«

»

Richard Thompson / Ship To Shore – Digital-Review

Richard Thompson - "Ship To Shore" - Digital-Review

Wenn es um das Thema 'Lebende Legenden' geht, wird der Name Richard Thompson leider oft vergessen. Denn der im Jahr 1949 geborene Engländer ist bis heute ein Musiker, der eher in gut unterrichteten Szene-Kreisen Ehre sowie Kult-Status genießt, während die breite Öffentlichkeit, oder das sogenannte Mainstream-Publikum, bei der Erwähnung seines Namens nach wie vor völlig im Dunkeln tappt. Im zarten Alter von 18 Jahren gründete der gute Richard 1967 die Folk Rock-Band Fairport Convention, die bereits im Juni 1968 ihr gleichnamiges Debüt vorlegte. Nach dem Ausstieg der Sängerin Sandy Denny im Nachgang zu der Platte "Liege & Lief" (1969) hatte auch Thompson nach der fünften Scheibe "Full House" (1970) genug und entschied sich ganz bewusst für eine Solokarriere, für die er 1972 das Erstwerk "Henry The Human Fly" vorlegte. Unglaubliche 52 Jahre und weitere 24 Alben später liegt dem Rezensenten nun mit "Ship To Shore" das brandneue Werk des Engländers vor.

Richard Thompson war immer schon sehr stark im British Folk und Folk Rock verwurzelt, was er auch auf seinem neuen Werk kaum verhehlen kann. Auf "Ship To Shore" webt er dabei ein dichtes, atmosphärisch sehr stabiles Netz, dem man sich nach nur wenigen Durchläufen der Platte kaum noch entziehen kann. Dabei wird der Opener "Freeze" zunächst einmal mit Melodiebögen aus der östlichen Musik und den agilen Drums von Michael Jerome gestartet. Konzentriert man sich wie der Verfasser dieser Zeilen zunächst auf die dunkle und nicht (mehr?) gerade über alle Maßen variable Stimme des Briten, so kriechen schon sehr bald anschließend die starken Melodien und cleveren Arrangements dieser Tracks unter die Haut. Eines Morgens vor wenigen Wochen wachte der Rezensent auf und hatte diesen Song im Kopf, der sich wie der Rest eines Traumes immer weiter wiederholte. Bewusst war ihm das Stück gar nicht bekannt, bis er es am selben Abend noch einmal aus den Boxen seiner Anlage wabern hörte. Es war "Trust" vom neuen Richard Thompson-Album. So viel zur Tiefenwirkung dieser Scheibe.

Dazu hatte der Bandleader für diese Aufnahmen sehr feine Musiker um sich geschart. Es gibt immer wieder schöne Duelle zwischen dem Protagonisten und dem zweiten Gitarristen Bobby Eichhorn, mit dem er sich ansonsten hervorragend ergänzt. Taras Prodaniuk am Bass und der bereits erwähnte Percussionist Michael Jerome bilden die so variable wie solide Rhytmus-Abteilung, während an der Fiddle von David Mansfield immer wieder Farbtupfer setzt. Und last but not least wird Thompson gesanglich von Zara Phillips unterstützt, die nach meinem Gefühl etwas zu weit in den Hintergrund gemixt wurde. Oft (unter anderem bei "Life’s A Bloody Show") hat man bei der Platte das Gefühl, dass es hier um einen Rückblick bzw. eine Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit geht. Manchmal zornig, oft melancholisch, aber ultimativ und abschließend einerseits schulterzuckend ("What’s Left To Lose") und andererseits positiv nach vorne blickend ("We Roll").

