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Quiet Sun / Mainstream – CD-Review

Quiet Sun / Same

Der Canterbury Sound ist eine spezielle Form des Progressive Rock und geografisch in der englischen Grafschaft gleichen Namens zu verorten. Die Musik zeichnet sich hingegen zum gewöhnlichen Prog durch deutlich intensivere Orientierung zum Jazz hin aus, während auf die oft bombastischen Klangwände weitgehend verzichtet wird, Sounds, wie sie ganz besonders im späteren Neo Prog sehr beliebt waren und immer noch sind. Alles in allem eine wunderschöne, sehr virtuose Spielart der Rockmusik, die Band Caravan gehört seit frühesten Jahren zu meinen Freunden auf dem Plattenteller.
Die Gründung der Band Quiet Sun im Jahr 1970 basierte aus der Freundschaft von Bassmann Bill McCormick zu Robert Wyatt von Soft Machine, deren Musik einige Parallelem mit der späteren Platte von Quiet Sun aufweist.

Ein perlendes Piano wie bei "The Lamb…" von Genesis wird sogleich von einer schroff verzerrten Gitarre zerschreddert. Die ausgedehnt dahin ziehenden Saitenklänge vermitteln ein leicht karmesinrotes Empfinden. Doch dann startet Canterbury at its best.
Hypnotisch meditative Exkursionen kreiseln über reduziert pulsierendem Rhythmus, riffige Gitarren und kontrapunktierndes elektrisches Piano gebären aus einem psychedelischen Drift eine Acid-geschwängerte, gedehnt getragen modellierende Gitarre, die etwas von den sehr speziellen Tönen eines Robert Fripp hat.

Die geilen Licks wechseln sich ab mit eindeutig Jazz-orientierten Lines, die wieder und wieder in unser Hirn dringen wie eine schräge Droge. So bekifft klangen Caravan nie, aber genau deshalb vielleicht auch nie so konsequent? "Sol Caliente" steht als ein Statement wie ein Fels in der Brandung und das wiederum recht Crimson-artige Übergangs-Stückchen "Trumpets With Motherhood" will nur die Stimmung ein wenig herunter fahren für einen kakophonisch unorganisierten Klanghaufen, der "Bargain Classics" möglichst unmainstreamig auf die Spur bringt.
Herrlich schräge Hooks splitten die ohnehin schon eher experimentell wirkenden Sounds in ein wüstes Gerüst zwischen jazzigen Attitüden und psychedelischer Spinnerei. Der Rhythmus groovt bei allen avantgardistischen Ausbrüchen immer auf Hochtouren und lässt uns nie den Pfad verlieren.
Und dann der herrliche, farbig schwelende und frei schwebende Raum in "R.F.D.", der den Hörer wie eine Reminiszenz an einen alten Columbo-Film heimsucht. Kopfkino und ausschweifende Klänge direkt aus dem Kleinhirn. Verloren in Raum, doch in tröstlicher Umgebung, geiler Sound.

Die damals zweite Seite der LP beginnt da mit ganz anderem Kaliber. Dröhnend fetzige Riffs stehen eindeutig im Vordergrund, eintönige Akkorde werden von hintergründigem Georgel aufpoliert, die Riffs klingen eine Weile fast ein wenig nach Hawkwind, bis die Gitarre sich stiltypisch aus dem Gebräu erheben darf und jeder die Nähe zu den Größen des Canterbury-Sounds erfreut vernimmt. "Mummy Was An Asteroid, Daddy Was A Small Non-Stick Kitchen Utensil". Wer an dieser Stelle immer noch meint, dass progressiver Rock sich bisweilen zu Ernst nimmt, wird sich an diesem Songtitel erfreuen.

"Trot" wird fast ein wenig Santana-artig aufgemacht und hat noch viel mehr Ähnlichkeit mit Musik aus Deutschland, auch wenn die erst knapp 40 Jahre später entstehen sollte. Colour Haze brachten 2012 ihr Meisterwerk She Said heraus, hier finden wir ein paar wunderschöne Bezüge auf unsere Jungs aus England. Der Wechsel aus dem gitarrenlastigen Auftakt hinein in das jazzige Solo auf dem Piano sorgt bei mir für Gänsehaut. Wie viele Bands mögen sich wohl später an solch eine Musik erinnert haben? Ich glaube schon daran, dass Quiet Sun vielen als Inspiration gegolten hat, auch wenn letztlich nur ein Album der Band im universellen Äther kreist.

