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Rückblick auf mein RockTimes-Jahr 2024: Olli

Olli Oetken

Sie ist vorbei, die Adventszeit. Auch passé der jährlich zunehmende Konsumwahnsinn sowie die an der Tür Schlange stehenden Postboten. Auch der Schreiberling konnte sich dem Sog der offensiv geführten Rabattschlachten nicht entziehen, obwohl deren perfide Maschen wohlbekannt sind.
Von Besinnlichkeit ist diese dunkle Jahreszeit des immer kürzer werdenden Tageslichts so weit entfernt wie der Bremer Weihnachtsmarkt von dekorierendem Naturschnee.

Die Konzertsaison schloss sich für den Protagonisten bereits vor einem Monat und es herrscht seitdem ein arger Post-Livemusik-Blues. Die wahren musikalischen Perlen sind nicht erst in diesem Jahr mitnichten auf den Streamingplattformen dieser Welt zu finden, die ihren Jüngern das bewusste Hören und Genießen von Musik durch die allumfassende Zugänglichkeit massenhaft neuer Produktionen gründlich ausgetrieben hat und zu einem Dauerberieselungsstrom belangloser Konsumption verkrüppelt ist.
Nein, die Musik spielt auf den Bühnenbrettern des eigenen Gustos ihre Trümpfe aus und vermag genau die Synapsen in völlige Ekstase zu versetzen, die bei den Boomern und Generation X noch durch das Vinyl/Polycarbonat ausgesuchter Werke des heiligen Grahls angestachelt wurden.

Insofern schweift der Blick auch weniger auf neue musikalische Werke des Jahres 2024, die letzten Endes zwangsläufig der Erzählung ihrer jeweiligen Genres nichts Essenzielles mehr hinzufügen konnten, sondern auf grandiose Erlebnisse popularmusikalischer Winzhistorie des Augenblicks auf großen und kleinen Bühnen im Mikrokosmos des Schreiberlings.
Es ist aus subjektiver Sicht eindeutig das (Blues-Rock-Soul-Americana-musikalische) Jahr der Niederländer, denn Formationen wie Harlem Lake, Voltage, Ralph de Jong Band, Leif de Leeuw Band oder DeWolff wussten derart zu begeistern, dass »europäische Weltklasse« zum geflügelten Wort wurde und die Frage erlaubt sein muss, ob Henrik Freischlader in Deutschland tatsächlich das letzte Wort sein soll?

Eine ganz andere Geschichte schrieben zwei Bands aus dem Vereinigten Königreich. Die eine existiert seit dem Geburtsjahr des Autors und hat sich sowohl im Studio als auch auf den Bühnenbrettern im fortgeschrittenen Alter fast komplett neu erfunden. In Dresden und Essen wussten Deep Purple in beeindruckender Manier interpretatorisch und visuell auf ganzer Linie zu überzeugen!
Die andere ist erst seit fünf Jahren auf dem Radar, wenn es selbigen denn noch geben würde, mindestens zwei Generationen jünger und räumte auf einem umgebauten Dachboden eines ehemaligen Kuhstalls in Nordfriesland dermaßen episch ab, dass bis heute die Tränen kaum getrocknet sind, zumal Brave Rival in dieser Inkarnation ab nächstes Jahr leider nicht mehr anzutreffen sein werden, da ein Mitglied aus privaten Gründen schweren Herzens ausgestiegen ist.

Fulminant verlief auch das diesjährige 'Internationale Blues Festival Schöppingen', vielleicht nicht zufällig in der Nähe der niederländischen Grenze gelegen und mittlerweile dem Namen Grolsch im Titel beraubt (ehemals 'Grolsch Blues Festival'), denn statt des grenznahen niederländischen Bieres wird inzwischen ein Helles der Starnberger Brauerei kredenzt, welches sich am schönen Starnberger See sicherlich genießen lässt, in diesem Kontext aber keinerlei Pluspunkte sammeln kann.
Frei nach dem Motto 'Das ist doch gar kein Blues!!' wussten insbesondere Bywater Call in einem für ihre Verhältnisse großen Rahmen und Neal Francis zu begeistern, der zum krönenden Abschluss nicht nur sich selbst schweben ließ.

Klaus Walz & Achim Poet - Peter Panka's Jane

Klaus Walz & Achim Poet – Peter Panka’s Jane

Unvergessen ist natürlich auch ein sommerlicher Gewittersturm, der eine feine Zelebrierung inländischer Musiksubkultur mit Tüte und Batic-Shirt jäh zu beenden drohte, bis die Ikonen von (Peter Pankas) Jane ohne jedwedes Originalmitglied in einem improvisierten halbakustischen Rahmen im Trockenen die ganze Magie live gespielter Musik in das Epizentrum des hartgesottenen Restpublikums einzupflanzen wussten.

