Sie können es immer noch perfekt: Beim Video zum Titelsong der neuen Rammstein-CD "Zeit" überlassen die Musiker der gleichnamigen Band nichts dem Zufall. Hier geht es nicht darum, Musik einfach so mit Filmschnipseln zu untermalen. Die Story von Regisseur Robert Gwisdek, der auch im Video zur Single "Angst" Regie führte, ist großes Kino im wahrsten Sinne des Wortes. Einen guten Spielfilm kann man folglich schon mit einer Länge von 5:21 Minuten drehen.
Wer möglicherweise Anstoß nimmt an der Geburtsszene im Video, der hat die Rechnung ohne Rammstein gemacht. Die Akteure der 1994 in Berlin gegründeten Band polarisieren, weil sie gerne bewusst provozieren. Das ist von Anfang an Teil des Konzepts. Der deutsche Rockexport ist längst weltweit gefragt. Entsprechend groß ist die Livepräsenz. Wenn ein Rammstein-Lied irgendwo läuft, dann pocht im Hintergrund schon ein Verkäufer von Merchandising-Artikeln. Das ist Kalkül, das ist legitim. Da stellt sich die Frage nach den Rammstein-Alben. Sie scheinen längst nicht mehr die Bedeutung wie in den Anfangsjahren zu haben. Die aktuelle Produktion "Zeit" ist das achte Album, das auf Rammstein (2019) folgt. Zuvor gab es nach "Liebe ist für alle da" (2009) eine Pause von zehn Jahren bei der Veröffentlichung. "Zeit" könnte getrost "Rammstein 2.0" heißen. Es gibt einerseits mehrere Balladen, was nicht typisch ist für das Sextett aus Berlin. Eine, die noch dazu zu Herzen geht, ist "Zeit". Sie beginnt ruhig, steigert sich aber nach und nach immer mehr in ein gewaltiges Epos. Doch im Ganzen gibt es keinen Titel, den es in dieser Form musikalisch nicht schon einmal zu hören gab. Überraschungen sind Fehlanzeige. Das hat wohl niemand erwartet. Durch den Sprechgesang von Sänger Till Lindemann, dem oft melodiöse Refrains folgen, ist die Struktur der Lieder klar. Das Herz eines Rammstein-Fans schlägt meistens dann höher, wenn krachende Gitarren mit Beginn das Zepter übernehmen. Die Tasteninstrumente von Keyboarder Christian Lorenz alias Flake sorgen genretypisch für das bewährte Kontrastmittel.
"Zeit" ist nicht nur der Titel des Albums. "Zeit" steht auch für dessen inhaltliches Konzept. Deshalb geht es textlich vor allem um solche Themen wie Tod und Abschied ("Meine Tränen", "Adieu"). Schließlich wird in diesem Zusammenhang gern um die Zukunft des Sextetts spekuliert. Gitarrist Richard Z. Kruspe, der mit seiner Studioband Emigrate bereits vier Platten aufgenommen hat, hatte einst laut über einen möglichen Ausstieg gesprochen und diese Diskussion angeheizt. Offiziell ist das Thema gerade erst einmal in den Hintergrund geraten, konzentrieren sich die Künstler vielmehr auf die anstehenden, mehrmals verschobenen Stadientouren. Rammstein belassen es aber nicht nur beim Provozieren ("Dicke Titten"), wobei sie eine eindeutige Sprache bevorzugen. Sie spüren Trends auf und nehmen sich menschliche Schwächen vor. Bei "Zick Zack" dreht sich beispielsweise alles rund um das Phänomen Schönheits-OP. Auch hier war bereits eine Single mit Video ausgekoppelt worden.
Rammstein haben gut und gern einen eigenen Sound kreiert, unabhängig von den Stilrichtungen Metal oder Neue Deutsche Härte. Das macht die Sehnsucht der Anhängerschaft nach ihren Idolen aus. Fernab von der Musik und den Texten ist es keine Selbstverständlichkeit, dass eine Band, die derart im Rampenlicht steht und durch die Touraktivitäten viel Zeit miteinander verbringt, nach 28 Jahren immer noch in der Ur-Besetzung spielt. Umgekehrt macht das wieder einen Teil ihres Erfolgs aus. Die Protagonisten können sich tatsächlich blind vertrauen.
Selbst im Fall von Rammstein handelt es sich um ein Lockdown-Album, das über einen vergleichsweise längeren Zeitraum entstanden ist. Keyboarder Flake erinnert sich an die "Zeit"-Produktion: »Dadurch, dass wir nicht live auftreten konnten, hat sich unsere Kreativität vergrößert. Wir hatten mehr Zeit, uns neue Sachen auszudenken und weniger Ablenkung. Dadurch haben wir eine Platte aufgenommen, die wir so nicht geplant hatten. […] Unsere Themen sind ja generell aus dem täglichen Erleben und aus dem Weltgeschehen und da passiert ja immer was. Unser Thema ist grundsätzlich die Beklopptheit der Menschen und die ist zu Corona-Zeiten nicht viel anders als zu normalen Zeiten. Donald Trump war ja auch letztes Jahr sehr präsent, da konnte man auch viele Wesenszüge entnehmen und von den Leuten generell, wie sie sich verhalten haben im Lockdown.« Die Inspirationsquellen seien deshalb aber nicht neu, so der Mann an den Tasten. »Die meisten Sachen, mit denen man sich beschäftigt, finden am Ende sowieso im eigenen Kopf statt. Von außen kommen bloß so kleine Anstöße und da kommt auch genug durch, wenn die Straßen nur halb so voll sind.«
Internationales Flair gab es erneut bei der Auswahl des Studios. So wurde "Zeit" in den Les Studios de La Fabrique in dem französischen Ort Saint-Rémy-de-Provence aufgenommen. Es ist die gleiche Adresse, unter der schon der Vorgänger "Rammstein" eingespielt worden war. Interessant ist, dass es "Zeit" nicht nur als CD, auf Vinyl und als digitales Format gibt, sondern zusätzlich auf Kassette.
Line-up Rammstein:
Till Lindemann (lead vocals)
Richard Z. Kruspe (lead guitar, backing vocals)
Paul Landers (rhythm guitar, backing vocals)
Oliver Riedel (bass)
Christoph 'Doom' Schneider (drums, percussion)
Christian 'Flake' Lorenz (keyboards)
Trackliste "Zeit"
- Armee der Tristen
- Zeit
- Schwarz
- Giftig
- Zick Zack
- OK
- Meine Tränen
- Angst
- Dicke Titten
- Lügen
- Adieu
Gesamtspielzeit: 44:08, Erscheinungsjahr: 2022
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