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Renaissance / Live At Fillmore West 1970 – LP-Review

Renaissance / Live At Fillmore West 1970

Recht kurz war die Dauer der Band Renaissance, sofern man das unter dem Gesichtspunkt der Urbesetzung sieht. Abertausende Diskussionen wurden wohl schon darüber geführt, ob es Sinn macht, einen Bandnamen beizubehalten, wenn der (die) Hauptprotagonist(en) nicht mehr dabei ist (sind). Und wie verbissener könnte man diese Diskussion führen, wenn sich das komplette Line-up ändert? Darf, soll, muss vegetarische Salami den Namen Salami tragen? Nun, was die Wurst betrifft, wären Korrekturen noch möglich. Im Falle von Renaissance ist keine Änderung mehr möglich. Die Urbesetzung hielt von 1969 bis 1970 und genau um diese Truppe um Keith und Jane Relf, Jim McCarty, Louis Cennamo sowie John Hawken geht es bei vorliegender Platte.

Die Band ist in unserem Index mit neun Alben vertreten. Bis auf das gleichnamige Debüt haben sie mit der Besetzung dieses Vinylalbums aus dem Hause Sireena allerdings nur den Namen gemein. Dass Keith und Jim von den 1968 aufgelösten Yardbirds kamen, das kurzlebige Folkduo Together gründeten, um dann schließlich mit John, Louis (Ex-Jody Grind) und Keith' Schwester Jane Renaissance aus der Taufe zu heben, dürfte bekannt sein. Mehr aus dieser Zeit gibt es in Mannis Review zur Debütscheibe zu lesen, auf der sich auch drei der vier Stücke von "Live At Fillmore West 1970" befinden.

Die Songs wurden am 6. März 1970 im Fillmore West mitgeschnitten. Dort supporteten Renaissance die Paul Butterfield Blues Band. Die Show wurde jedoch nicht per Profi-Equipment von einem Label aufgezeichnet, sodass für die Platte Material aus Jim McCarthys Privatarchiv verwendet wurde. Daher ist, trotz aller Bemühungen des Berliner Exil Studios um Marlon Klein, von audiophilem Hörgenuss nicht zu reden. Um nochmal die Salami zu bemühen, vielleicht schmeckt die vegetarische Salami im Vergleich zu einer echten, analog dem klanglichen Unterschied einer professionellen- zu einer Privataufnahme …

Aber das spielt eine untergeordnete Rolle, denn diese Platte ist ein Zeitdokument und zeigt Renaissance in sehr guter Verfassung, bzw. Spielfreude. "Innocence" ist das reine Brodeln und zeigt die Klasse der Musiker. Allen voran und allgegenwärtig die geniale Tastenarbeit von John Hawken und natürlich das Bassspiel Louis Cennamos. Besonders Letzteren zu verfolgen lässt den muffigen Klang fast vergessen, obwohl schon die Lust aufkeimt, dieses Viersaitenwunder mit voller Dynamik zu hören. Da hätte man wohl dabei sein müssen, damals, vor 47 Jahren im Fillmore West.

Der Track zeigt auch, dass Renaissance mit ihrer Mischung aus Prog Rock, Folk Rock und eingesprenkelten Klassikmomenten ihrer Zeit wahrscheinlich voraus waren. Ihre beiden Alben wurden nämlich von den Kritikern gelobt, aber der Erfolg wollte sich nicht einstellen. Dass die Folk Rock-Schublade überhaupt bemüht wurde, lag sicher auch an einem Song wie "Wanderer". Dort hat Jane Relf ihren Moment, wenn sie in bester Folk-Tradition mit ihrer Stimme die Richtung vorgibt.

Ganz anders dagegen die fast fünfzehnminütige Nummer "No Name Raga". Dieses Stück ist ein Monsterjam, der alle Facetten der Band in bemerkenswerter Weise aufzeigt. Neben Keys und Bass schwitzen jetzt auch die Hände an der Gitarre und den Drumsticks – nebst den Gitarristenfüßen am Wah Wah-Pedal. Eine gehörige Spur Psychedelic liegt in der Luft und gekonnt gesetzte Breaks sowie Tempiwechsel machen die Sache spannend. "Bullet", das härteste Stück der vier Nummern startet mit hart angeschlagenen, der Klassik entnommenen Tasten und ist mit psychedelischem Heavy Blues Rock im Prog-Gewand sicher gut beschrieben. Nicht beschrieben im Line-up ist allerdings die Blues Harp, die da gegen Ende aufspielt. Ebenso nicht erwähnt – und das finde ich befremdlich – sind die Urmusiker und somit Bandgründer und Namensgeber, noch deren beiden Alben auf der Renaissance-Website. So ist das also: vegetarische Wurst essen, aber das Metzgereischild über der Haustür hängen lassen …

Umso mehr ist es daher begrüßenswert, dass sich Sireena diesen alten Aufnahmen gewidmet hat. Der Vollständigkeit halber sei  bemerkt, dass Angel Air im letzten Jahr die Show auf CD herausgebracht hat. Mit Bonustracks (nicht vom Konzert, dort wurden nur die vier hier erwähnten Nummern gespielt), aber eben nicht auf Vinyl. Und mal ehrlich, in der Renaissance gab es doch noch keine CDs …

Die Sireena-Ausgabe ist auf 1000 Exemplare limitiert und wiegt 180 Gramm.


Line-up Renaissance:

Keith Relf (vocals, guitar)
Jim McCarthy (drums, vocals)
Jane Relf (vocals, percussion)
Louis Cennamo (bass)
John Hawken (keyboards)

Tracklist "Live At Fillmore West 1970":

Seite 1:

  1. Innocence (9:19)
  2. Wanderer (4:15)

Seite 2:

  1. No Name Raga (14:20)
  2. Bullet (7:52)

Gesamtspielzeit: 35:46, Erscheinungsjahr: 2017 (1970)

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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