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Rahsaan Roland Kirk / Rip, Rig And Panic – CD-Review

Der vom 7.August 1935 bis zum 5. Dezember 1977 auf dieser Erde weilende Rahsaan Roland Kirk war ein Unermüdlicher, der sogar weiterspielte, als er 1975 einen Schlaganfall mit der Folge einer halbseitigen Lähmung erlitt. Dieses war für ihn insbesondere tragisch, weil er sich die Fähigkeit angeeignet hatte, mehrere Instrumente gleichzeitig zu spielen. Das waren neben einem Saxofon noch das Manzello und das Stritch.
Manzello? Stritch? Das waren modifizierte Saxofone. Im Übrigen baute sich Kirk Instrumente gern selbst um. Neben allen Saxofon-Typen und Flöten konnte man den Mann auch noch an Klarinette, Mundharmonika, English Horn und der Trompete hören.

Nicht nur, dass der im Alter von zwei Jahren erblindete Musiker so viele Instrumente beherrschte, nein, es waren zudem noch sehr viele Musikstile, die er problemlos abdecken konnte und in seinen ganz speziellen Sound integrierte.
Die Wurzeln waren ihm nicht fremd, Ragtime, Blues, alle frühen Spielarten des Jazz sowie auch Free Jazz, und er näherte sich außerdem wie selbstverständlich dem Soul und der Popmusik.

Am 13.Januar 1965 spielte er die Aufnahmen zu der von mir vorzustellenden Platte, "Rip, Rig And Panic", in den Van Gelder Studios in Englewoods Cliffs, New Jersey ein. Ja, wer meint, diesen Titel schon einmal gehört zu haben, ohne ihn in Verbindung mit Kirk zu bringen, der irrt nicht. Denn eine britische Post Punk-Band hatte sich nach diesem Plattentitel benannt, genau – die Band Rip Rig + Panic, damals noch mit Neneh Cherry in ihren Reihen. Kirk selbst erklärt den Plattentitel wie folgt in den Liner Notes: »Rip means Rip Van Winkle (or Rest in Peace?); it’s the way people, even musicians are. They’re asleep. Rig means like rigor mortis. That’s where a lot of peoples mind are. When they hear me doing things they didn’t think I could do they panic in their minds.« Auf Deutsch: »Rip steht für Rip Van Winkle (oder Ruhe in Frieden?); so sind die Leute, sogar Musiker. Sie schlafen. Rig steht für Rigor Mortis (Leichenstarre), ein Zustand, in dem der Verstand vieler Leute ist. Wenn sie mich Dinge machen hören, die sie mir nicht zugetraut haben, geraten sie in mentale Panik.«

Kirk war ein Meister der Zirkularatmung und vermochte es Töne für längere Zeiträume konstant zu halten. Sein damaliger Produzent, Joel Dorn, hatte gar vorgeschlagen, den Musiker dafür für einen Eintrag in das Guinness-Buch der Rekorde vorzumerken.

Die Songs der vorliegenden Platte haben in der Regel alle einen Bezug."No Tonic Pres" ist eine Widmung an Lester Young, auch "Pres" oder "Prez" genannt. Es soll auf einem Riff von Young basieren, und darauf ist die Melodie des Stücks aufgebaut. Ein temporeicher Einstieg ist das und sogleich spürt man diese ganz hohe Qualität der Musik aufgrund der sehr hochkarätigen Musiker. So wurde die Band mit Elvin Jones am Schlagzeug, Jaki Byard am Klavier und Richard Davis am Bass »als die großartigste Gruppe genannt, mit der Kirk je eine Platte aufgenommen hatte.« Das ist wohl nicht von der Hand zu weisen.

Das sehr bluesige "Once In A While" wurde vom Trompeter Clifford Brown inspiriert, und des Meisters Spiel auf dem Tenorsaxofon lässt ganz stark Reminiszenzen an Ben Webster und Don Byas zu, und das auf diese unnachahmliche Spielweise des Protagonisten.
"From Bechet, Byas, And Fats" ist eine Widmung an gleich drei Musiker, an Sidney Bechet, Don Byas und Fats Waller. Jeder der hier Gewürdigten findet Einzug mit stilistischen Übernahmen seiner jeweils für ihn typischen Spielart.

Das niemandem gewidmete "Mystical Dream" wurde nach einem Traum des Musikers benannt. Hier spielt er Oboe, Stritch und Tenorsaxophon gleichzeitig. Zudem hört man ihn noch an der Flöte, die offensichtlich Spuren der Spielart von Eric Dolphy aufweist.

Und nun zum Titelgeber des Albums. Zwei Musiker werden hier zumindest als Einfluss deutlich: John Coltrane und Thelonious Monk. Zudem wird hier etwas eingefügt, das später öfter Einzug in die Musik von Kirk halten sollte, die Verwendung elektronischer, vorproduzierter Klänge. In diesem Zusammenhang hat er auch den Einfluss von Edgar Varèse deutlich hervorgehoben. So waren das u. a. diverse andere Geräusche, wie von Sirenen, die Nutzung von Stimmenverfremdung, Babygeschrei und zum Schluss hört man ein zerspringendes Glas. Dieses trifft im Übrigen auch auf das letzte Stück der Platte zu. Edgar Varèses Kompositionen "Poeme electronique und Ionisation" sollten hierbei als Inspiration gedient haben. Zwischen den genannten Titeln gibt es noch "Black Diamond", einen sanft wiegenden Walzer, leicht und beschwingt.

Trotz der diversen Vorbilder und Widmungen kopiert Kirk niemals, sondern nutzt diese Elemente lediglich, um seine eigenen Vorstellungen daraus zu entwickeln und zu kreieren. Und dass er in dieser Hinsicht genial war, kann man auf dieser hervorragenden Platte mit Sicherheit nachvollziehen. Für mich stellt sie einen Übergang dar zwischen der vorher nicht ganz so gewagten Klanggestaltung und dem, was nachfolgend noch an Experimenten folgen sollte. Erst relativ spät erfuhr die Platte eine Flut von Ehrungen und Lob, so nahm zum Beispiel die Musikzeitschrift "Jazzwise" das Album in die Liste "The 100 Jazz Albums That Shook the World" auf.


Line-up Roland Kirk:

Roland Kirk (tenor saxophone, stritch, manzello, flute, siren, oboe, castanets)
Jaki Byard (piano)
Richard Davis (bass)
Elvin Jones (drums)

Tracklist Rip, Rig And Panic:

  1. No Tonic Pres [Kirk] (4:34)
  2. Once In A While [Michael Edwards, Bud Green] (4:02)
  3. From Bechet, Byas, And Fats [Kirk] (6:31)
  4. Mystical Dream [Kirk] (2:39)
  5. Rip, Rig & Panic [Kirk] (7:00)
  6. Black Diamond [Milt Sealey] (5:23)
  7. Slippery, Hippery, Flippery [Kirk] (4:56)

Gesamtspielzeit: 35:05, Erscheinungsjahr: 1965

Über den Autor

Wolfgang Giese

Hauptgenres: Jazz, Blues, Country
Über mich: Althippie, vom Zahn der Zeit geprägt, offen für ALLE Musikstile
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Mail: wolfgang(at)rocktimes.de

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