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Rodgau Monotones / Live At Rockpalast 1984 & 1985 – 2DVD/3CD-Review

Rodgau Monotones / Live At Rockpalast 1984 & 1985

Als ZZ Top die Hessen grüßten

Es gab zwei großartige Konzerte in der Endphase der Rockpalast-Nächte, die mir nachhaltig in Erinnerung geblieben sind, nicht zuletzt auch, weil das Cassetten-Deck damals noch wertvolle Dienste leistete. Das betraf zum einen die Schotten von Big Country und vor allem die Rodgau Monotones. Die C90er mit den Aufnahmen sind im Strudel von Zeit und Raum verschwunden, daher schon jetzt ein tief empfundenes Dankeschön an MIG, dass sie dieses Juwel deutscher Präsenz im legendären Rockpalast wiederbeleben – und zwar nicht nur mit dem Konzert aus der Rocknacht, sondern auch mit einem fantastischen Gig aus der Zeche Bochum knapp ein Jahr zuvor; präsentiert in Bild und Ton auf insgesamt fünf Datenträgern. Wow.

Ersten Kontakt hatte ich mit den Monotones beim großen Deep Purple-Open Air in Mannheim. Damals zählte ich noch zu den Menschen, die die Band nur von der Blödel-Hymne "Die Hesse komme" kannten. »Die bei so einem Anlass?« »Vorsicht«, erklärte mir ein Bekannter, »vertue Dich nicht mit denen, die sind so etwas wie die deutschen ZZ Top
Das war eine Ansage.

Der Vergleich hinkt nicht, wenn man mal vom Bartwuchs absieht, musikalisch könnte der Rodgau auch in Texas liegen. Knackiger Blues Rock mit ganz viel Gaudi, denn die Rodgau Monotones sind einst angetreten, Spaß zu haben und zu verbreiten. Wie sehr das gelingt, belegt ganz besonders das Bildmaterial. Nicht nur die abgefahren lustigen Songtexte bleiben dauerhaft im Kopf, die Band hatte auch zwei absolute Rampensäue an der Front. Die Stimmakrobaten (so weist die Box die Sänger aus) Peter Osterwold und Henny Nachtsheim (der auch Saxophon spielte) hatten jederzeit ihr Publikum im Griff und wenn in der Zugabe "Tush" von eben jenen ZZ Top plötzlich textliche Einspielungen aus "Heidi" und dem "Pumuckl" einfließen, die dann von den Gitarrenvorarbeitern Ali Neander und Raimund Salg mit ekstatischen Licks in Schutt und Asche gelegt werden, spätestens dann erkennt ein jeder, dass diese Band neben apokalyptischer Gaudi auch etwas ganz anderes beherrscht: Nämlich erstklassiges musikalisches Handwerk. Ehrlich, so dermaßen ist die Post in der Geschichte der Rockpalast-Nächte danach nie wieder abgegangen.
Die Performance der Rodgau Monotones hat irgendwie ganz viel zu tun mit den legendären Blues Brothers – wenn das nicht kultig ist, weiß ich auch nicht weiter.

Damals, im Oktober 1985, waren die Rodgau Monotones erst die zweite deutsche Band in einer Rocknacht. Aber es war nicht das erste Mal, dass die Band dabei war. Als 1980 drei Herren aus Texas zum Sturm in die europäischen Rockherzen ansetzten, konnte man im Publikum ein Transparent erkennen: »Rodgau Monotos grüßen ZZ Top.« Fünf Jahre später im Verlauf der Rocknacht gab es die Antwort: »ZZ Top grüßen die Rodgau Monotones.« Auch wenn das Schild wohl eher nicht von Billy, Dusty und Frank stammen mochte, eine geile Idee war es allemal.

Ich denke, man kann ohne schlechtes Gewissen behaupten, dass die Band damals auf ihrem absoluten Höhepunkt angekommen war, spieltechnisch gereift nach acht Jahren Bühnenerfahrung und erfolgreichen Single-Hits. Ihre enorme Präsenz im Business mag man auch daran erkennen, dass die Band bereits am Abend jenes Gigs im Rockpalast in der Samstag-Abend-Show "Einer wird gewinnen" zu sehen war. Bestückt mit den sehr erfolgreichen Alben "Volle Lotte" und "Wir seh’n uns vor Gericht" hatte die Band auch die Substanz für einen großen Gig in der Tasche und die Songs dieser Platten bildeten denn auch das Grundgerüst für das Set.

