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Pink Floyd / Atom Heart Mother – LP-Review

Pink Floyd / Atom Heart Mother

"Atom Heart Mother" war eines der Alben, welches ich seinerzeit bedenkenlos in meinem Zimmer liegen lassen konnte. Die Kuh auf dem Cover erregte höchstens positive Neugier, was der Bub denn da so hört. Und zumindest die erste Seite der LP war durchaus dazu geeignet bei Bedarf zu demonstrieren, dass es neben den ganzen 'Krachmacherscheiben' auch 'Anständiges' im Regal gab.

Dieses 1970 im Oktober erschienene Album von Pink Floyd war deren fünfte Platte und setzte ein paar Marken. So war es das erste quadrophonische Werk der Band, das Stück "Atom Heart Mother" das längste in ihrem Portfolio und Dank Orchester- und Chorbeteiligung auch die erste Platte, die ich zu Hause richtig mit Dampf hören 'durfte'.

Mit Dampf die Vinylausgabe hören, ist auch fast fünfzig Jahre später wieder möglich, denn Pink Floyd Records hat neben anderen Pink Floyd-Scheiben auch dieses ’spaltende' Werk auf 180g-Vinyl neu remastert aufgelegt. Das spaltend bezieht sich übrigens nicht auf das im Albumnamen vorkommende Wort Atom. Der meiner Meinung nach sehr treffende Arbeitstitel 'Epic' sollte einem anderen weichen, man wusste aber nicht so recht, wie dieses Album heißen sollte. Ein zufälliger Blick in eine Zeitung fiel auf einen Artikel über eine Schwangere, der ein mit Atombatterie bestückter Herzschrittmacher eingesetzt werden sollte. Betitelt war der Artikel mit dem dann gewählten Albumnamen.

Nein, das Spalten betrifft die Pink-Floyd-Gemeinde, denn mit "Atom Heart Mother" wussten viele Jünger nicht unbedingt viel anzufangen. Auch in den Augen der Band war es nicht unbedingt etwas Besonderes. David Gilmour nannte es »our weird shit«.
Nachdem Syd Barrett nicht mehr mit an Bord war, befand sich Pink Floyd in einer Art Findungsphase. Es wurde experimentiert und versucht an bis dato Erfolgreichem anzuknüpfen. Der Komponist Ron Geesin bearbeitete, oder besser, bereitete die Schnipsel um das Hauptmotiv auf, engagierte Orchester und Chor und machte aus dem Titeltrack, der in sechs Teile untergliedert ist, eine Suite, die sich gewaschen hat. Ja, ich möchte fast von einer Sinfonie sprechen, die mich seit dem ersten Hören immer wieder begeistert.

Das Hauptmotiv ist einfach nur traumhaft zu nennen. Die Geräuschfetzen, die sich immer wieder unter die Bläser, die Gilmour-Gitarre sowie die Hammond mischen, produzieren eine epische Dramatik. Spätestens wenn der John Alldis Chor seine Stimmen erhebt, möchte man die Zeit festhalten. Diese erste Seite der LP zählt für mich nicht nur zum Besten, was Pink Floyd je in Rille gepresst hat – es sind einfach mit die packendsten 24 Minuten in der Populärmusik. Nicht mehr und nicht weniger. Basta!

Was die zweite Seite der Langrille betrifft, lasse ich mit mir reden. Da kann man gerne geteilter Meinung sein, wenn das Gesamtwerk aber  auch aller Kritik zum Trotz (berechtigterweise) Platz eins der britischen Charts erreichte. Drei der vier Stücke auf Seite zwei sind den Bandmitgliedern Roger Waters ("IF"), Rick Wright ("Summer ’68") und David Gilmour ("Fat Old Sun") zuzuordnen. Das in Teilen akustische "If" ist sehr zurückgenommen und auch Davids Gitarre ist mehr als entschleunigt. In ein ähnliches Horn stößt anfangs Richards "Summer ’68". Hier dominieren allerdings logischerweise die Tasten. Durch Bläsereinsatz und hochmelodiösen Refrain hat die Nummer aber einen starken Pop-Appeal. "Fat Old Sun" zeigt Davids Handschrift in Form eines wunderbaren Gitarrenparts im ansonsten sehr gemäßigten Duktus. "Alan’s Psychedelic Breakfast" ist dem Roadie Alan Stiles gewidmet und der verrückteste und abgedrehteste Song auf "Atom Heart Mother". Diese kleine, dreigeteilte Suite fällt aus dem normalen Ich-höre-jetzt-mal-Musik-Schema eindeutig heraus. Spaß kann man aber trotzdem daran haben, wenn man die Nummer so goutiert, wie sie wahrscheinlich gedacht ist – ein gemütlicher, frühmorgendlicher psychedelischer Frühstücksjam mit musikalisch schönen, aber auch diese Schönheit unterbrechenden Momenten.

Wer wie ich das Album seit Jahrzehnten als lieben Begleiter schätzen gelernt hat, würde die Seite zwei missen, täte sie fehlen. Allerdings ist es unbedingt die "Atom Heart Mother"-Suite, die diesem Pink Floyd-Klassiker die Prädikatssterne ans Revers heftet. Ein tolles Album.


Line-up Pink Floyd:

David Gilmour (guitar, vocals)
Nick Mason (drums & percussion)
Roger Waters (bass, vocals)
Richard Wright (organ, piano,, Mellotron)

Ron Geesin (orchestra, Co-composition)
John Alldis Choir (vocals, background vocals)

Tracklist "Atom Heart Mother":

Side One

  1. Atom Heart Mother
  • Father’s Shout
  • Breast Milky
  • Mother Fore
  • Funky Dung
  • Mind Your Throats Please
  • Remergence

Side Two

  1. If
  2. Summer ’68
  3. Fat Old Sun
  4. Alan’s Psychedelic Breakfast
  • Rise And Shine
  • Sunny Side Up
  • Morning Glory

Gesamtspielzeit: 52:12, Erscheinungsjahr 2016 (1970)

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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