Begnadete Songwriter gibt es bekanntlich so einige, aber Musiker, die quantitativ und dazu auch noch qualitativ so gnadenlos hochgradig unterwegs sind bzw. waren wie Ray Davies, die kann man fast an einer bis zwei Händen abzählen. Zugegebenermaßen hält sich der Output an Soloalben des Engländers nach dem (immer noch nicht offiziellen) Ende der Kinks in den neunziger Jahren im durchaus überschaubaren Rahmen, qualitativ lieferte Ray aber immer bzw. enttäuschte nie. Im Sommer 2017 erschien das sehr starke Americana und zur Überraschung vieler steht ca. ein Jahr später bereits der zweite Akt dazu mit dem Namen "Our Country" in den Startlöchern. Logischerweise gehören die beiden Scheiben zusammen, was bei Kinks-Fans natürlich umgehend Erinnerungen an die Phase in den Siebzigern aufkommen lässt, als Davies für etwa eine halbe Dekade zum Leidwesen seiner Plattenfirma Konzeptalben der Marke "Preservation Act I & II", "Soap Opera" oder "Schoolboys In Disgrace" vom Stapel ließ.
Wie auch schon bei "Americana", ist "Our Country" mit über einer Stunde Spielzeit ebenfalls wieder prall gefüllt. Wobei der Londoner diesmal auch auf älteres Material zurückgegriffen hat, das hier lediglich neu aufgefrischt wurde. "The Invaders" vom Vorgänger kommt hier noch einmal in der Spoken Word-Version, "The Getaway" stammt original aus der Scheibe "Other Peoples Lives" (2006), "The Real World" war bereits auf "Working Man’s Cafe" (2007) vertreten und "Oklahoma USA" erblickte erstmals auf dem Kinks-Klassikeralbum "Muswell Hillbillies" (1971) das Licht der Welt. Bei insgesamt 19 neuen Tracks hält sich das aber durchaus im Rahmen und wer außerdem so ganz nebenbei noch solche neuen Perlen wie etwa das rootsige "Bringing Up Baby", das rockige "The Take" (mit Karen Grotberg an den Lead Vocals, während Davies eine Spoken Word-Performance abliefert), das leicht (New Orleans-) jazzige "March Of The Zombies" oder "Muswell Kills" aus dem Ärmel zaubert, scheint ohnehin von einem anderen Stern zu kommen.
Das Grundkonzept hinter den beiden "Americna"-Platten ist die autobiographische Geschichte, wie der gute Ray als Heranwachsender zunächst extrem durch die amerikanische Musik beeinflusst wurde, anschließend selbst eine Band (The Kinks) gründete, das erste Mal über dem Teich (wegen der dortigen Gewerkschaft mit katastrophalen Folgen) auf Tour war und nach Jahren der Verbannung aber wieder zurückkehren durfte. Weitere kurze Episoden und Personen des Tour-Lebens in den USA werden neu beleuchtet und natürlich auch der Vorfall in New Orleans, als Davies von einem Klein-Kriminellen (bei dem Versuch ihn auszurauben) angeschossen wurde. Als Band hatte er neben dem Gitarristen Bill Shanley wieder The Jayhawks (plus mehr als zehn weitere Gäste) an seiner Seite, die ihre Sache erneut hervorragend gemacht haben. Der Americana- bzw. Roots Rock-Sound lässt keine Wünsche offen und rundet das insgesamt sehr gute Bild stimmig ab.
Ein Mann wie Ray Davies scheint letzten Endes schlicht und ergreifend unfähig zu sein, ein mittelprächtiges oder gar schlechtes Album abzuliefern und so kann man auch bei "Our Country – Americana Act II" bedenkenlos zugreifen. Allerdings – und das muss auch ganz klar gesagt werden – empfand ich den ersten Teil dieses Werkes (das Vorgänger-Album) doch um einiges stärker. Mag sein, dass es an den vielen Spoken Word-Einlagen liegt, die mich oft an eine Musical-Version im Americana-Stil denken lässt (Ray Davies arbeitet zur Zeit tatsächlich an einem Theater-Stück, das auf den beiden "Americana"-Alben basiert), es mag aber auch sein, dass die vorherige Platte einfach über noch bessere Songs verfügt.
Wie dem auch sei: Auch diese Scheibe ist eine kleine Perle im Ray Davies-Lebenswerk, die man nicht missen sollte! Vielleicht gerade auch deshalb, weil die Lyrics die wahrscheinlich persönlichsten sind, die er bisher veröffentlicht hat.
Line-up Ray Davies:
Ray Davies (guitars, piano, percussion, lead & background vocals, spoken word)
Bill Shanley (acoustic & electric guitars, background vocals)
Gary Louris (acoustic & electric guitars, background vocals)
Marc Perlman (bass, background vocals)
Tim O’Reagan (drums & percussion, background vocals)
Karen Grotberg (piano, keyboards, lead & background vocals)
John Jackson (mandolin, violin, acoustic guitars, background vocals)
With:
Mick Talbot (Hammond organ)
Ben Waters (piano – #10,11)
Ian Jennings (doule bass – #10)
Dick Nolan (bass – #11)
Paul White (drums – #10)
Toby Baron (drums – #11)
Ife Ogunjobi (trumpet – #14,15)
Tom Waters (alto saxophone – #14,15)
Adam Davy (tenor saxophone – #14,15)
Tom Lark (trombone – #14,15)
The Crouch End Festival Chorus (choir – #1)
Tracklist "Our Country – Americana Act II":
- Our Country
- The Invaders (spoken word)
- Back In The Day
- Oklahoma U.S.A.
- Bringing Up Baby
- The Getaway
- The Take
- We Will Get There
- The Real World
- A Street Called Hope
- The Empty Room
- Calling Home
- Louisiana Sky
- March Of The Zombies
- The Big Weird
- Tony And Bob
- The Big Guy
- Epilogue
- Muswell Kills
Gesamtspielzeit: 61:19. Erscheinungsjahr: 2018
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