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Rory Gallagher – Musikerportrait

Rory Gallagher

Foto mit freundlicher Genehmigung von rorysfriends.de

»Meine Seele liegt in Irland,
und dort möchte ich auch eines Tages begraben sein.«

Früh, viel zu früh wurden seine Worte bittere Wahrheit. Denn als er am 14. Juni 1995 mit seiner lädierten Strat unterm Arm an die Tore des Musikerhimmels klopfte, war er gerade mal 47 Jahre alt.

Rory Gallagher galt in der Musikwelt als erstklassiger Gitarrist. Bei ihm hatte man immer das Gefühl, er hätte den Blues bereits mit der Muttermilch aufgesogen. Er gehörte zu den wenigen Weißen, die den Blues wie ein Schwarzer spielen konnten, ohne dabei die Ehrlichkeit gegenüber sich selbst aufzugeben. Einen Namen machte er sich durch seine furiosen Liveauftritte und selbst als er richtig erfolgreich war, blieb er dennoch fernab aller Starallüren stets bodenständig, eben der nette Ire von nebenan, der mit dir gemeinsam schon mal ein Guinness schlürft. Seine beste Freundin war seine Strat, denn für ihn hatte die Musik immer Priorität; seine großen Vorbilder waren Muddy Waters und Lonnie Donegan.
Er ist ein Geschichtenerzähler und er hat den Blues nicht nur im Blut, sondern auch in der Stimme – rau wie Schmirgelpapier und dennoch gefühlvoll. Für mich bleibt er einer der genialsten Musiker:

1966 gründete er mit Eric Kitteringham (Bass) und Norman Damery (Drums) Taste, doch die Band hielt mal gerade zwei Jahre. Einen neuen Anlauf gab es mit Richard McCracken und John Wilson. Die Band wurde zum Star des Isle Of Wight-Festivals 1970, man bezeichnete sie sogar als Cream-Konkurrenz. Doch auch diese Combo war nicht von langem Bestand.

Rory beschloss also einen völligen Neustart, schrieb neue Songs für sein Solo-Debüt und traf auf Gerry McAvoy, der später sein 'Haus und Hof'-Bassist wurde und Drummer Wilgar Campbell. Seine Platten produzierte Rory – im Vertrauen auf sein Können – alle selbst. Das Album "Rory Gallagher" finanzierte seine Mutter, da Rory durch zurückgehaltene Gagen und Tantiemen regelrecht in den finanziellen Ruin getrieben wurde. Das Management übernahm ab sofort sein Bruder Donal.
Auf dem Album sind überwiegend akustische Stücke enthalten, Rory spielt darauf nicht nur Gitarre, sondern auch Mandoline, Mundharmonika und Altsaxophon. Verstärkung bekam er von Vincent Crane am Piano.
Damit wurde ein guter Ausgangspunkt für die zukünftige Solo-Karriere gelegt.
Anspieltipps: Das rockige "Laundromat" und der wunderbare Akustik-Blues "Wave Myself Goodbye".

Die nächste Studioscheibe folgte 1971 – "Deuce". Hier dominieren akustische ("Don’t Know Where I’m Going", "Out Of My Mind"), bluesige ("Should’ve Learnt My Lesson") aber auch rockigere Töne ("Whole Lot Of People", "In Your Town") die Platte.
Die genannten Stücke sind auch gleichzeitig meine Anspieltipps.

1972 wurde "Live In Europe" veröffentlicht, ein Mitschnitt einer umjubelten Europashow, auf dem sich das wunderbare, mit der Mandoline begleitete "Going To My Home Town" sowie der Kracher "Bullfrog Blues" befinden, letzterer wurde von Rory gern als Zugabe bei Live-Auftritten gespielt.

