«

»

Rainbow / Live In Munich 1977 (Live At Olympiahalle) – CD- & DVD-Review

Rainbow / Live In Munich 1977 (Live At Olympiahalle) - CD- & DVD-Review

Schweiß, Aggressivität und Showcases unterm Regenbogen

"Long live Rock ’n' Roll", eine Devise, die der 'Man in Black' mit Stromgitarre bis zur Dimission in die Welt der musikalischen Renaissance durchaus zu beherzigen wusste. Ein Zeugnis davon legte er vor ziemlich genau 47 Jahren ab, als er bei einem Konzert in Wien den Saalmanager niederstreckte und im Nachgang Bekanntschaft mit österreichischen Stahlgardinen machte. Dummerweise stand für seine damalige Band Rainbow aber ein Gig in der Münchner Olympiahalle an, den der WDR für den inzwischen legendären Rockpalast in Bild und Ton festhalten wollte.

Und so schwitzte am 19.10.1977 Tourmanager Colin Hart hart vor sich hin und die völlig unbekannte Vorband Kingfish kam auf die Spielzeit ihres Lebens. Aber es nützte nix, irgendwann musste verkündet werden, dass Mr. Blackmore zwei Tage zuvor inhaftiert worden sei und just erst an diesem Abend losgeeist werden konnte, so dass er voraussichtlich erst gegen Mitternacht eintreffen würde.
Tickets konnten zurückgegeben werden, der WDR blieb, eingefleischte Optimisten, Bierleichen und Die Hard Fans ebenso und nach Mitternacht ging es tatsächlich los mit der großen Sause unter einem imposanten Regenbogen, dessen Konstruktion und Einsatz sämtliche Budgets sprengte und Colin Hart weitere Schweißperlen beschert haben dürfte.

Vor 18 Jahren erschien erstmals ein offizielles Dokument dieses denkwürdigen Konzerts als getrennter Ton- und Bildträger, sieben Jahre später eine nicht ganz so totkomprimierte Überarbeitung, diesmal auch als Vinyl und mit einer knapp 12minütigen Kurzdokumentation "Rainbow Over Texas ’76" als DVD-Dreingabe.

Aktuell liegt dem Rezensenten die allerneueste Ausgabe dieses Paketes vor, diesmal allerdings nicht getrennt, sondern beide CDs und die DVD gemeinsam in einem doppelt aufklappbaren Cardsleeve untergebracht, dem ein keinerlei modifiziertes Booklet innewohnt und auch sonst gibt es keine weiteren Evolutionen bei der Bild- und Tonqualität zu bewundern.

Damit nehmen wir Platz in der Zeitreisekapsel und beamen uns zurück in die Zeit des 4:3 Bildformats, abenteuerlich niedrige Zeilenwiederholungsraten, kleine Tonnenmonster als TV-Geräte und punkiger Lärm als der neue heiße Scheiß.
Lärm machten Rainbow in der nur noch spärlich gefüllten Olympiahalle auch, aber letzteres kaschieren die zeittypisch ziemlich dunklen Aufnahmen sehr gut – war doch direkt vor der Bühne die nächtliche Party im vollen Gange – und ersteren zelebriert der unter Strom stehende Bandchef mit nicht immer fehlerfreier, aber ungewöhnlich aggressiver Saitenhexerei in allen erdenklichen Geschwindigkeitsstufen, wobei seine geradezu knochenlose Fingerbeweglichkeit zu faszinieren weiß.

Der damals gerade neu zur Band gestoßene Australier Bob Daisley deutet bereits unverkennbar an, dass hier ein künftiger Genre-Stern am Tieftönerhimmel aufgeht, Power-Drummer Cozy Powell war nicht nur mit seinen Autos schnell unterwegs und verblüfft mit unzähligen Becken aller Größen in seiner Armreichweite, die derart verdroschen werden, dass sie normalerweise krumm und schief in alle Winde verstreut sich hätten verabschieden müssen, während der kleine Mann aus den USA am Mikro die Heavy-Ausgabe eines Paul Rodgers gibt und die Halle vermutlich ohne jede Verstärkung hätte beschallen können … sehr beeindruckend!

Nur der ebenfalls frisch eingestiegene kanadische Tastenmaestro David Stone wirkt umringt von Tastentürmen in diesem Zusammenhang irritierend deplatziert und macht den Eindruck, als wäre er als Rick Wakeman-Inkarnation direkt von der Bühne eines Yes-Konzerts nach München gebeamt worden.