Die Musik war wie geschaffen für die Grugahalle, ein vom Blues geprägter Grundrhythmus mit Joky Becker am Bass und Mob Böttcher am Schlag, letzterer ausgestattet mit seinem herrlichen T-Shirt und der Botschaft: »ich grüße meine Oma.« Omma, wie man im Pott sagt, wird es gefreut haben. Gegrüßt wurde viel an diesem Abend, es entwickelte sich fast zu einem Running Gag. Für das fette und satte Brett im Sound sorgten zwei absolut gleichberechtigte Gitarristen. Krachende Riffs und feine Soli besorgten es dem Rockpalast-Publikum so, wie es das besonders gern hatte. Diese mächtige Dynamik und Power wurde spielend gesteuert durch die bereits zitierten Frontleute. Die witzigen Texte im Verbund mit dem treibend fetzigen Instrumentalspiel machten die Rodgau Monotones so einzigartig. Musik kann abgehen wie die berühmte Schmidts Katze und muss dennoch kein bisschen ernst sein: »Dieses Lied wird schon wieder kein Hit, weil der Text so ätzend ist. Zum Glück reimt sich der Mittelteil, oder etwa nicht?« Herrliche Selbstironie im Song "Ätzend", während eine geniale Slide-Gitarre bluesig abrockt. Und wie sich danach die Saitendomteure in "Frag Mich Net" gegenseitig zu Höchstleistung anspornen, ist bester handgemachter Hardrock. Später treiben sie es auf die Spitze, wenn in dem rassigen Blues "Don’t Talk About Love" soliert wird. In diesen abgefahrenen, knackig kurzen Jam würde auch Meister Warren heute gern einsteigen. Absolute Klasse.

Das Set ist spannungstechnisch perfekt aufgebaut. Mit den ersten Songs wird mächtig Betrieb gemacht, so gewinnt man die Halle schnell für sich. In "St. Tropez am Baggersee" mit zusätzlicher Bläserunterstützung kulminiert diese Stimmung und der Text weckt nostalgisch ironische Erinnerungen an die sogenannte Wende. »Birne hat gesagt, wir sollen sparen, sparen«, heißt es zum Auftakt des Songs und ich erinnere mich, dass ich kurz vorher mal in einem Mainzer Discount das Gesicht des Kanzlers auf eine Dose Birnen gezeichnet hab. Gut, dass sie mich nicht erwischt haben.

Ein erstes Break bringt dann die Geschichte von "Hermann", jenem aalglatten Yuppie, der die Damenwelt anbaggert, nur um sie am Ende um ein bisschen Knete anzupumpen. Die coole eingespielte Szene am 'Schwüle-Nachtbar-Tisch' zeigt Hennys komödiantisches Talent, das ihn später im Duo Badesalz hauptamtlich Comedy machen ließ. Wie war das mit Hermanns sechster Ehefrau Hildegard, die ein wenig kurzsichtig war? Draußen, an Bord einer riesigen Yacht und auf See, als ein noch riesigerer Hai vorbei kam: »Ich sach, Hildegard, schau doch mal, der Haifisch. Sie sacht, Herrmann, ich seh gar nix. Ich sach Hildegard! Herrmann! Hildegard! Hildegard!!!!! Na ja, ich hab die Yacht behalten, aber wer ersetzt mir den Schmerz?«

Der Schmus-Operator, was für eine verrückte Nummer. Und noch bevor der letzte Lacher verklungen ist, rotzen sie eine Weltklasse-Version von ZZ Tops "Gimme All Your Lovin'" raus. Hier wird Spaß gemacht und zeitgleich sensationelle Musik gespielt.
Ganz nebenbei können die Rodgau Monotones für sich in Anspruch nehmen, schon viele Jahre vor Gründung der finnischen Band Apocalyptica ein völlig ausgeflipptes Cello-Solo auf die Bühne gebracht zu haben. Frank Wolf vom Frankfurter Kurorchester legt eine wahrhaft überwältigende Vorstellung hin.

