Wenn man über Filme schreiben möchte, sucht man sich gewöhnlich solche aus, die eine politische Botschaft oder eine bestimmte soziale Allegorie beinhalten. Bei dem Kultstreifen "From Dusk Till Dawn" braucht man danach sicherlich nicht zu forschen. Inhaltsschwangere Philosophien waren auch ganz gewiss nicht die Intention des Regisseurs Robert Rodriguez, dem es aber gelang, dennoch eine ganz außergewöhnliche Besetzung an den Start zu bringen. Keine geringeren als der Schwiegermütterliebling Nummer Eins in Hollywood, George Clooney (genau, der aus der Kaffeewerbung) und Starregisseur Quentin Tarantino, ein enger Spezi von Robert, konnten für den Film genauso gewonnen werden wie der einzigartige Harvey Keitel. Wie war das doch gleich in "Pulp Fiction"? »Guten Tag, mein Name ist Mr. Wolf. Ich löse Probleme – Sie haben eine Leiche ohne Kopf? Führen Sie mich zu ihr«.
Was für ein Text.
Nicht zu vergessen die weiblichen Nebenrollen. Hier bringen sich Juliette Lewis (die später auch als Musikerin am Start sein sollte) und vor allem Salma Hayek nachhaltig in Szene. Aber davon später.
Der Plot des Films ist schnell erzählt: Die schießwütigen Gecko-Brüder (Clooney und Tarantino) haben eine Bank ausgeräumt und wollen sich mit der Beute nach Mexico absetzen, um dort das Dolce Vita zu genießen. Ihren Weg dorthin pflastern sie mit Leichen. Um sicher über die Grenze zu kommen kidnappen sie kurzerhand die ganze Familie eines abtrünnigen Pfarrers (Keitel) und scheinen tatsächlich am Ziel, als sie am späten Abend das Titti Twisters erreichen, scheinbar ein abgefahrener Schuppen mit Bier und Bräuten, mit ’sex and drugs and rock ’n' roll'. Doch die Barbelegschaft, mit coolen Nebenrollen durch Cheech Marin, Danny Trejo und eben Tito Lariva nebst Band unglaublich cool besetzt, entpuppt sich im Laufe der Nacht als durstige Vampir-Truppe, die ihren Gästen an die blutgetränkte Gurgel wollen. Die meisten unserer Helden werden es nicht erleben, wenn im Morgengrauen die ersten Sonnenstrahlen den Spuk beenden.
Wer die Herren Rodriguez und Tarantino kennt, der weiß, dass man in einem solchen Film wahre Orgien von Blut und Gewalt und oft sexistischen Anspielungen geboten bekommt. Diesen Stil muss man mögen, sonst wird das nichts. Wer die beiden bösen Buben nun aber als Gewaltverherrlicher abstempeln mag, der liegt ziemlich weit daneben. Ich sehe ihren Sarkasmus und Zynismus in der Darstellung von Gewalt als ein künstlerisches Stilmittel, gerade diejenigen Zeitgenossen hinreißend auf den Leim zu führen und bloßzustellen, die sich tatsächlich an destruktiven Gestaltungsformen ergötzen – solche soll es ja auch geben. In "Machete" nutze Rodriguez beispielsweise seine überdreht zynischen Darstellungen, um eine in den Staaten nicht allzu beliebte Gesellschaftskritik am Umgang mit den mexikanischen Einwanderern loszulassen.
Genau daraus entwickelte sich ja auch der Kult um den Film, bei dem man vieles darf, nur eines nicht: Ihn allzu ernst nehmen, auch wenn gerade in den Songtexten immer wieder gesellschaftskritische Themen anklingen. Hier wird einfach eine abgefahrene, irre Geschichte von irren Typen erzählt, bei denen mächtig die Post abgeht. Und dazu gehört eben auch eine besonders geile Musik. Die haben die Jungs wahrlich gefunden, "From Dusk Till Dawn" lebt auch und gerade von und mit dem genialen Soundtrack.
Und auf dem finden wir viele Freunde und Freude, wobei hier nur die wesentlichen Songs zitiert werden.
Es sollte nicht versäumt werden zu erwähnen, dass Robert Rodriguez selbst Musiker ist. Er gründete seine Band Chingon einst für den Soundtrack seines Films "Irgendwann in Mexico", dem dritten Teil der Trilogie mit "El Mariachi" und "Desperado". Dass in seinen Filmen regelrecht der Punk abgeht ist somit kein Zufall, der Junge versteht was von Musik.
