Ray Wilson ist nicht bloß ein Musiker. Zusammen mit Warren Haynes und Hubert von Goisern gehört er ganz sicher zu den faszinierendsten Persönlichkeiten, die ich je auf der Bühne habe erleben dürfen. Und da waren einige sehr bekannte Leute dabei. Ray pflegt eine tiefe Beziehung zu meiner Heimatstadt Duisburg. Nach so vielen Konzerten hat er bei uns längst Kultstatus erreicht, ist er längst einer von uns. Schimi lässt grüßen. Ja, Duisburg liebt Ray Wilson und Ray Wilson liebt Duisburg.
Seine Musik zu würdigen führt leider nicht an der ewigen Frage vorbei, wie man es denn hält mit der Musik von Genesis. Bist Du für Peter Gabriel oder Phil Collins oder Ray Wilson? Welche Phase war die wahre Genesis-Zeit?
Was soll ich sagen, ich war und bin ein Purist und denke, dass die Werke aus Peters Tagen zum Anspruchsvollsten und Besten gehören, was in der Rockmusik geschaffen wurde. Und ich glaube eben auch, dass Ray Wilson der Band Genesis ihre Seele zurückgegeben hat, als er damals den Gesangspart von Phil übernommen hat. Aber das muss jeder für sich entscheiden.
In diesem Sommer, zum vierten Mal in Folge, durfte ich die Band annähernd zweimal erleben. Frühzeitig aus dem Büro verschwunden und den nahenden Urlaub im Visier geriet ich völlig unvermittelt in den Soundcheck von Ray. Auf der Bühne inmitten der City, zum Stadtfest des hiesigen Eishockey-Vereins offenbarten sich Ray und seine Bande schon jetzt als echte Gefühlszauberer. Sie spielten knapp 40 Minuten lang vollständige Versionen von Songs, die einen getrost durch den Sommer bringen können. Zwei davon haben mich selbst bei den hohen Temperaturen frösteln lassen. Eine wunderschöne Version des Pink Floyd–Hits "High Hopes" mit einem genialen geslideten Solo auf der akustischen Gitarre und ein neuer Song, der, wenn ich es mir recht eingeprägt habe, "Makes Me Think Of Home" heißt und im Oktober auf dem neuen Album erscheinen wird. Eine traumhaft melancholische Nummer mit einem sehr emotionalen Solo von Rays Bruder Steve. Das waren schon jetzt Momente, wo mir die Nackenhaare bis zum Anschlag standen. Mitreißende Live-Musik schon lange vor dem eigentlichen Konzert.
Selbiges erfüllte dann genau diese Erwartungen. Ray Wilson ist ein Magier. Charismatisch, natürlich und sympathisch. Er spielt mit Stimmungen, mit dem Publikum, mit seinen Musikern und ist dabei ungeheuer authentisch und freundlich. Kein Showman, sondern ein netter Kerl mit einer grandiosen Show.
Und dann kommt schon wieder die Gewissenfrage ins Spiel. Bei "Carpet Crawlers", dem legendären Song aus dem Zyklus "The Lamb Lies Down On Broadway", der mich einst in den Kosmos von Genesis hineinzog und bei dem das künstlerische Ausdrucksvermögen eines Herrn Collins aus meiner Sicht niemals ausreichte, gibt es tatsächlich nur eine Alternative. Ray Wilson singt diesen mir fast schon heiligen Song tatsächlich mit der gleichen Inbrunst und kreativen Kraft wie einst Peter Gabriel. Ich kriege selbst in der Nachberichtserstattung noch Gänsehaut, wenn ich an diesen Song denke. Ein Stück meiner Jugend. Danke Ray!
Überhaupt lässt sich wieder einmal feststellen, wie sehr diese wunderbare Band auf äußerst organischem Grund und Boden mit Geige, Flöte, Piano selbst die Genesis-Nummern veredelt, die im Original viel zu sehr unter Synthie und zu flachem Gesang gelitten haben. "Follow You, Follow Me" ist so ein Beispiel, wenn das Solo mal eben auf der Geige gespielt wird. Organisch eben und mit Rays ausdrucksstarker Stimme eine Klasse-Nummer. Zwischendrin immer wieder auch Eigenkompositionen von Ray wie das hinreißende "Wait For Better Days", die zeigen, dass es eigentlich keiner berühmten Cover bedürfte, um die Klasse dieser Band zu belegen. Nur um im nächsten Moment den Klassiker "Ripples" aus der Post-Gabriel-Ära zu einem Juwel aus akustischen Träumen und perfektem Arrangement werden zu lassen. Aber am Ende des Sets geben sie alle noch einmal Gas, wenn Duisburgs Fangemeinde mit den treibenden und mitreißenden Rhythmen von "Congo" warm getrommelt wird und schließlich das Intro für den alten und immer noch fantastischen Stiltskin-Kracher "Inside" erklingt. Scheint so, als ob die Band hier noch einmal alle Kraft zusammen nimmt. Es gibt mächtig auf die Ohren, eine Hymne zum Mitgröhlen, Abrocken, Glücklich sein. Don’´t keep it, inside. If you believe it, don’t keep it all inside!
Und wenn die Stimmung auf dem Siedepunkt angelangt zu sein scheint, dann geben sie uns "Mama". Schon im Original ein unglaublicher Song, aber mit Hand gemachtem Hintergrund und Rays überragender Performance wird dieser Song zu einem alles überdauernden Kunstwerk.
Gigantisch, wie er sich in dieses Meisterwerk hinein arbeitet, den Schmerz und die Verzweiflung, wenn es heißt »Can’t you feel my heart« und »Mama, you’ve taken away my last chance«. Das geht derbe unter die Haut, doch am Ende wird er von seinem Bruder Steve hinein getragen in ein grandioses finales Gitarrensolo. Und die Musik von Ray Wilson lebt auch mit den mitreißend leidenschaftlichen Saxonphon-Soli von Marcin Kajper, der Ray schon seit vielen Jahren begleitet. Ein begnadeter, junger Musiker und auch ein talentierter Entertainer im Hintergrund. Das ist ja gerade das perfekte an Ray Wilsons Band. Zu einem charismatischen, super sympathischen Künstler gesellen sich einige fantastische, empathische Musiker und verschmelzen mit der Wucht ihrer berühmten Song-Vorlagen zu einem großartigen Erlebnis. Das ist der Geist von Genesis, so wie er einst erschaffen wurde.
Am Ende spielt Ray seine Zugabe allein. Ganz Duisburg singt "In The Air Tonight" und ist, egal welcher Genesis-Fraktion man nun anhängen mag, endlich auch mit Phil Collins versöhnt. Und wenn die Band zurückkehrt auf die Bretter, dann gibt es "Knocking On Heaven’s Door" und ich freue mich wieder einmal, wie Text sicher doch die Leute in meiner Stadt sind. Ich hab’s ja gesagt, Duisburg liebt Ray Wilson und im Herbst kommt er zurück zu uns mit dem neuen Album im Gepäck. Ein Pflichttermin im Steinhof.
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