"Ship To Shore" zieht den interessierten Hörer bereits nach kurzer Zeit in seinen Bann und will auch nicht mehr loslassen. Dabei fährt Richard Thompson hier einen ganz eigenen Stil mit eigener Rhythmik auf, die im übertragenen Sinn an Tom Waits in den achtziger Jahren bzw. dessen "Frank’s Wild Years"-Trilogie erinnert. Die sehr dichte Atmosphäre hatte ich bereits erwähnt, eine Atmosphäre, die vom Bauchgefühl aber auch etwas Beunruhigendes, Gespenstisches in sich trägt. So, als würden hier viele Geister aus der Vergangenheit beschworen und wieder zum Leben erweckt werden, die nun ihr neues Unheil treiben. Aber das nimmt man bei so starken Songs wie etwa "Singapore Sadie", "Turnstile Casanova", "The Day That I Give In" oder "Life’s A Bloody Show" (tatsächlich könnte hier jede einzelne Nummer der Scheibe aufgeführt werden) gerne mit.

Somit kann man abschließend auch festhalten: Klasse Songs, klasse Musiker, eine fesselnde Aura, unter die Haut gehende Melodien und fantastische Songs. Dies zusammengerechnet kommt der Autor dann auch gar nicht drum herum, einen ganz fetten Tipp auszusprechen!


Line-up Richard Thompson:

Richard Thompson (guitars, mandolin, accordion, lead vocals)
Bobby Eichhorn (acoustic & electric guitars)
David Mansfield (fiddle)
Taras Prodaniuk (bass)
Michael Jerome (drums & percussion)
Zara Phillips (harmony vocals)

Tracklist "Ship To Shore":

  1. Freeze
  2. The Fear Never Leaves You
  3. Singapore Sadie
  4. Trust
  5. The Day That I Give In
  6. The Old Pack Mule
  7. Turnstile Casanova
  8. Lost In The Crowd
  9. Maybe
  10. Life’s A Bloody Show
  11. What’s Left To Lose
  12. We Roll

Gesamtspielzeit: 46:31, Erscheinungsjahr: 2024

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv
News
Meine Konzerberichte im Team mit Sabine
Mail: markus(at)rocktimes.de

4 Kommentare

Zum Kommentar-Formular springen

  1. Rainer Hellstern

    Hallo Markus,
    ja super Review. Dieser Songzyklus besticht vor allem durch seine Schlüssigkeit.
    Hier gibt es nicht zuviele Balladen, das kommt bei ihm schon auch vor. Es gibt auch keine elegischen Gitarrensoli.
    12 kompakte Songs, mit vielen Hooks, Details und abgründigen Texten. Gehört auf jeden Fall
    ins obere 1/3 von seinem Werk.
    Fehlen nur noch ein paar Tour Termine in Deutschland.

    …und Wolfgang, verschreiben ist nix verwerfliches..kann passieren.
    Was genau willst du mit deinem kryptischen Kommentar genau sagen?

    Grüße, Rainer

    1. Markus Kerren

      Hi Rainer,

      vielen Dank für deinen Kommentar.

      Wahrlich ein großartiges Album und tatsächlich würde auch ich mir den guten Richard sehr gerne nochmal auf der Bühne anschauen!

      Beste Grüße,
      Markus

  2. Wolfgang Mersmannn

    Leute, Leute – Schalke 05 war gestern und heute ist "Airport Convention"!!! Kein Wunder dass die die breite Öffentlichkeit, oder das sogenannte Mainstream-Publikum, bei der Erwähnung seines Namens nach wie vor völlig im Dunkeln tappt.

    1. Markus Kerren

      Hallo Wolfgang,

      danke für deinen Hinweis, den wir natürlich umgehend korrigiert haben. Du kannst mir glauben, dass sich über solche 'Verschreiber' niemand mehr ärgert, als der Rezensent selbst. Und deshalb an dieser Stelle auch mal ein dreifaches 'Hoch' an alle Unfehlbaren dieser Welt!!!

      P.S. Das "Schalke 05" von vor etwa 50 Jahren hat mir damals wie heute übrigens lediglich ein kleines Schmunzeln entlockt.

      In diesem Sinne,
      Markus

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>