Dark Night, The Blasters
Der perfekte Auftaktsong. Bis der mit den Eingangstiteln erscheint, zerlegen die Gecko-Brüder jedoch erst einmal einen Schnapsladen. Wenn der im Hintergrund in einer voluminösen Explosion in die Luft fliegt und Seth seinen Bruder Richie tadelt, hat der nur einen Kommentar. »Du kannst immer nur meckern, meckern, meckern…« Dann startet der Song. »Hot air hangs like a dead man from a white oak tree, people sitting on porches, thinking how things used to be – dark night…« Und auch im Songtext fliegen Kugeln und der Text beinhaltet eine Menge sozialen Zündstoff, wenn ein Mädchen am Ende erschossen wird, weil es mit einem Fremden (im Text ist wohl ein Einwanderer gemeint) anbandelte. So oder so ein passender Auftakt für ein schießfreudiges Spektakel, bei dem irgendwie jeder gegen jeden ballert und das im deutschen Fernsehen nur maximal beschnitten zu sehen war. Aber Zensur gibt es ja nicht bei uns.
Mexican Blackbird, ZZ Top
Ein "Mexican Blackbird" nennt man in den Staaten eine Frau, deren Mutter mexikanisch und der Vater aus Schwarzafrika stammt. Eben eine solche wird in diesem Song besungen, sie verkörpert den guten Geist, die Frau von der man träumt. Und davon träumen die Gecko-Brüder auf ihrem Weg, eine musikalische Metapher auf unsere schießwütigen Brüder und das, was sie zu erreichen hoffen.
Dengue Woman Blues, Jimmie Vaughan
Erstmals in diesem Streifen wird der Testosteronspiegel hochgejagt, wenn zu Jimmie Vaughans Blues ein sichtlich angetörnter Quentin Tarantino über ein scheinbar unkeusches Angebot seiner Filmpartnerin Juliette Lewis fantasiert. Robert Rodriguez setzt seine junge Wilde wahrlich erotisch in Szene. Der sanft anrüchige Blues und die elektrisierenden Licks von Jimmie tun ihr übriges, dieses Bild zu verstärken. Und das ist erst der Anfang der großen Anmache.
She’s Just Killing Me, ZZ Top
Was soll man über die drei bärtigen Herren aus Texas überhaupt noch schreiben? Sie sind längst selbst Legenden und führen mit ihrem krachend groovenden Bluesrock unsere Helden in das Titty Twister ein. Alles scheint perfekt zu laufen, wie es der Plan von Seth Gecko vorsieht. Sex und Saufen und dann untertauchen. Allerlei obskure Gestalten füllen nebenbei den Raum, so der entspannte Trucker Sex-Machine. Bei einer drohenden Auseinandersetzung präsentiert er kurzerhand mal seine 'Schniedelwutz-Kanone' zur Abschreckung, ein abstruses Gerät, welches er bei Bedarf auf Knopfdruck aus einem Gürtel direkt über seinem Gemächt herausfahren lässt und das optisch dem, was darunter zu vermuten ist, relativ nahe kommt. Ein schräges Teil, welches wir in Desperados im Koffer von Antonio Banderas drei Jahre zuvor schon entdecken konnten. Doch schon an der Bar wartet Ärger, bis Harvey Keitel in extrem besonnener Art die Situation rettet.
Angry Cockroaches, Tito & Tarantula
Mit den wütenden Schaben, wie der Titel übersetzt heißt, lassen Tito und seine Tarantulas ganz mächtig die Sau raus. Knallharter, treibender Wüstenbluesrock bringt auf den Punkt, was Herr Clooney alias Gecko nach dem Zoff mit dem Barmann immer noch empfindet: Unkontrollierbare Wut. Der Song rast und tobt und die Gitarren heizen wie Hölle (die uns kurz bevor steht). Es ist Zeit, die Gemüter zu beruhigen. Es ist Zeit für die unglaubliche und einzigartige Satanico Pandemonium, uns besser bekannt als Salma Hayek.
