch das Coverbild ihres Debütalbums "Horses" an und ihr wisst, was ich meine. Noch ziemlich jung und ein wenig linkisch, aber auch verdammt cool steht sie da. Und doch strahlt das Bild auch eine große innere Stärke und Wärme aus. Dieses eindrucksvolle Foto hat ihr damaliger Freund und Seelenverwandter Robert Mapplethorpe aufgenommen. Es stammt aus der Zeit, als Patti anfing zu singen, eigentlich in erster Linie, um ihre Gedichte vortragen zu können und ein bisschen Geld zu verdienen. Denn eigentlich sah (und sieht) sie sich als Lyrikerin. Neben unzähligen Gedichten hat sie auch Bücher wie das autobiografische "Just Kids" verfasst, in dem sie erzählt: über ihre Kindheit, über die Zeit, in der sie nach New York kam und die Freundschaft zu Robert Mapplethorpe, mit dem sie einige Zeit im Chelsea Hotel lebte. Sie schreibt, malt, fotografiert, reist und macht Musik."Just Kids" ist für mich eins der Bücher, die ich nicht aus der Hand legen konnte und gleichzeitig nicht weiterlesen wollte, damit es nicht fertig wird. Wunderschön geschrieben und sehr behutsam übersetzt.

Ihre erste Platte "Horses" von 1975 rangiert in der Liste des Rolling Stone Magazine auf Platz 44, direkt hinter Pink Floyds "The Dark Side Of The Moon" und noch vor The Band. Was nicht weiter verwundert, denn schon der legendäre Anfang »Jesus died for somebody’s sins but not mine«, der die Them / Van Morrison Nummer "Gloria" eröffnet und ihrer Version einen ganz eigenen Charakter verleiht, gibt einen Vorgeschmack auf das was noch folgen sollte. Patti war schon damals provokativ und prägend. Ihr atemloser Sprechgesang gibt der Platte Energie und Tiefe. Mit "Redondo Beach" findet sich auf dem Debüt ein weiterer Song, der einen festen Platz im Live-Repertoire der Künstlerin hat.

Ein knappes Jahr später erschien (mit der Patti Smith Group) "Radio Ethiopia", eines der Alben, mit dem man den Ruf der 'Godmother Of Punk/Wave' rechtfertigen kann. Zumindest, wenn man sich als weitere Vertreterinnen dieser Genres Lene Lovich oder Siouxsie And The Banshees anhört. Beide produzierten ab 1978 Platten und wenn man möchte, kann man da durchaus eine gewisse Geistesverwandtschaft feststellen. Auf der Tour zu "Radio Ethiopia" stürzte Patti Smith im Januar 1977 von der Bühne und brach sich dabei zwei Wirbel. Nach der dadurch nötigen Zwangspause brachte sie 1978 ihren größten kommerziellen Erfolg "Easter" raus, der die gemeinsam mit Bruce Springsteen geschriebene Erfolgsnummer "Because The Night" enthielt. Aber auch "Ghost Dance", "Rock N Roll Nigger", "High On Rebellion" und der Titelsong "Easter" sind herausragend. Ein Jahr danach folgte "Wave" mit u. a. "Dancing Barefoot" und "Frederic", jener Song, den sie Fred 'Sonic' Smith (MC5, Sonic’s Rendezvous Band), ihrem späteren Ehemann und Vater ihrer Kinder widmete. Um diese Kinder zur Welt zu bringen und zu erziehen, zog Patti Smith nach Detroit und zog sich für lange Zeit ziemlich stark aus dem Musikgeschäft zurück.

Erst 1988 erschien mit "Dream Of Life" das nächste Album. Eigentlich sollte es wohl das Comeback werden, doch die weitere Karriere wurde zunächst gebremst durch den Tod von Richard Sohl, dem Keyboarder der Patti Smith Group 1990. 1994 starb ihr Mann Fred an einem Herzinfarkt. 1996 kehrte Patti mit "Gone Again" wieder auf die Bühne zurück, um »Geld zu verdienen« (so soll sie zumindest gesagt haben). Und das macht sie seitdem beständig. Schon 1997 erscheint "Peace And Noise", 2000 dann "Gung Ho". Diese drei Alben gibt es als preiswertes Original Album Classics Patti Smith, das Markus bereits ausgiebig unter die Lupe genommen hat. "Trampin'" (2004), Twelve (2007, als sie in die Rock’n’Roll Hall Of Fame aufgenommen wurde) und Banga (2012) setzen die Reihe der Studioalben fort. Dazu gesellen sich als weitere Veröffentlichungen: diverse Livemitschnitte auf CD und DVD, wie beispielsweise der Gig in Montreux 2005 und Sampler wie Outside Society. Auch weitere Bücher wie das bezaubernde "Woolgathering" (dt. "Traumsammlerin") und das autobiografische "M Train", genauso schön zu lesen wie "Just Kids", hat Patti Smith in den letzten Jahren veröffentlicht. Das Rolling Stone Magazine hat sie auf Platz 47 der größten Künstler eingeordnet. Auf meiner persönlichen Bestenliste bewegt sie sich auf jeden Fall in höheren Regionen und zählt ganz sicher zu den Künstlern, die man unbedingt wenigstens einmal im Leben gesehen haben sollte. Noch tourt sie regelmäßig und hat dabei auch Deutschland bei ihren Zielen dabei.

Die ganze RockTimes-Redaktion wünscht Patti Smith noch viele Jahre bei bester Gesundheit und Kreativität, ob nun beim Schreiben, Fotografieren oder Musik machen!

 

Über den Autor

Sabine Feickert

Hauptgenres: Rock, Deutschrock, Mittelalter, 'leise Töne'
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Mail: sabine(at)rocktimes.de

3 Kommentare

  1. Sabine Feickert

    Danke, Mario!
    Ja, sie ist auf der Bühne wirklich ein ganz besonderes Erlebnis, auch ohne große Show. Ich war wirklich beeindruckt und mag sowohl ihre Musik als auch ihre Bücher sehr.
    Viele Grüße
    Sabine

  2. Mario Keim

    Es war tatsächlich schon 2002, als ich Patti Smith in Jena erlebte (siehe Ilkas Bericht im Archiv). 15 Jahre sind seitdem vergangen. Kinder, wie die Zeit vergeht! Das zweite Mal war die Künstlerin erst 2014 in der Saalestadt zu Gast, ebenfalls in der Kulturarena.
    Mario

  3. Mario Keim

    Sehr schöne Würdigung von Patti Smith zu ihrem 70. Wiegenfest. Ich habe sie auch einmal in der Kulturarena Jena erlebt (sollte das tatsächlich schon 2002 gewesen sein oder war es doch später zu einem zweiten Auftritt?).
    Sie gehört zu den Künstlern, die auf der Bühne vergleichsweise bescheiden agieren, für die eben Musik alles ist und die auf eine glitzernde Fassade verzichten. Das zeigt sie in einer vielseitigen musikalischen Art. Man nimmt ihr auf der Bühne ab, dass sie etwas zu sagen hat.
    Gruß Mario

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