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Rush / Moving Pictures – 40th Anniversary – 3CD-Review

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Für die langjährigen Fans der kanadischen Band Rush kann es sich durchaus lohnen, die eigene Plattensammlung zu erweitern. Während sich Musikliebhaber oft aus naheliegenden Gründen schwer tun, Vinyl vollständig 1:1 gegen CDs zu tauschen, wird im Fall der Progressive Rock-Band auf das Original wieder ordentlich drauf gepackt. "Moving Pictures – 40th Anniversary" heißt das aktuelle Werk, wobei "Moving Pictures", das achte Studioalbum der Band, ursprünglich am 12. Februar 1981 das Licht der Welt erblickte. Es ist ein Zeugnis jener Zeit, als Rush zwischen 1974 und 1982 jährlich ein neues Album vorstellte.

Die erweiterte Neuauflage vier Jahrzehnte nach Erstveröffentlichung präsentieren Universal Music, Mercury und Anthem mit reichlich Bonusmaterial. Die Liebhaber der Band können sich auf gleich sechs Konfigurationen von "Moving Pictures – 40th Anniversary" freuen: Super Deluxe Edition, 3 CD Deluxe Edition, 5 LP Deluxe Edition, 1 LP Edition, Digital Deluxe Edition und eine zusätzliche Digital Edition in Dolby Atmos-Soundqualität. Angesicht dieser stattlichen Zahl hat man vielmehr die Qual der Wahl. Am 18. Juni 2020 hatten wir über Rushs Neuveröffentlichung "Permanent Waves – Fortieth Anniversary" berichtet. Die gleichnamige Edition war aus gleichem Anlass erschienen und hatte ebenfalls Bonus-Material im Gepäck.

Das Konzept, mit zum Teil unveröffentlichtem Material zu punkten, mag über die Grenzen von Rush hinaus erfolgserprobt sein; nach reinem Kommerz sieht es mir im vorliegenden Fall aber nicht aus. Die Zahl der Scheiben ist im Gegensatz zu mancher XXL-Kollektion anderer Alphatiere überschaubar. Motto: Original in neuer Aufnahmequalität trifft auf interessante Raritäten. Die uns vorliegende zweite Konfiguration von "Moving Pictures – 40th Anniversary" erscheint als 3CD Deluxe Edition im Digipak. Sie vereint das neu gemasterte Originalalbum auf einer CD und das komplette, bislang unveröffentlichte Konzert von 1981 in Toronto auf den zwei Bonus-CDs. Zu den weiteren Extras gehören ein 24-seitiges Booklet mit unveröffentlichten Fotos und dem neu interpretierten Artwork von Syme.

Musikalisch ist die Platte eine gute Wahl, weil sie einer der Meilensteine von Rush am Beginn eines neuen Jahrzehnts ist. Zu hören sind unterschiedliche Tracks, die zeigen, wie die Band den Balanceakt zwischen Prog-Wurzeln und radiofreundlichem Sound meisterte. Der Vorgänger "Permanent Waves" hatte diese Entwicklung bereits eingeleitet. Rush beweisen, dass sie keineswegs sperrig klingen, aber sich sehr individuell zwischen den Stilen Art Rock, Prog Rock und Hard Rock bewegen. "Moving Pictures" ist eines von zahlreichen Alben, das im Le Studio in Morin-Heights (Quebec) eingespielt wurde. Der Ort wurde deshalb gern als das "bandeigene Abbey Road von Rush" bezeichnet. Hier veredelten Bassist, Keyboarder und Sänger Geddy Lee, Gitarrist Alex Lifeson und Schlagzeuger Neil Peart ihre Klangideen, die über die Studioarbeit hinaus in einer erstaunlichen Liveumsetzung gipfelten. Das Instrumentarium stellte allein das Trio ohne zusätzliche Unterstützung bereit. Elektronische Zusätze wurden eingespielt und bewirkten, dass der technische Aufwand bei Konzerten enorm stieg. Immerhin bediente Geddy Lee im Studio Bass und Keyboard gleichzeitig und sang.