After Dark, Tito & Tarantula
Und so folgt der Aufreger des ganzen Films: Salmas Schlangentanz. Eine knisternd erotische Darbietung zwischen jungfräulicher Unschuld und unersättlichem Vamp – und Vamp sollte hier ganz besonders originär verstanden werden, wie der Film ja auch kurze Zeit später belegt. Diese Szene hat absolut mehr Sex als die meisten billigen Ruckelfilme-Macher in ihrem gesamten Lebenswerk zusammenstümpern. Und Quentin Tarantino, bekennendermaßen ein ganz besonders leidenschaftlicher Fan von weiblichem Geläuf, bekommt in dieser Einstellung so etwas wie die Verwirklichung verwegener Träume geschenkt, wenn Salma ihm den Whiskey über ihr Bein und den Fuß direkt in seinen Mund laufen lässt. »Mann, das nenn' ich mal eine geile Schau«, sagt George Clooney als Seth Gecko nach dieser Nummer. Mit diesem mitreißenden Auftritt wurde Salma Hayek weltweit populär und konnte später oft beweisen, dass sie als Schauspielerin noch weit mehr drauf hat als nur ihre unverkennbaren Reize effektvoll zu inszenieren.
Die überwältigende Gitarre von Peter Atanasoff entspricht dabei dem akustischen Pendant zu Salmas Bewegungen. Zunächst ein laszives Intro, Titos einschmeichelnder Gesang; dann ein hinreißend ausgedehntes, mit zarter Percussion unterlegtes Break, dass Lust und Spannung aufbaut, bis Peter mit seinen getragenen, wirklich erotisierenden Licks mit Salmas Hüftschwung kulminiert. Wow, es gibt für mein Empfinden nichts vergleichbares in der Filmgeschichte.
»Das ist mal ’ne geile Schau«. Richtig George, genau so ist das.
Interessant ist übrigens, dass die Version von "After Dark" (und nicht nur die) später auf dem ersten offiziellen Album von Tito & Tarantula ein wenig anders inszeniert wurde. Die Fassung aus dem Film mit dem lang gezogenen Spannungsaufbau versteht man eben am Besten, wenn man die Bilder dazu sieht, so gesehen kann ich Tito Larivas Intention sehr gut nachvollziehen, bei der reinen Musik-Darstellung keine Längen aufkommen lassen zu wollen.
Willy The Wimp, Stevie Ray Vaughan & Double Trouble
Ein letzter kurzer Verschnaufer zu Stevies cooler Musik wird uns gestattet. "Williy The Wimp And His Cadillac Coffin" ist wohl der letzte Moment in diesem Film, in dem man sich seiner Sinne und Erwartungen sicher sein kann. Wer könnte das lässiger einspielen als Stevie, der uns schon so lange beraubt ist. Lässige Musik zu einem mitreißenden Roadmovie, was der Film bis hierhin in gewisser Weise darstellt. Aber dann ist Schluss mit lustig. Von nun an nimmt splatterartiger Horrer mit äußerst augenzwinkenderm, schwarzen Humor und jede Menge Blutgespritze Besitz von uns. Sensible Gemüter schalten jetzt die DVD ab, wenn sich die Barbelegschaft in blutsaugende Untote verwandelt und den wenigen Sterblichen nach den Adern trachtet. Da geht dann auch schon mal ein Kopf, ein Arm oder ein Bein verloren.
Und bei den meisten Protagonisten eben auch das Leben.
Wenn wie schon zur Eröffnung des Film wieder "Dark Night" eingeblendet wird, sind fast alle tot, die uns im Laufe des Werks über den Weg gelaufen sind. Wir grooven hinaus aus einem der ungewöhnlichsten Abenteuer unserer Zeit, eine poppige Kombi aus genial cooler Musik, hinreißend bösen Charakteren und sarkastisch satanischem Gemetzel in episch bombastischen Bildern. Kult nun schon seit 20 Jahren.
Bei "From Dusk Till Dawn" darf man nicht über Geschmack und Political Correctness nachdenken, man muss sich auf ihn einlassen oder lässt die Finger davon. Wer mit den Gewaltorgien der Herren Tarantino und Rodriguez intellektuell und kulturell umgehen kann, wird seine Freude daran haben. Vor allem aber, und das freut uns Rocker ganz besonders, werden wir viel Spaß haben mit dem Soundtrack, denn der ist nicht von schlechten Eltern.
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