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Phenomena / Phenomena, Dream Runner, Innervision – CD-Review

Phenomena / 1, Dream Runner, Innervision - CD-Review

Kommt man in 'Musikerkreisen' auf die Veröffentlichungen der Phenomena-Trilogie zu sprechen, so hört man immer wieder die Aussage, dass speziell Teil I und mit Abstrichen Teil II zu den Klassikern in der Hard Rock-Geschichte zählen (müssten), wohingegen Teill III fast schon hinten runter fällt. Viele der Meinungsäußernden beziehen sich dabei auf die ursprüngliche Vinyl-Ausgabe mit recht aufwendiger Aufmachung inklusive eines fetten Booklets mit Texten und Erläuterungen. Spätere CD-Auflagen konnten, wie leider so häufig bei diesen rein kommerziell ausgerichteten Schnellschüssen, nicht daran anknüpfen. Es fehlten die Booklets und die klangliche Darbietung hatte zudem 'Luft nach oben'.

Nun kommen Cherry Red Records mit einer komplett neuen Überarbeitung aller drei Teile an den Start und offensichtlich lag den Entscheidungsträgern etwas an einer überzeugenden Aufarbeitung. Wir reden von Double Gatefold-Digipaks mit 28-, 16- und zwölfseitigen Booklets, die keine Wünsche offen lassen. Neben den umfangreichen Liner Notes zur Story des Gesamtkonzepts, wird jeder Track mit Text, farbiger Grafik und allen Mitwirkenden aufgeführt. Dazu ist alles noch einmal remastert worden, was der klanglichen Überzeugung sehr zugute kommt. So far, so good!

Das Stichwort Mitwirkende ist nun in der Tat einer der ganz wesentlichen Faktoren von Phenomena. Handelt es sich mit, Tom Galley, dem "Erschaffer" des Konzepts zwar im Kern um ein und dieselbe Person bei allen drei Veröffentlichungen ("Phenomena" – 1985, "Dream Runner" – 1987, "Innervision" – 1993), so kann man bei der Auswahl der musikalischen Mitwirkenden jedoch nicht von einer Band im ureigenen Sinne des Begriffs reden.

Phenomena / 1

Phenomena / 1

Das Line-up von Teil I liest sich so, als seien die Musiker fast alle irgendwie der Ursuppe von Whitesnake entsprungen (ein übersichtlicher Stammbaum auf dem Innencover belegt das übrigens auch sehr anschaulich). Dazu noch ein Glenn Hughes von Purple sowie ein Ted McKenna und die Sache bekommt Form. Insgesamt eine Truppe, der man alles andere nachsagen kann, aber nicht, dass sie nicht in der Lage sei, tolle Musik zu machen. Und toll klingt auch die musikalische Umsetzung der Story, die hinter dieser Veröffentlichung steht: Ein Wissenschaftler entwickelt einen Computer, den er mit dem Gehirn seiner Stief(?)-tochter verbinden kann. Der echte Vater kommt irgendwie hinzu und versucht, sein Mädel zu retten, während der Professor der Versuchung folgt, sich dann selber an den Rechner anzuschließen – fatal für ihn. Abgedrehte Story, kerniger Hard Rock, der durch das Konzept des Albums stringent zusammengehalten wird und als solches durchgängig gut rüberkommt. Unbestritten ist Hughes natürlich ein klasse Sänger, der auch hier eine tolle Figur macht. Unabhängig vom vielleicht ursprünglich mal vorhandenen Konzept der Reihe, steht "Phenomena 1" als singuläre Veröffentlichung schon recht weit oben in der Reihe der Hard Rock-Alben der achtziger Jahre – das macht dieser Re-Release von Cherry Red sehr deutlich. Als herausragende Stücke könnten z. B. "Kiss Of Fire", "Who’s Watching You" oder auch "Dance With The Devil" genannt werden. Insgesamt ist es aber kein Album mit interessanten und versteckten Ecken und Kanten, die es erst nach vielfachem Hören zu entdecken gilt, sondern durchaus eher in der Reihe des radiotauglichen AOR anzusiedeln, das allerdings auf hohem Niveau. Es würde sich schon allein wegen des Gesangs von Meister Hughes auf der ersten Scheibe lohnen, das komplette Paket zu kaufen!

