Es geht zunächst um die Frage aller Fragen: Darf ein Buch den Namen der Heiligen Schrift im Titel führen, wenn es keinen erkennbaren christlichen Bezug hat? Darf es sicherlich nicht, es sei denn, der Autor proklamiert für sich in überzeugender Weise die Nähe zur Bibel, sodass es kein Entrinnen gibt.
Rob Halford, langjähriger Sänger der Band Judas Priest, legt schon im ersten Kapitel seines Buches "Die Bibel des Heavy Metal" den Finger in die Wunde.
Der heute 73-Jährige bezeichnet sich durchaus als spirituellen Menschen. Mit der Bibel könne er jedoch nicht viel anfangen und er sei mit dem Inhalt nicht sonderlich vertraut. Konkret bedeutete dies für ihn und das weitere Vorgehen in dem nunmehr vorliegenden Buch:
»Ich finde sie recht langweilig und kann der Handlung nicht folgen: Soundso zeugte Soundso und der ging hin und zeugte Soundso… gähn. Das war mir immer viel zu viel Palaver. Mir gefällt allerdings die Vorstellung eines Buches, das alles Wissen zusammenträgt, das ein Mensch im Laufe des Lebens gesammelt hat, eine Art Leitfaden seiner Welterkenntnis. Aus diesem Grund habe ich den kühnen, um nicht zu sagen anmaßenden Schritt unternommen, dieses Buch zu schreiben, das den Begriff 'Bibel' im Titel trägt. Dabei handelt es sich um meine ganz persönliche Heilige Schrift, mein Evangelium, und umfasst das Wissen, das ich angesammelt habe, seit ich vor fast fünfzig Jahren Frontmann einer Band namens Judas Priest wurde. Dies ist meine Bergpredigt für die Welt des Heavy Metal.« Gesagt, getan. Kann ein Glaubensbekenntnis für eine konkrete Sache überzeugender ausfallen?
Hinzu kommt natürlich die gängige Beschreibung des Sängers als 'Metal-Gott' – eine Bezeichnung, die Rob Halford von Fans und engen Vertrauten erhalten hat und die ihn nahezu auf Schritt und Tritt begleitet. Er setzte sein Vorhaben in einer auffallend humorvollen Art um, er schildert die Dinge sehr analytisch und offenbart ein gutes Erinnerungsvermögen, wenn es darum geht, frühere Manager, Label, Produzenten und vieles mehr beim Namen zu nennen. In seiner schonungslos offenen Art lässt er kein persönliches Thema aus: Alkohol, Drogen, Sex, Geld und Ruhm – alles Begriffe, die im Kapitel "Das Buch der Versuchung" zusammengefasst sind.
Wie schon der Name des Kapitels erkennen lässt, schlägt Rob Halford bewusst oder unbewusst an vielen Stellen in seiner Wortwahl eine Brücke zur Heiligen Schrift. Weil das so ist, nimmt man ihm das Werk als ehrliche Botschaft ab. Zugleich ist es eine einzigartige Möglichkeit, als Leser dem Denken und Handeln des 'Metal-Gotts' näher zu kommen. »Es gibt nur einen Job, der für mich von biblischer Bedeutung ist; einen Job, den ich so sehr liebe, dass er mein Wesen ausfüllt: der des Sängers einer Heavy-Metal-Band.«
Der Sänger erläutert anschaulich Zusammenhänge und Entwicklungen. Dazu gehört beispielsweise, dass Judas Priest zu den Vorreitern beim kreativen Gitarrendoppel gehören, was bedeutet, dass nicht ein Instrument die übliche Rhythmus- und Leadarbeit allein verrichtet, sondern beide Gitarren ergänzend spielen. Mit dem Einstieg von Glenn Tipton im Jahr 1974 begann bei Judas Priest das Kapitel der 'Zwillingsgitarren". Als Inspirationsquelle habe Wishbone Ash gedient. Sie hätten nach den Worten von Rob Halford als erste Band das Konzept der harmonisierenden Zwillingsgitarren ausgefüllt.
Im Schreibstil unterscheidet sich "Die Bibel des Heavy Metal" nicht von der vor vier Jahren im Original erschienenen Autobiographie "Confess". Inhaltlich aber geht es eindeutig mehr in Richtung Judas Priest und Heavy Metal. Autor Ian Gittins, der zuvor die Autobiographie geschrieben hat, wird als Co-Autor in dem vorliegenden Buch genannt, doch kommt der Leser aufgrund der Schreibweise wie auch des Titels zwangsläufig zu der Erkenntnis, Rob Halford sei der alleinige Autor. Gesicherte Informationen dazu liegen in dem Buch nicht vor.
In "Die Bibel des Heavy Metal" springt der Autor stellvertretend für ein ganzes Genre in die Bresche, indem er Bezug nimmt auf die 1980er Jahre, als sich Metal-Bands immer wieder wegen aufkommender Kritik erklären mussten, »als durchgedrehte Rechtskonservative und evangelikale Christen Heavy Metal zur Musik des Teufels erklärten und behaupteten, die Bands würden damit den Satanismus verbreiten«, so Halford. Dazu der Sänger: »Eine Menge Metal-Bands setzte dämonische Bilder und Elemente à la 666 – The Number Of The Beast ein, und ich glaube, das fing damit an, dass man diese beschissenen Vorwürfe ins Lächerlich zog.«
Geradlinig zogen Judas Priest und die anderen Bands ihr Ding durch und ihr konsequenter Wirkungsradius über viele Jahrzehnte bis zum heutigen Zeitpunkt macht sie gerade für die vielen Fans und die Musikbranche so wertvoll. Unbeirrt von Kritik bis hin zu Häme setzten sie ihren Weg fort.
"Die Bibel des Heavy Metal" ist eine Bestandsaufnahme, die von vielen Vorurteilen berichtet und die Musiker in den Fokus nimmt, die nur ein Ziel hatten: Als Band möglichst erfolgreich durchzustarten. Das schafften sie aber nicht allein. Das Buch ist ein Zeitdokument, das in erster Linie gut unterhält.
Um Rob Halford und dessen Einstellung zur Musik und zu seiner Band trefflich beschreiben zu können, sollte man mit einem aktuellen Zitat schließen, das nicht aus dem beschriebenen Buch stammt: So heißt es bei Rob Halford: »Ein neues Album von Judas Priest ist unvermeidlich.« Nach dessen Überzeugung führe kein Weg daran vorbei, dass die legendäre Band nach Invincible Shield (2024) noch ein weiteres Studiowerk aufnehmen werde.
Einmal Priest, immer Priest. Lebenslang.
Autoren: Rob Halford, Ian Gittins
Herausgeber: I.P. Verlag
Sprache: Deutsch
Übersetzung: Andreas Diesel
Gebundes Buch: 296 Seiten
ISBN-13: 978-3940822178
Abmessungen: 21,4 x 15,3 cm
Gewicht: 529 Gramm
Preis: 22,90 Euro
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