«

»

Ray Davies / Americana – CD-Review

Ray Davies - Americana - CD-Review

Jau, der Name ist Programm! Ray Davies, der uneingeschränkte Herrscher der Kinks (die seit mittlerweile 25 Jahren auf Eis liegen, sich aber nie offiziell aufgelöst haben) hat sich schlappe zehn Jahre nach "Workingman’s Cafe" zu einem weiteren Soloalbum hinreißen lassen. Und das ist verdammt gut so, denn der Mann hat nach wie vor nicht nur Power, sondern großartige Songs und Melodien scheinen ihm nach wie vor spielerisch aus den Ärmeln zu fließen. Als Begleitband hatte der Engländer The Jayhawks für dieses Album engagiert, was – wie sich herausstellen wird – eine sehr clevere Idee war. Der Name des neuen Albums ist wie gesagt Programm und der gute alte Ray liefert mit dem Titelsong erstmal eine Liebeserklärung an das Land der (un)begrenzten Möglichkeiten ab. Und das tatsächlich im Americana-Stil mit wunderbar warmem Sound und schönen Melodien. Der eröffnende Titelsong setzt sich davon abgesehen auch sehr schnell in den Gehörgängen fest und will gar nicht mehr so richtig raus. Interessant, dass der Ober-Kink im Text auch seinen Bruder Dave erwähnt, da das Verhältnis der beiden ja bereits seit der Kindheit sehr angespannt war, um es mal gelinde auszudrücken.

Der Ton für das gesamte Album wurde also bereits durch den Opener gesetzt. Rays berühmt-berüchtigter Zynismus schlägt dann aber umgehend bei "The Deal" zu, in dem er nicht nur den amerikanischen Lebensstil, sondern auch noch den American Dream am Beispiel eines jungen, aufstrebenden Musikers aufs Korn nimmt. "Poetry" hat gar sarkastische Anflüge, die ansonsten einen coolen, wieder etwas rockigeren Ray Davies-Song verfeinern. Das Thema USA zieht sich durch die gesamte Scheibe und "The Mystery Room" weist gar Spuren des Blues aus dem tiefsten Süden auf. Auf das kurze, zu spärlicher Gitarren-Begleitung gesprochene "Silent Movie" folgt die großartige Ballade "Rock’n’Roll Cowboys", die im Refrain in der ewigen Frage »Do you live in a dream, or do you live in reality?« endet. Das ist klasse gemacht, so gut wie es eben nur die Besten können.

Es ist nicht alles Gold, was auf "Americana" glänzt und so kratzt "A Place In Your Heart" im Duett mit Karen Grotberg fast schon am Schmalz. Einer der wenigen Kritikpunkte bezüglich dieser Scheibe. Ein hammergeiler Rocker ist dagegen "The Great Highway", der mit einem relativ simplen, dafür aber umso effektiveren Riff auffährt und den Hörer nach eher verhaltenen Strophen im Refrain dann so richtig mitreißt. Locker-beschwingt verströmt "I’ve Heard That Beat Before" jazzigen Swing zu einem bittersüßen Text, der sich mit Selbst-Reflektionen, aber auch einer gewissen Langeweile wegen immer wiederkehrenden Situationen im Leben beschäftigt. "The Invaders" wirft zu melodiöser Roots-Musik einen Blick zurück in die Mittsechziger, als die Musiker der Kinks zum ersten Mal in den USA auf Tour waren und dort nicht unbedingt von jedem mit offenen Armen wurden.