Phenomena / Dream Runner

Phenomena / Dream Runner

Teil II, "Dream Runner" genannt und zwei Jahre später auf den Markt gekommen, fällt schon durch die stark erweiterte Besetzung auf. Kein durchgängiger Glenn Hughes-Gesang mehr (lediglich auf drei Tracks zu hören) und auch fast alle der alten Garde erscheinen nicht mehr. Zwar sind Mel Galley und John Thomas noch bei einigen Songs an der Gitarre zu hören, den Löwenanteil übernimmt allerdings ein gewisser Kyoji Yamamoto und auch andere mehr oder weniger bekannte Namen stehen auf der Liste, wie z. B. Sänger Ray Gillen oder Scott Gorham.

Irgendwie so ganz verloren gegangen ist auch die Story, die ja Grundlage des ersten Albums aus dieser Reihe gewesen war. Man konnte wegen des Erfolgs des Vorgängers zwar zu einem größeren Label wechseln, musste sich aber wohl den Vorgaben des Marktes beugen und am Ende kam eine kommerziell risikolose AOR-Scheibe der typischen End-Achtziger dabei raus. Vielleicht etwas weniger rockend, dafür mehr Radio-Melodien und für die Masse der Hörer leichter verdaulich (nicht, das Teil 1 außer dem textlichen Inhalt schwere Kost gewesen wäre…). Einige richtig gute Songs verteilen sich über die knappe dreiviertel Stunde, wobei ich subjektiv betrachtet manchmal so meine Probleme mit den wechselnden Sängern habe. Das bitte ich, nicht als Ablehnung von Ray Gillen oder dem ebenfalls vertretenen John Wetton zu verstehen, denn die sind ja anerkanntermaßen richtig Gute! Trotzdem wäre es für mich mit einem einzigen Sänger getan gewesen. Zum Antesten sollte man sich mal "Double 6, 55, Double 4" oder "No Retreat, No Surrender" antun – sehr feine AOR-Dinger, die den Übriggebliebenen unter uns gefallen mögen. "Did It All For Love" war zudem über Wochen eine Nr. 1 in den Charts von diversen südamerikanischen Ländern.

Phenomena / Innervision

Phenomena / Innervision

Zu guter Letzt hat Tom Galley dann mit einem Abstand von sechs Jahren das 1993 erschienene "Innervision" nachgelegt, das als dritter und letzter Teil in dieser Reihe verzeichnet wird. Angeblich war es die lange und vergebliche Suche nach einem geeigneten Label, die dazu führte, dass es so lange dauerte. Auch wenn es zu diesem Album wieder eine Art Konzept gibt, hat die ganze Sache nicht mehr so richtig viel mit dem Ursprungsgedanken zu tun. Schaut man in die Besetzung, so tauchen zwar Scott Gorham als Gitarrist, Michael Sturgis als Drummer und auch der Keyboard-Sampler Leif Johansen wieder auf, aber das war es dann auch schon – sieht man von einem kurzen Gastspiel Brian Mays mal ab. Als Sänger fungiert ein gewisser Keith Murrell, den man z. B. von den Mama’s Boys oder Airrace her kennen sollte. Wie auch schon bei "Dream Runner" handelt es sich im Wesentlichen um polierte (und zwar nicht schlecht) AOR-Stücke, die dem Hörer auf einer Dreiviertelstunde präsentiert werden. Man muss sich nur die Songtitel auf der Zunge zergehen lassen, und weiß sofort, welcher Zeit die entstammen.

