Und wieder gibt es von Sireena Nachhilfe in Sachen deutscher Musikhistorie. Diesmal geht es um Rosemarie Heinikel, die heute, 71-jährig, irgendwo in der bayrischen Provinz leben soll. Dabei lebte die kurz nach dem zweiten Weltkrieg in Nürnberg geborene Rosy früher doch so ganz anders.
Es war die Zeit der 68er, die Zeit der Kommunen, deren bekanntester Vertreter unzweifelhaft die Kommune I war. Auch Rosy war eine Kommunardin und zur bekannten Kommune I-Vertreterin, Uschi Obermaier, gab es Parallelen. Wie bei Uschi fallen Begriffe wie »Rockmusik-Groupie, Verfechterin der sexuellen Revolution, Ikone der Subkultur« und Oberweite, also Busen.
Von der Presse wurde sie oft auf ihre Oberweite reduziert und bekam 'Titel wie' »das Münchener Busenwunder« oder »B.B.B. (Bayerns berühmtester Busen)«.
Heute wäre das wahrscheinlich undenkbar, denn die Frauenrechte, für die auch Rosy eintrat, sind mittlerweile recht stark in der Gesellschaft verankert. Rosy selbst hatte diese Reduzierung immer beklagt, denn obwohl sie so lebte, wie es später (1977) Ian Dury mit "Sex & Drugs & Rock’n’Roll" auf den Punkt brachte, war sie vielfältig künstlerisch unterwegs. Klar, das Groupie war sie wohl auch – man redet da unter anderem auch von Frank Zappa. Aber das will ich nicht vertiefen, das kann man in ihren Autobiografien alles nachlesen und nur dort ist die Quelle seriös.
Rosy war auch weniger eine politische Kommunardin, denn eine sich in Künstlerkreisen aufhaltende. Sie wirkte in Filmen von Wim Wenders, Ingmar Bergman und Werner Herzog mit, war als Regisseurin tätig, war Schriftstellerin, machte Radio und ja, auch "Softgirls", ein künstlerischer Porno-Bildband von Gunter Rambow findet sich in ihrer Vita. Und um auf die Musik zu kommen, sie sang auch für kurze Zeit bei Guru Guru und findet sich auf Platten von Uli Trepte. Und nun schließt sich ein Kreis, denn als sie 1980 mit der Dreigroschenoper auf Tournee war, begegnete sie über Kiev Stingl dessen Produzenten Achim Reichel. Der kannte eines ihrer Bücher, in dem sie auch über ihre Musik schrieb und war gespannt, ob sie Musik auch 'in echt' was taugt.
Das tat sie dann auch, denn es gab eine Zusammenarbeit der beiden im Hamburger Teldec-Studio. Und einige Hamburger Musiker ließen es sich nicht nehmen, am Debütalbum mitzuwirken. Und wieder mal dürfen wir Sireena danken, denn das Label bringt nun neben Rosy Rosy auch Kiev Stingl als CD auf den Markt und gibt all denen Gelegenheit, diese alte Underground- und Subkulturmusik entweder neu kennenzulernen oder die alten Vinylscheiben zu schonen. Wie Kievs Teuflisch, kann ich auch "Rosy-Rosy" nur empfehlen und strecke die Daumen nach oben.
Rosys Stimme ist besonders. Tief, melancholisch, hocherotisch. Irgendwie eine Mischung aus Marianne Faithful, Nico und vielleicht einem Hauch Amanda Lear. Die Texte sind positiv schwülstig, erotisch, eindeutig zweideutig und umschreiben direkt oder auch indirekt das ganz normale Leben, die Liebe, den Sex, allerlei Gefühle wie Traurigkeit oder auch Hoffnung. Es sind kleine Geschichten, musikalisch gekonnt, spannend und von Könnern an den Instrumenten erzählt. Sie sind meistens Chanson-verwandt, mal irrer Discoblues ("Komm doch"), mal flotter und mal ruhiger – halt genau so, dass man als Hörer immer aufmerksam bleibt. Rosy nimmt kein Blatt vor den Mund, verpackt allerdings so, dass man als Zuhörer alle Freiheiten hat. Auch ihre Zeit als Busenwunder wird nicht ausgespart. In "Busenstar ’68" reflektiert sie trefflich auf die alte Zeit und auch, dass sie mitnichten nur oberweitenwackelnd durch die Gegend lief. Ihre vielfachen anderen Tätigkeiten sprechen ja Bände. Auch wenn sie singt » … stell dich zu den Reichen – wenn dich bei denen einer sieht – wirst du geliebt … « so weiß sie auch » … da macht man sich doch besser vorher rar – wenn Busen mal ins Gefälle kommen – musst du als Frau schon mit Inhalt kommen … «
Vorliegendes Album jedenfalls ist mit Inhalt prall gefüllt. Mit Hörenswertem. Alles begeistert; Texte, Musik, Stimme und das Wirken der Musiker. Als besonderes Bonbon enthält die Platte als Bonustrack die Nummer "100% Polyester", die bis dato lediglich als Single erhältlich war. Tja, ich bin nun neugierig geworden, was diese Frau alles zu erzählen hat und werde mich mal nach Autobiographischem umschauen.
Line-up Rosy Rosy:
Rosy-Rosy (vocals)
Joachim Osiek (bass)
Chris Lunch (organ, synthesizer)
Manuel Darboven (drums)
Daniel Bontjes Van Beek (guitars)
Achim Mennicken (gutars)
Plus:
Inga Rumpf (slide guitar – #2-5)
Achim Reichel (marimba – #5, guitar – #6,7,9, piano – #6)
Manfred Seegers (saxophone – #1,5,7)
Norbert Hinterberger ( piano – #7)
Tracklist "Rosy-Rosy":
- Du kamst über mich wie das Feuer über Rom (3:32)
- Komm doch (3:53)
- Kennst du das (4:12)
- Crazy Daddy (3:17)
- Du brichst mich nicht (2:52)
- Erste Liebe (4:24)
- Busenstar ’68 (5:37)
- Feelings kalt wie Eis (3:37)
- I’m your guitar (4:59)
- Aisa (4:39)
- 100% Polyester [Bonus Track] (2:11)
Gesamtspielzeit: 43:06, Erscheinungsjahr: 2017 (1981)
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