Später zeigt man, dass man aber auch ein wenig sentimentaler und emotionaler sein kann, wenn es angezeigt ist. Die klassische Bluesballade vom Verlust einer Beziehung wird in "Normale Härte" geradezu schmerzhaft nachvollziehbar vorgetragen, der Song geht tief unter die Haut, eine geile Nummer.
Natürlich dürfen zum Schluss die bandeigenen Rausschmeißer "Volle Lotte" und "Die Hesse komme" nicht fehlen. Der Saal kocht und die Band darf zwei Zugaben spielen – Ruben Blades steht ja auch schon in der Warteschleife. Zum Abschluss dann noch einmal "Tush", wie in Bochum um deutsches Liedgut erweitert: »Hurra, hurra, der Kobold mit dem roten Haar….«

Das Konzert hat mich damals im Fernsehen respektive parallel im Radio total geflasht und mein pelziger Mitbewohner Caesar pogte in seinem Käfig. Es tut gut zu wissen, dass dieses Stück außergewöhnlicher deutscher Rockgeschichte nun endlich für alle Zeit verfügbar gemacht wurde. Toll auch, dass man das Bochumer Konzert, immerhin um neun Nummern länger, ebenfalls mit ins Programm genommen hat. Ein paar alte eigene Songs wie "Roswitha" und einige abgefahrene zusätzliche Coverversionen werden uns gegönnt, nicht nur von bärtigen Herren aus Texas. Die Version von "Mercury Blues" liegt nahe bei der legendären Interpretation von David Lindley und räumt allein schon alle Preise ab.

Ein Hinweis zu den DVD-Covern. Bei meiner Version waren Teil 1 und 2 vertauscht, aber muss uns das jucken? Nein, nur, wenn wir "Bullermann" sind.

Die Rodgau Monotones sind der ultimative Beweis dafür, dass harte, laute und qualitativ hervorragende Musik nicht bierernst sein muss, nein, sie kann auch mit ganz viel Wortwitz und herrlichem Blödsinn eine gute Figur abgeben – wenn man weiß, wie es geht. Die Jungs aus Hessen haben dem Rest der Welt an jenem Abend in Essen dank der Eurovision gezeigt, dass sie ganz viel Spaß verbreiten können, aber vor allem eines waren und sind: Eine sehr geile Rockband mit tollen Musikern, die ihren Job beherrschen. Rock aus Deutschland live aus Essen von den Hessen: »Da packt Euch das kalte Grausen, unser David Bowie heißt Heinz Schenk… Erbarmen, zu spät, die Hesse komme.«


Line-up Rodgau Monotones:

Peter Osterwold (vocals)
Henny Nachtsheim (vocals, saxophone)
Ali Neander (guitar)
Raimund Salg (guitar)
Joky Becker (bass)
Mob Böttcher (drums)

Gäste 1985:
Christian Schneider (saxophone)
Jo Reitz (trumpet)
Frank Wolf (cello)
Susanne Grawe (vocals)
Gerd Knebel (vocals)

Tracklist "Live At Rockpalast 1984 & 1985:

DVD 1 / CD 1

  1. Is Mir Egal
  2. Ätzend
  3. Frach Mich Net
  4. Chameleon
  5. Du Und Dein Autoradio
  6. Du Fertischer Da
  7. Dummi Du
  8. Wenn Bullermann kommt
  9. St. Tropez Am Baggersee
  10. Normale Härte
  11. Mercury Blues
  12. Macht Doch Einfach Selber Mal Musik
  13. Gimme All Your Lovin'
  14. What’s Love Got To Do With It
  15. Der Kleine Pirat
  16. Babysitter Boogie
  17. Schade

CD 2

  1. Viel Zu Spät
  2. Die Hesse Komme
  3. Volle Lotte
  4. Ei Gude Wie
  5. Tush
  6. Medley: Waitin' For The Bus /
  7. Jesus Just Left Chicago /
  8. Mit Pfefferminz Bin Ich Dein Prinz
  9. Roswitha
  10. Marmor Stein Und Eisen Bricht

DVD 2 / CD 3

  1. Schritt Für Schritt
  2. Ätzend
  3. Frach Mich Net
  4. Mein Freund Harvey
  5. Wenn Bullermann kommt
  6. St. Tropez Am Baggersee
  7. Hallo Ich Bin Hermann
  8. Gimme All Your Lovin'
  9. Der Kleine Pirat
  10. Ich Bin Müde
  11. Normale Härte
  12. Don' Talk About Love
  13. Die Hesse Komme
  14. Volle Lotte
  15. Immer Ohne Mich
  16. Tush

Gesamtspielzeit: 76:43 (CD1), 49:45 (CD2), 76:50 (CD3), 128:00 (DVD1), 78:00 (DVD2), Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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