Es folgte 1973 die Studioscheibe "Blueprint". Mittlerweile hatte sich das Line-up geändert und Rod de’Ath saß statt Campbell auf dem Drumhocker. Komplettiert wurde die Band durch Keyboarder Lou Martin. Das Album zeigt Rorys Liebe zum Blues doch sehr deutlich, dennoch ist die Platte nicht unbedingt mein Favorit.
Meine Anspieltipps: "Hands Off", "If I Had A Reason"

Rory gönnte sich keine Pause und noch im gleichen Jahr erscheint "Tattoo". Das Line-up ist noch das gleiche. Lou Martin spielt nicht nur Keyboard, sondern auch Akkordeon. Mittlerweile befand sich der Musiker auf dem Höhepunkt seiner Karriere. War "Blueprint" für meine Ohren etwas sperrig, konnte ich mich mit dieser Scheibe sofort anfreunden. Sie zeigt alle Facetten dieses genialen Gitarristen. Ob nun der Kracher "Cradle Rock", das Fingerpicking-Stück "20:20 Vision" oder die wunderschöne Ballade "A Million Miles Away", man wird immer wieder aufs Neue überrascht. Und wer die remasterte Version besitzt, kann mit seinem Partner/seiner Partnerin zu "Tuscon Arizona" einen gepflegten Walzer aufs Parkett legen. Hört dabei unbedingt auf Rorys Stimme – genial!
Anspieltipps: "Tattoo’d Lady", "Cradle Rock", "A Million Miles Away"

1974 wurde Irish Tour sowohl als Platte als auch als Kinofilm veröffentlicht. Während die meisten Musiker die von der IRA durch Bombenanschläge arg gebeutelte Republik Irland mieden, tourte Gallagher davon völlig unbeeindruckt durch seine Heimat, spielte in Dublin und und im nordirischen Belfast. Die irischen Fans liebten ihn natürlich dafür – er wurde zur Ikone.

"Against The Grain" (1975) – gegen die Strömung – Rory scherte sich einen Teufel um Kritikermeinungen, er zog sein Ding durch. Der berühmte Stecker wird auf "Against…" nicht mehr so oft gezogen, wie auf seinen Vorgängerscheiben. Mit dem stampfenden Opener "Let Me In" gibt der Gitarist die Marschrichtung vor. Dennoch finden sich auch ruhigere, folkigere Töne bei "Out On The Western Plain", einem genialen Cover von Leadbelly.
Meine Anspieltipps sind hier: "Bought And Sold" (gehörte später zum Live-Standard) sowie "All Around Man".

"Calling Card" erblickte 1976 das Licht der Musikwelt, wurde in den Münchner Musicland Studios aufgenommen und dieses Mal von Roger Glover produziert. Glovers Hard Rock-Einfluss ist unüberhörbar, allerdings denke ich, dass sich eine etwas härtere Grundausrichtung bereits auf "Against The Grain" angedeutet hatte. Dennoch bleibt Gallagher dem Blues Rock mit all seinen stilistischen Querverweisen auch weiterhin treu. "Calling Card" sollte die letzte Platte im bis dato bekannten Line-up sein.
Anspieltipps: Das riffbetonte "Moonchild", das funkige "Jack-knife Beat" sowie das mit einem Hammerintro beginnende "Edged In Blue".

Wir schreiben 1978, Rory wurde mit "Photo-Finish" kommerzieller, obwohl er wieder in Trio-Besetzung spielte. Für Rod de’Ath hatte man einen adäquaten Ersatz in Ted McKenna gefunden. Akustische Stücke sucht man vergebens. Im Gegenteil, hier wird gerockt bis der Arzt kommt und Gallagher zeigt gekonnt, dass er einer gestandenen Hard Rock-Band ohne weiteres das Wasser reichen kann. Genregrenzen? Fehlanzeige. Der absolute Knaller auf der Scheibe ist "Fuel To The Fire". Hier zeigt Rory, was für ein genialer Gitarrist er tatsächlich ist, wie harmonisch und vielfältig er das Instrument bedienen kann, wie er mit der Gitarre zu einer Einheit verschmilzt – über sechs Minuten purer Hörgenuss. Für mich gehört "Photo-Finish" neben "Calling Card" zu seinen besten Platten.
Anspieltipps? Hört euch einfach das Gesamtwerk an.