Und dann war da noch der niederländische Doppelschlag in den Sommerferien. In unserem Nachbarland gibt es gefühlt viermal so viele Musikfestivals wie hierzulande, obwohl doch die Bevölkerungsgröße um den gleichen Faktor geringer ausfällt. So brillierten auf dem 'Rock-on Outdoor Festival' im Boekhovenpark Nieuwe Pekela (Provinz Groningen) hauptsächlich heimische Genre-Knaller wie die Ralph de Jong Band, die im strömenden Regen eine kleine, ziemlich aufgeweichte Menge wetterfester Enthusiasten die widrigen Umstände vergessen ließ, bevor anderntags Voltage oder DeWolff diverse Superlative im Kopfkino formten.

Bospop / Southside Johnny And The Asbury Jukes

Bospop / Southside Johnny And The Asbury Jukes

Noch in der Nacht ging es dann weiter quer durch das ganze Land in die belgische Grenzregion um Weert, wo das traditionsreiche 'Bospop-Festival' absolut alles, was hierzulande als Festivalgröße herausgestellt wird, in den Schatten stellt. In drei Tagen gaben sich dort Acts wie Alice Cooper, John Fogerty, Heart, Robert Jon & The Wreck, Julian Sas Band, James Blunt, Zucchero, Toto, The Waterboys, Rival Sons, Christone 'Kingfish' Ingram, Southside Johnny & The Asbury Jukes, King King, Leif De Leeuw Band oder abermals DeWolff die Klinke in die Hand, wobei in erster Linie diese Mischung hierzulande leider undenkbar ist. Darüber hinaus sind die Ticketpreise in einem Rahmen, die noch nicht die Mondatmosphäre touchiert haben.
Insbesondere Toto konnten als Rausschmeißer dieses grandiosen Festivals in ihrer derzeitigen Inkarnation vollumfänglich von den Socken hauen und positionierten ihren Main-Man Steve Lukather als unterschätztesten Gitarrengott der Gegenwart.

Walter Trout

Walter Trout

Zum Ende hin wurde es etwas wehmütig, denn auch Walter Trout darf in Bluesrock-Kreisen ungestraft als Gitarrengott tituliert werden, verzichtet weiterhin konsequent auf Sonnenbrille und Designeranzüge, spielte in der Band des dieses Jahr leider verstorbenen Bluesfathers John Mayall und brillierte mit seiner derzeitigen Band in einer Art und Weise, dass sich der geneigte Musikenthusiast noch eine lange Fortsetzung wünscht. Es steht aber zu befürchten, dass diese nicht lang genug ausfallen könnte. Diese Feststellung steht stellvertretend für das gesamte vom Schreiberling skizierte Konzertgeschehen im Mikrokosmos der erwähnten Musikgenres. Die Protagonist*innen auf der Bühne sind vom Alter her gut gemischt, das Publikum vor selbiger neigt allerdings überwiegend zum Weißkopfadler mit nur noch rudimentär glatter Haut. Hier stimmt im Verhältnis die Mischung nicht, was auch an eingangs erwähnter belangloser (Musik)Konsumption liegen könnte.

Und genau hier liegt ein Wunsch für das kommende Jahr:
Liebe Leute unter 50, vergesst das Streaminggenudel rund um die Uhr, geht bitte dahin, wo noch echter Schweiß und echtes Herzblut vergossen wird, gerne fernab kommerzieller Auswüchse, unterstützt die Bands mit Tonträgerkäufen und Merch-Artikeln, ansonsten sieht es düster aus mit der Diversität potenzieller Playlists!

Über den Autor

Olaf 'Olli' Oetken

Beiträge im Archiv
Hauptgenres (Hard Rock, Southern Rock, Country Rock, AOR, Progressive Rock)

2 Kommentare

  1. Thomas

    Grandioser Jahresrückblick, Olli! Ich kann deine konzertanten Begeisterungsstürme nur bestätigen. Es ist nicht nur die Livemusik, die durch deinen Körper strömt, sondern auch ein gemütlicher, behaglicher Club, erfrischende Kaltgetränke, nette Gespräche mit alten und neuen Bekanntschaften sowie der direkte Draht zur Band. Oder mit einem Wort ausgedrückt "Glück"!

  2. Mario

    Ein Jahresrückblick mit Herz und Verstand:-). Stark in der Aufmachung mit den erlesenen Fotos. Damit möchte ich die Rückblicke der anderen Kollegen keineswegs schmälern. Hier sehe ich den nahtlosen Überblick zu den großartigen Konzertberichten anno 2024.
    VG Mario

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