Der Album-Opener "Tom Sawyer" gehörte viele Jahre zum Liveprogramm und spiegelt das Besondere von Rush wider. Man mag schon von eigenwilliger Musik sprechen, weil diese im positiven Sinne eigenständig war und in keine Schublade passen wollte. Es folgen vertonte Abstecher in wilde Traumwelten ("Red Barchetta") und der Instrumentalmeilenstein "YYZ". Hinter diesem Kürzel steckt die Flughafenkennung des Pearson International Airports in Toronto.
Wer glaubt, 1981 hätte es in der kanadischen Rockmusik an gesellschaftkritischer Auseinandersetzung gefehlt, der irrt. "Limelight" ist ein Blick auf die Probleme introvertierter Künstler und populärer Menschen, die sich lieber ihre Privatsphäre bewahren würden, als alles mit der Öffentlichkeit teilen zu müssen. Die Texte der Band, die von 1968 bis 2018 ein halbes Jahrhundert bestand, stammen fast ausschließlich von Schlagzeuger Neil Peart, der am 7. Januar 2020 an den Folgen eines Hirntumors verstarb.

Den zweiten Teil der Platte leitet "The Camera Eye" ein. Es ist ein vielschichtiger, zehnminütiger Blick auf das Treiben in New York City, dem Rush die viel ältere Geschichte Londons gegenüberstellen. Zeitlich sprengt das Stück den Rahmen und bietet Prog Rock vom Feinsten. "Witch Hunt" samt dem bedrohlichen Untertitel "Part III Of Fear" widmet sich dem Themenkomplex Vorurteile und Mob-Mentalität. Das Album endet mit dem Song "Vital Signs"; ein druckvoll-treibender Schlusspunkt, der die experimentell-abenteuerlichen Aspekte jener Richtungen aufzeigt, die Rush im weiteren Verlauf der Achtziger verfolgten.
Mit einer guten Fanbasis konnten die Kanadier weltweit bei einem Publikum punkten, das stets bereit war, eine konzertante Musik aus den bereits erwähnten Bestandteilen Art Rock, Prog Rock und Hard Rock zu genießen. Den möglichen Vorwurf, ihre Musik sei zu kantig, entkräfteten sie überzeugend auf zahlreichen Tourneen auf dem gesamten Erdball. Deutschland war dabei immer fest im Tourkalender verankert.

Die Fans liebten und lieben den einzigartigen, oft experimentellen Ansatz, in welchem das einzigartige Können als Musiker, ihr Hang zu komplexen Kompositionen und ein besonderer Umgang mit Texten und Inhalten zusammen kommen. Mitunter zeigten sich die Feinheiten hinter ihren Kompositionen erst nach mehrmaligem Hören. Die Musik von Rush wurde selbst zur Quelle für Inspiration. Man brauchte sich als Hörer nur drauf einzulassen. Knapp fünf Jahre nach Auslösung der Band wird einem als Anhänger bewusst, welcher Verlust der endgültige Abschied war.


Line-Up Rush:

Geddy Lee (vocals, bass, keyboards)
Alex Lifeson (guitar, vocals)
Neil Peart (drums)

Tracklist "Moving Pictures – 40th Anniversary":

CD 1: Moving Pictures

  1. Tom Sawyer
  2. Red Barchetta
  3. YYZ
  4. Limelight
  5. The Camera Eye
  6. Witch Hunt
  7. Vital Signs

CD 2: Live In YYZ 1981

  1. 2112 – Overture
  2. 2112 – The Temples Of Syrinx
  3. Freewill
  4. Limelight
  5. Cygnus X-1 Book II: Hemispheres – Prelude
  6. Beneath, Between & Behind
  7. The Camera Eye
  8. YYZ
  9. Broon’s Bane
  10. The Trees
  11. Xanadu

CD 3: Live In YYZ 1981

  1. The Spirit Of Radio
  2. Red Barchetta
  3. Closer To The Heart
  4. Tom Sawyer
  5. Vital Signs
  6. Natural Science
  7. Working Man / Cygnus X-1 Book II: Hemispheres – Armageddon: The Battle Of Heart And Mind / By-Tor & The Snow Dog / In The End / In The Mood / 2112 – Grand Finale
  8. La Villa Strangiato

Gesamtspielzeit: 39:53 (CD 1), 61:30 (CD 2), 57:27 (CD 3), Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Mario Keim

Musikstile: Heavy Rock, Rock, Deutschrock, Hard Rock
Marios Beiträge im RockTimes-Archiv

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