Ja, diese Scheibe zu hören, ist ein Genuss für alle Liebhaber des guten alten Stadion Rock. Die Stücke sind eingängig, wer böse ist, sagt kommerziell radiotaugliches Material. Aber, damit ist rein gar nichts verkehrt, hat dieses Genre doch zigtausend Menschen glücklich gemacht. Mag die Instrumentierung manch einem auch zu sehr in seichten Wellen schwingen, mögen die Gesangslinien auch ab und zu einheitlich geglättet anmuten – das Zeug ist stimmig arrangiert und gut umgesetzt präsentiert. Der Gesang, wenn auch nicht von Glenn Hughes, ist auf den Punkt – und passt zum Rest wie die Faust aufs Auge. Gelungen!

So, braucht die Welt das alles jetzt? Wer nur die ersten CD-Veröffentlichungen sein Eigen nennt und Spaß an schön aufgemachten Extras, wie die informativen Booklets hat, der sollte sich – nicht zuletzt wegen der klanglich gelungenen Überarbeitung – ernsthaft überlegen, hier zuzugreifen. Und ja, im Umfeld des Genres betrachtet sind die Alben durchaus Klassiker, die einer ernstzunehmenden Sammlung nicht fehlen dürfen. Die Aufmachung der Trilogie in der Cherry Red-Fassung ist durchweg gelungen und kann absolut ans Herz gelegt werden. In diesem Zusammenhang sei auch noch mal in Erinnerung gerufen, dass Galley vor rund zwölf Jahren einen vierten Teil (vgl. RockTimes-Archiv) in der "Phenomena"-Reihe nachgelegt hat, der – oh Freude – wieder mit Glenn Hughes am Mikro daherkam. Auch konnte u. a. Tony Martin rekrutiert werden, der mit den anderen Mitstreitern für ein feines Album sorgte.


Line-up "Phenomena":

Glenn Hughes (vocals, bass)
Pete Green/Alison McGinnis/Paul Robbins (backings)
John Thomas/Mel Galley (guitars)
Neil Murray (bass)
Cozy Powell/Ted McKenna (drums)
Richard Bailey/Robin Smith/Don Airey (keyboards)
Ric Sanders (fiddle)
Midland Boys Singers Choir
Neil Willars (solo boy vocals)

Line-up "Dream Runner":

Glenn Hughes, Ray Gillen, John Wetton, Max Bacon (vocals)
Kyoji Yamamoto/John Thomas/Mel Galley/Scott Gorham (guitars)
Neil Murray (bass)
Michael Sturgis/Toshihiro Niimi (drums)
Leif Johansen (keyboards, sampling)

Line-up "Innervision":

Keith Murrell (vocals)
Scott Gorham/Brian May (guitars)
Marius Müller (guitars, backings)
Michael Sturgis (drums)
Leif Johansen (keyboards, sampling)

Tracklists:

"Phenomena"

  1. Kiss Of Fire
  2. Still The Night
  3. Dance With The Devil
  4. Phoenix Rising
  5. Believe
  6. Who’s Watching You?
  7. Hell On Wings
  8. Twilight Zone
  9. Phenomena

"Dream Runner"

  1. Stop!
  2. Surrender
  3. Did It All For Love
  4. Hearts On Fire
  5. Jukebox
  6. Double 6, 55, Double 4
  7. No Retreat, No Surrender
  8. Move – You Lose
  9. Emotion Mama
  10. It Must Be Love

"Innervision"

  1. Rock House
  2. Banzai
  3. What About Love?
  4. Into The Fire
  5. A Whole Lot Of Love
  6. Secret Of Love
  7. If You Want To Rock
  8. How Much Do You Love Me?
  9. Shape It Up
  10. Rock My Soul

Gesamtspielzeit: 38:11 (Phenomena 1), 43:12 (Dream Runner), 45:09 (Innervision), Erscheinungsjahr: 2018 (1985, 1987, 1993)

Über den Autor

Jochen von Arnim

Beiträge im Archiv
Genres: Blues, Rock, Heavy Metal

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