1979 – "Top Priority" – könnte man mit 'Schwerpunkt' übersetzen und dieser liegt hier auf der E-Gitarre. Viele Fans bezeichnen diese Platte als seine Beste und härteste. Die Scheibe erreichte sowohl in den deutschen Radio-Charts als auch in der Verkaufsliste Platz 1. Gallagher ’schießt' ein furioses Feuerwerk nach dem anderen ab. Eröffnet mit dem treibenden "Follow Me", geht es Schlag auf Schlag. Jeder Song hat einen hohen Wiedererkennungswert. Tolle Gitarrenlinien und eine hervorragende Bassarbeit von McAvoy – mehr geht wirklich nicht. Auf der remasterten Ausgabe von 1999 befindet sich neben "Hell Cat" auch ein außergewöhnlicher Surf-Rock’n’Roller – "The Watcher".
Meine Anspieltipps: "Keychain", "Off The Handle", "Public Enemy No.1".

"Stage Struck" ist der Mitschnitt einer Welt-Tournee vom November 1979 bis Juli 1980, war aber bei weitem nicht so erfolgreich, wie "Live In Europe". Ob es daran lag, dass der Live-Spirit, den Rory auf seinen Konzerten versprühte, nicht so ganz eingefangen wurde, vermag niemand so recht zu sagen.

"Jinx" erschien 1982 und ein neuer Drummer hatte den Hocker eingenommen. Ted McKenna verabschiedete sich und Brendan O’Neill übernahm die Stöcke. Ich hab den Remix von 2000, auf welchem die beiden Bonustracks "Nothin' But The Devil" (Akustikversion) und "Lonley Mile" enthalten sind. Rory zeigt auf "Jinx" wieder eine größere Bandbreite seines musikalischen Schaffens. Man findet sowohl druckvolle Rocksongs wie "Big Guns" oder auch "The Devil Made Me Do It",  Blues (Rock)-Stücke wie "Bourbon", "Double Vision" oder den Titeltrack, feinsten Rock’n’Roll mit "Ride On Red, Ride On" oder auch mal eine Ballade mit "Easy Come Easy Go".
Verstärkung erhielt Gallagher durch die beiden Saxofonisten Ray Beavis und Dick Parry sowie Keyboarder Bob Andrews. Obwohl hier meiner Meinung nach wieder eine 'echte' Rory-Scheibe abgeliefert wurde, hielt sich deren Verkaufserfolg – für mich völlig unverständlich – in Grenzen.
Anspieltipps: "Double Vision", "Jinxed", "Loose Talk"

Fünf Jahre dauerte es, bis "Defender" (1987) endlich erscheinen konnte. Angeblich hatte es Probleme beim Abmischen gegeben. "I Ain’t No Saint" hatte der Musiker bereits bei Live-Auftritten vorgestellt. Das Line-up besteht nach wie vor aus Gallagher, Mc Avoy und Brendan O’Neill. Mark Feltham spielt Harmonika, am Piano wechseln sich Lou Martin, Bob Andrews und John Cooke ab. Die Scheibe gehört ebenfalls in die Kategorie Rock/Hard Rock/Blues Rock/Blues – also von allem etwas. "Road To Hell" könnte ohne Weiteres auf eine Scheibe der Marke Deep Purple passen.  "I Ain’t No Saint" und "Don’t Start Me To Talkin'" sind Songs in bester Blues (Rock)-Manier.
Diese Stücke sind auch meine Anspieltipps auf dieser Scheibe.

Drei weitere Jahre vergingen, wir schreiben 1990, "Fresh Evidence" erblickte das Licht der Welt. Gallagher, bereits schwer von seiner Krankheit gezeichnet, verlor immer mehr von seiner Spontanität bei der Plattenproduktion und wurde zum absoluten Perfektionisten. Deshalb dauerte es auch so lange, bis dieses Album endlich auf den Markt kam. Die Platte versetzte mich in Erstaunen, da sie trotz gesundheitlicher Probleme sehr energiegeladen ausgefallen ist. Auch hier gilt wieder: Rory hechelt keinen modischen Trends hinterher, sondern bleibt sich selbst treu. Da gibt es Honky Tonky-Piano-Sprengsel ("Kid Gloves"), die Harp unterstützt "Middle Name", fetzige Bläsersätze akzentuieren "Alexis" und das Akkordeon kommt bei "The King Of Zydeco" zum Einsatz.
Es ist die letzte Platte, an der Gallaghers langjähriger Bassist Gerry McAvoy sowie Brendan O’Neil (Drums) und Mark Feltham (Harmonica) beteiligt sind und es war auch, mal abgesehen von Compilations wie "Reading Festival ’73" (1990) und "Edged in Blue" (1992) seine letzte offizielle Studioscheibe. Weitere Mitwirkende sind Geraint Watkins (Akkordeon), John Cooke (Keyboards), Lou Martin (Piano), die Saxofonisten John Earle und Ray Beavis sowie Trompeter Dick Hanson.
Anspieltipps: "Middle Name", "Ghost Blues", "Heavens Gate", "Walkin' Wounded"