Kennerinnen und Kenner der Materie wissen sicherlich die seinerzeitige Performance einzuordnen, mit besagtem "Long Live Rock ’n' Roll" und "Kill The King" sind zwei Nummern vertreten, die im Folgejahr erst veröffentlicht werden sollten, mit "Gates Of Babylon" und "L.A. Connection" befinden sich diesbezüglich zwei weitere als Promo-Videos in der DVD-Bonusabteilung.

Dem Rezensenten fällt aber als sehr aktiver, neuzeitlicher Rockkonzertgänger jeglicher Größenordnung auf, dass dieses Zeitdokument absolute Längen hat, die bei einem auf sagenhafte 27 ½ Minuten ausgedehnten Yardbirds-Stück ihren Höhepunkt finden. Natürlich brilliert hier ein entfesselter Cozy Powell, der P-O-W-E nicht zufällig in seinem Namen hat, und David Stone darf auch mal ausgiebig testen, ob wirklich alle 5000 Tasten um ihn herum funktionieren, aber es gibt für das Stück keinerlei Mehrwert. Das sind Showcases, die in dieser Form dafür gesorgt haben, dass der Punk als Gegenentwurf das frischere Segel hatte. Und ob Mr. Blackmore am Ende der Show als vermeintlichen Höhepunkt unbedingt beweisen muss, deutlich mehr Destruktivkraft aufbringen zu können, als dies ein gewisser Pete Townshend jemals tat, darf auch mit einem Fragezeichen versehen werden.

Fazit:

Neuer Wein in alten Schläuchen, ein Spruch mit einem weißeren Bart als ihn der Rezensent sein Eigen nennen darf, aber im Grunde bekommen wir hier gar nichts Neues präsentiert.
Es handelt sich schlicht um eine Wiederauflage, die sinnigerweise endlich Ton- und Bildträger vereint, aber leider keinerlei qualitative Verbesserungen offerieren kann. Das Bild ist zeittypisch okay, der Ton übersteuert und mit wenig Tiefe, zumindest von DVD aber gut genießbar. Und der Rock ’n' Roll hatte Mastermind Blackmore noch voll im Griff … wobei sich neben Aggressivität und finsteren Blicken sogar ab und zu ein Lächeln einschlich.


Line-up: Rainbow:

Richie Blackmore (guitars)
Bob Daisley (bass, background vocals)
David Stone (keyboards, background vocals)
Cozy Powell (drums)
Ronnie James Dio (vocals)

Live In Munich 1977 (Live At Olympiahalle):

CD 1:

  1. Introduction (01:45)
  2. Kill The King (05:09)
  3. Mistreated (11:46)
  4. Sixteenth Century Greensleeves (08:56)
  5. Catch The Rainbow (18:15)
  6. Long Live Rock ’n' Roll (07:43

CD 2:

  1. Man On The Silver Mountain (16:26)
  2. Still I’m Sad (27:32)
  3. Do You Close Your Eyes (15:36)

DVD:

Same Track Listing

Bonus Features:

  1. Long Live Rock’n’Roll (Promo Video)
  2. Gates Of Babylon (Promo Video)
  3. L.A. Connection (Promo Video)
  4. Bob Daisley Interview
  5. Colin Hart Interview
  6. Rainbow Over Texas ’76
  7. Photogallery
  8. Slide Show with Audio Commentary

Gesamtspielzeit: CD 1: 53:35, CD 2: 59:36, DVD: 146:00, Erscheinungsjahr: 2024 (1977)

Über den Autor

Olaf 'Olli' Oetken

Beiträge im Archiv
Hauptgenres (Hard Rock, Southern Rock, Country Rock, AOR, Progressive Rock)

1 Kommentar

  1. Thomas

    Es muss wohl Mitte der Achtziger gewesen sein. Da sendete der WDR genau dieses Konzert im Nachtprogramm. Ich saß elektrisiert vor der Glotze. Die On Stage hatte ich zuvor gefühlte 1000 Male durchgehört. Rainbow war eine faszinierende Band und Blackmore zählt immer noch zu meinen Lieblingsgitarristen. Die Kritik von Olli bezüglich der Länge der Songs ist durchaus berichtigt. Das ist mir damals nicht aufgefallen. Aber kein Mensch braucht fast eine halbe Stunde Still i’m sad. Die rund 11 Minuten auf der On Stage aber auf jeden Fall. Aber die Umstände mit der Verzögerung des Konzertes waren ja auch denkbar ungünstig. Wer weiß, was noch alles hätte kommen können, wenn Mr. Blackmore nicht so oft auf allen Positionen ausgetauscht hätte. Sicher hatten alle Lineups ihren Reiz. Aber die Magie gab es nur mit RJ Dio. Long live Rock’n’Roll!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>