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Robert Plant / Carry Fire – CD-Review

Robert Plant / Carry Fire

Robert Plants Scheiben sind wie eine Wundertüte, man weiß nie, was einen erwartet. Der Vorgänger, Lullaby and … The Ceaseless (2014), hat mich nicht unbedingt vom Hocker gehauen, während die 'hochdekorierte' Raising Sand (2007) mir da wesentlich mehr zusagte. Der gemeinsame Bluegrass/Folk-Ausflug mit Alison Krauss stand ihm gut zu Gesicht. Aber meine Meinung ist eine von vielen und die juckt einen Robert Plant mit Sicherheit überhaupt nicht. Er macht das, was er am besten kann, singen und in schöner Regelmäßigkeit Platten veröffentlichen, die seine Fans mal schwer begeistern oder auch mit Fragezeichen im Gesicht zurücklassen.

Nun liegt "Carry Fire" im Player und der erste Gedanke ist: eine Schnittmenge zwischen Fate Of Nation und "No Quarter" von Page und Plant. Aber auch auf dem 1990er Album Manic Nirvana würde sich das eine oder andere Stück pudelwohl fühlen.
Während der Aufnahmen der Songs schaute ab und zu auch mal der ein oder andere illustre Gast bei Plant und seinen Musikern im Studio vorbei, wie zum Beispiel der albanische Cellist Redi Hasa (zu hören auf "A Way With Words", "Carry Fire" und "Bluebirds Over The Mountain") und Chrissie Hynde, Frontfrau der Pretenders, die sich als Duett-Partnerin von Plant bei "Bluebirds Over The Mountain" verewigte.

Im Grunde bleibt Robert Plant sich musikalisch wieder einmal selbst treu und setzt seinen während der Solo-Ära eingeschlagenen musikalischen Kurs fort, experimentiert mit den verschiedensten Stilmischungen von (Global) Folk über Americana bis hin zum Desert Blues und würzt das Ganze mit afrikanischen Anteilen. Doch dabei kann man auch gewaltig ins Stolpern geraten, Plant befasst sich jedoch lange genug mit diesem Metier, um ungeniert zusammenzuführen, was augenscheinlich nicht zusammen gehört.
Wer also Breitwand-Rock im Stile von Led Zeppelin erwartet, wird enttäuscht. Die orientalisch-akustischen Instrumentierungen  haben die Oberhoheit und dennoch lugt das Luftschiff immer mal wieder um die Kurve. Die Vergangenheit wird zwar nicht ganz verschwiegen, aber er blickt halt auch über den neuzeitlichen Tellerrand.

Mit der Band, den The Sensational Space Shifters, hat Plant offensichtlich ein Team gefunden, das ein feines Gespür dafür hat, seine kreativen Vorstellungen entsprechend soundtechnisch umzusetzen. Die Band setzt sich niemals direkt in Szene, im Gegenteil, man hat eher das Gefühl, dass die Musiker streng darauf achten, dem Sänger die besten Rahmenbedingungen für seinen, sich niemals am Limit befindlichen Gesang, sein Flüstern, Flehen, Stöhnen, Knurren, Säuseln oder auch Hauchen zu bieten. Plant hat seine Stimme nach wie vor bewahrt und diese den Liedern optimal angepasst.
Natürlich geht es in den Stücken in erster Linie um die Liebe mit all ihren Facetten. »Oh my love, what is there left to do?« ist eine Zeile aus dem leicht psychedelischen "Season’s Song". Ob nun die große oder auch die gescheiterte Liebe, der alte Haudegen kann es immer noch: tolle Songs schreiben, die das zwischenmenschliche Thema gern und oft aufgreifen. Aber er singt auch über Erinnerung und Vergänglichkeit, man muss ihm einfach zuhören.

Sehr schön zu hören ist auch, wie die Band Akzente setzt. Da flirren ganz zarte (Slide-)Gitarren wie bei dem Bluegrass-Stück "New World" oder der Ballade "Dance With You Tonight", feine Percussions unterstreichen die Uptempo-Nummer "Carving Up The World Again" und hier darf ein Gitarrensolo das Stück schmücken. Ein politisch sehr kritischer Song übrigens, in dem Plant allen Präsidenten, Diktatoren und sonstigen Staatsmännern ordentlich den Kopf wäscht!
Bei "A Way With Words" hat man das Gefühl, da steht ein schüchterner junger Mann vor der Haustür seiner ehemaligen Geliebten und bittet sie fast flehend, doch wieder zu ihm zurückzukommen. Man bekommt richtig Mitleid mit dem Verlassenen.
Pianosprengsel sowie Cello- und Violinen-Tupfer werden in "A Way With Words" eingefügt und auf fernöstlichen Instrumenten basiert wiederum "Carry Fire".
Übrigens, sowohl der "Season’s Song" als auch "Dance With You Tonight" könnten ohne Weiteres vom 1993er Scheibchen "Fate Of Nation" stammen.

So ganz hat der Shouter das Rocken doch noch nicht verlernt, denn bei "Bones Of Saints" kann man die Halsmuskulatur anständig trainieren.
Chrissie Hynde gibt sich, wie bereits erwähnt, in dem ursprünglich von der Rocklegende Ersel Hickey geschriebenen Song "Bluebirds Over The Mountain" die Ehre. Das Stück wurde von Richie Valens als auch den Beach Boys gecovert. Die Folk-Version von Plant in Verbindung mit der warmen und doch kräftigen Stimme von Hynde hat das Zeug dazu, ein richtiger Ohrwurm zu werden, klingt im Gegensatz zu denen von Valens und den Beach Boys jedoch fast zerbrechlich.
Das Album findet Abschluss mit dem filigranen Stück "Heaven Sent".

Robert Plant hat es verstanden, mich mit seinem neuesten Werk zu beeindrucken und zu fesseln. Auch wenn ich anfangs sehr skeptisch an die Scheibe rangegangen bin, gehört sie mittlerweile zu den Platten, die sich in Dauerrotation im Player drehen.
Dieses Album ist um einiges zugängiger, als "Lullaby and … The Ceaseless", aber das soll nun nicht der Maßstab für meine Kaufempfehlung sein.
Plant ist wie guter Rotwein, je älter, um so besser (sind seine Veröffentlichungen) – he’s carrying the fire!


Line-up Robert Plant:

Robert Plant (vocals)
John Baggot (keyboards, piano, moog, loops, percussion, drums, slide guitar, bendir, brass arrangement)
Justin Adams (guitars, acoustic guitar, snare drum, tambourine)
Dave Smith (drums, bendir, tambourine, djembe)
Liam 'Skin' Tyson (guitars, dobro)
Billy Fuller (bass, keyboards, drum programming)

Guests:
Richard Ashton (drums – #10)
Redi Hasa (cello – #6,7,10)
Chrissie Hynde (vocals – #10)
Seth Lakeman (viola – #1,7,10)

Tracklist "Carry Fire":

  1. The May Queen
  2. New World…
  3. Season’s Song
  4. Dance With You Tonight
  5. Carving Up The World Again… A Wall And Not A Fence
  6. A Way With Words
  7. Carry Fire
  8. Bones Of Saints
  9. Keep It Hid
  10. Bluebirds Over The Mountain
  11. Heaven Sent

Gesamtspielzeit: 49:00, Erscheinungsjahr: 2017

Über den Autor

Ilka Heiser

Hauptgenres: Classic Rock, Blues Rock, Heavy Rock
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