Aus der Sicht eines sich auf Tour befindenden Musikers schickt der Protagonist in "Message From The Road" melancholische Grüße an die Familie, die dann gesanglich prompt von seiner Frau (erneut gesungen von Karen Grotberg) beantwortet werden, die natürlich ganz genau Bescheid weiß, was dort hinsichtlich Partys, Groupies und auch illegalen Substanzen so abgeht. Ebenso weiß sie, dass – hat er seine momentane Traurigkeit erstmal überwunden – das Leben am nächsten Tag genauso weitgergehen wird. Mehr Pressetermine, mehr Superstar spielen, mehr Groupies und mehr Partys. Wie diese Geschichte wohl ausgegangen sein mag, als der Protagonist nach Ende der Tour nach Hause kam? Die Scheidungsrate bei Berufsmusikern soll ja recht hoch sein… Aber wie auch immer, Ray Davies ist so clever, dass er uns hier lediglich ein paar Brocken, ein paar Minuten im Leben eines solchen (Musikers) präsentiert und sich im Kopf des Hörers dann unweigerlich ein ganz eigener Film in Bewegung setzt.

"A Long Drive Home To Tarzana" ist eine altersweise Reflektion, von der ich mal nichts vorwegnehmen möchte, die für sich selbst zu entdecken daür umso mehr lohnt. "Change For A Change" kann das fast durchgehend sehr hohe Qualitätslevel nicht halten, dafür rockt "Wings Of Fantasy" zum Abschluss nochmal zwar verhalten, deswegen jedoch alles andere als schlecht und mit tollen Melodien ab.

Insgesamt ist dem Londoner mit "Americana" zwar vielleicht nicht die beste Scheibe seiner Karriere gelungen, eine sehr gute ist es dennoch geworden. Wahrscheinlich wäre sie noch besser, wenn sie etwas komprimierter (beispielsweise nur zwölf statt fünfzehn Tracks) ausgefallen wäre. Ray Davies wäre aber nicht Ray Davies, wenn er nicht auch hier eine ganze Ladung an richtig starken Songs abgeliefert hätte. The Jayhawks haben ebenso einen sehr guten Job abgeliefert und Musik-Fans, die erstmal reinhören wollen, sollten am besten den Titelsong, "The Deal", "The Great Highway", "Rock’n’Roll Cowboys", "The Invaders" oder "Wings Of Fatasy" anhören. Ich hätte hier jetzt zwar noch einige weitere Nummern nennen können, aber falls euch die oben genannten zusagen, könnt (und solltet!) ihr euch diese Scheibe unbedingt zulegen.

Ray Davies hat schon immer hohe Qualität abgeliefert und das wird sich in diesem Leben garantiert auch nicht mehr ändern.


Line-up Ray Davies:

Ray Davies (guitars, piano, percussion, lead & background vocals)
Bill Shanley (acoustic & electric guitars, background vocals)
Gary Louris (acoustic & electric guitars, background vocals)
Marc Perlman (bass, background vocals)
Tim O’Reagan (drums & percussion, background vocals)
Karen Grotberg (piano, keyboards, lead & background vocals)
John Jackson (mandolin, violin, acoustic & electric guitars, percussion, background vocals)

With:
Ian Gibbons (Hammond organ, accordion, piano)
Kraig Jarrett Johnson (electric guitar – #12,15)
Melvin Duffy (pedal steel – #1)
Richard Causon (harmonium – #6)
Paul White (drums – #11)
Ian Jennings (double bass – #11)
Ben Waters (piano – #11)
Paul Clarvis (percussion)
Andrea Grant (background vocals – #3,13)
Lorraine Cato (background vocals – #3,13)

Tracklist "Americana":

  1. Americana
  2. The Deal
  3. Poetry
  4. Message From The Road
  5. A Place In Your Heart
  6. The Mystery Room
  7. Silent Movie
  8. Rock’n’Roll Cowboys
  9. Change For Change
  10. The Man Upstairs
  11. I’ve Heard That Beat Before
  12. A Long Drive Home To Tarzana
  13. The Great Highway
  14. The Invaders
  15. Wings Of Fantasy

Gesamtspielzeit: 58:33, Erscheinungsjahr: 2017

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv
News
Meine Konzerberichte im Team mit Sabine
Mail: markus(at)rocktimes.de

1 Kommentar

  1. Christian Teping

    Perfekte Beschreibung dieser tollen CD!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>