»Der Blues ist gesundheitsschädlich – so einfach ist das.« Das waren Rorys Worte Anfang der Neunziger gegenüber der irischen Musikpresse. Traurige Wahrheit. Am 19. Juni 1995 folgten rund zweitausend Trauergäste Rorys Sarg, darunter zahlreiche Familienangehörige, Freunde, seine Bandkollegen sowie prominente Musiker und Chefroadie Tom O’Drisccoll, der die legendäre Stratocaster auf dem Weg zur Beisetzung trägt.

Nach Rorys Tod begann die sogenannte 'Leichenfledderei', der Vollständigkeit halber werden die posthumen Veröffentlichungen noch erwähnt: "BBC Sessions" (1999, mit informativem Booklet), Wheels Within Wheels (2003, mit einem fürchterlichen Coverbild!) und Meeting With The G-Man+ (2003, sehr liebloses Booklet).
Im Jahr 2011 erschien Notes From San Francisco, dessen Songs 1978/1979 im His Master’s Wheels Studio, S. F., für das Album "Torch" aufgenommen wurden, welches aber nie veröffentlicht wurde. Die Platte ist als Einzel-CD erhältlich, als Doppel-Album-Edition mit einem Live-Mitschnitt vom The Old Waldorf in San Francisco vom Dezember 1979 (die Doppelscheiben gibt es mittlerweile auch als Vinyl) und als 'Limited Deluxe Edition' veröffentlicht worden. Die Box scheint mittlerweile vergriffen zu sein.

Bemerken möchte ich noch, dass sich in meinem Besitz einige originalgetreu auf CD gepresste Scheiben aus der Zeit befinden, als die Compact Disc den Markt eroberte. Zwischen 1998 und 2000 wurden sämtliche Studioplatten neu remastered und mit Bonustracks bestückt. Also wurde noch einmal der Geldbeutel strapaziert, einfach nur, um in den Besitz der Bonus-Stücke zu gelangen…

»Wenn ich abtreten muss, bleibt wenigstens meine Musik als Erinnerung. Und wenn ich im Himmel ankomme, werde ich Jimi als erstes fragen: What’s Going On?«

Über den Autor

Ilka Heiser

Hauptgenres: Classic Rock, Blues Rock, Heavy Rock
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Mail: ilka(at)rocktimes.de

2 Kommentare

  1. Ilka Heiser

    Hallo Ralf,
    das Buch habe ich gelesen, ist auch von einem unserer Kollegen rezensiert.
    Schau in unser Archiv unter: https://www.rocktimes.info/Archiv/gesamt/a/andere_medien/on_the_road.html
    Leider muss ich eingestehen, dass mir die CD-Veröffentlichung von "Notes From San Francisco" völlig entgangen ist. Ich werde das aber nachholen und evtl. noch eine Ergänzung dazu machen. Danke jedenfalls für den Hinweis.

    Herzliche Grüße
    Ilka

  2. Ralf Siemer

    Hallo Ilka,
    vielen Dank für deinen Artikel zur Erinnerung und Würdigung eines ganz großen Gitarristen und Menschen, Rory Gallagher. Wer das Buch mit den Lebenserinnerungen seines langjährigen Bassisten, Gerry McAvoy, gelesen hat, wird dabei wohl wie ich so manche Träne vergossen haben. Leider wird in Deinem Artikel nicht das postum veröffentlichte Album "Notes From San Francisco" erwähnt. Meiner Meinung nach ein erstklassiges Werk, dem noch ein herrlicher Live-Mitschnitt beiliegt. Vielleicht gibt es dazu noch eine kleine Ergänzung von Dir.

    Herzliche Grüße von
    Ralf

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