Ein krasses Break führt acidtrunkende Gitarren heran und führt uns verführerisch auf den Trip. Und dann ein plötzliches Ende im Nichts? Alter Schwede, wie verrückt kann man aus den Wolken geholt werden.
Anscheinend will uns Quiet Sun in der letzten Nummer des offiziellen Albums ein wenig erden, denn die Strukturen erscheinen plötzlich geordneter, fast ausdrücklich progressiv mit klaren Mustern und deutlichen Hooklines. Markante Basslines leiten über in eine der eher seltenen Gesangspassagen – diese hier erscheint hinter ihrer Verzerrung fast ein wenig schräg. Wie sehr hat Peter Hammill mit solchen Tönen gespielt? Tatsächlich finden wir in "Rongwrong" verschiedene Verwandtschaften mit Van der Graaf Generator, während der bassbetonte Ausklang fast ein wenig nach einem legendären Stück von Renaissance klingt. Verrückt, dass die Gesänge ein wenig an die Sechziger-Nummern von Pink Floyd erinnern, aber vielleicht bilde ich mir das ja auch nur ein.

An dieser Stelle endet das Original-Album.

"Years Of The Quiet Sun" ist ein Original-Demo und eine geile jammige Nummer, die den jazzigen Charakter der Band ausdrücklich unterstreicht. Fusion-Freunde würden hier sicher auch befriedigt werden. Wilde Saxophon-Töne (die offensichtlich mit den Keyboards erzeugt wurden) und ein einzigartig orientalisches Orgelspiel zum Ende tragen diese herrlich improvisierte Nummer. Sie gehört wie schon gesagt nicht zum Original-Album.

"Mainstream" war und ist ziemlich genau das Gegenteil von dem, was der Titel aussagt und das trifft auch auf seine Entstehungsgeschichte zu. Während der zwei Jahre der Aktivität von Quiet Sun war kein Tonträger entstanden und als Phil Manzanera die Band in Richtung Roxy Music verließ, lösten sich Quiet Sun auf. Erst drei Jahre später gab es die finale Initiative von Manzanera, unterstützt von Brian Eno, die alte Band wieder zusammen zu bringen und das Album aufzunehmen. Es blieb ihr einziges, gehört aber zu den Vorzeigeplatten des Canterbury Sound. Interessant nachzulesen ist auch, wie es mit dem einen oder anderen Musiker der Gruppe weiterging. So spielte Charles Hayward eine kurze Zeit bei Gong, jener Band, in der Steve Hillage sich zu einem der abgefahrensten Gitarristen seiner Zeit entwickelte, irgendwie aber immer unter dem Radar blieb. Seine Solo-Platten aus den Siebzigern sind ein Füllhorn feinster Saitenarbeit, das Solo in "Salmon Song" ist absolute Weltklasse – das Album heißt "Fish Risin'", wers mal nachhören mag.
Tastenspieler Dave Jarrett ging einen anderen Weg, er wurde Dozent für Mathematik.

Man darf der Fügung des Schicksals oder einfach der Idee Phil Manzaneras danken, dass die Band letztlich drei Jahre nach ihrem Split doch noch ein Album für die Nachwelt hinterlassen hat, "Mainstream" ist und bleibt eine Perle des europäischen Progressive Rock der Siebziger.


Line-up Quiet Sun:

Bill McCormick (bass, backup vocals)
Phil Manzanera (guitar, piano)
Charles Hayward (drums, percussion, keyboards, vocals)
Dave Jarrett (piano, organs)

Guests:
Eno (synthesizer)
Ian McCormick (backup vocals)

Tracklist "Mainstream":

  1. Sol Caliente
  2. Trumpets With Motherhood
  3. Bargain Classics
  4. R.F.D.
  5. Mummy Was An Asteroid, Daddy Was A Small Non-Stick Kitchen Utensil
  6. Trot
  7. Rongwrong
  8. Years Of The Quiet Sun (Original Demo – Bonustrack)
  9. Trot (Original Demo – Bonustrack)
  10. R.F.D (Warner Bros Demo – Bonustrack)
  11. R.F.D. Part 1 (Mainstream Session – Bonustrack)
  12. Talking History (Interview)

Gesamtspielzeit: 77:07, Erscheinungsjahr: 2015 (1975)

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

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