Manchmal passieren Sachen … So kontaktierte mich Alan Tepper und fragte, ob RockTimes nicht Lust hätte zwei Scheiben zu rezensieren. Einmal Farewell To A World Untorn der Österreicher The Trance und dann "Sunrise" einer Kraut- und Prog-Band aus den Siebzigern. Logisch, dass ich da sofort blind zugesagt habe. Erstens weil Alans Beschreibungen den Mund wässrig machten, zweitens weil das Label Ohrwaschl Records dieser Mundfeuchte weitere Nahrung gab und drittens weil Alans Band Fantasyy Factoryy ja auch nicht gerade eine mir unbekannte Truppe ist.
Sahara, der Bandname stimulierte einen Bereich in meinem Kopf, aber ich kam erst mal nicht drauf. Lange Zeit zum Überlegen wollte ich auch nicht mit Sinnieren verbringen, da mich die Musik in Beschlag nahm. Progressiv ist das, was ich da anfangs hörte. Kraut erst mal nur im Ansatz und nuanciert. Mir fielen erst mal die enorme Vielseitigkeit der Musiker sowie der musikalischen Ausrichtung auf. Gebläse, das in die Richtung Jazz schielt, gar eine Art Country Prog, dann Tunes längst vergangener Prog-Zeiten. Letzteres ist ja kein Wunder, datiert die Musik doch zurück in ihre vielleicht glückseligste Zeit, den Anfang der 1970er.
Stimmungs- und Stilwechsel en masse und mit einer dramaturgischen Professionalität, die zum einen begeistert und zum andern den Rezensenten ratlos dreinblicken lässt, wieso diese passionierten Musiker nur zwei Alben unter dem Namen Sahara veröffentlicht haben. Ich selbst kannte die Band in den alten Zeiten nicht. Aber die Musik muss damals einer Offenbarung gleichgekommen sein. Gerade läuft "Circles", das Stück, dessen Fahrwasser ich weiter oben als Country Prog bezeichnet habe. Irre, wie die Jungs da aus dem anfänglichen Country-Feeling mit mehrstimmigem Gesang und akustischen Saiten so langsam in proggigere Gewässer driften, dabei gar eine unübersehbare Spur Tasten- Boogie hinter sich herziehen.
Aber weiter: Es ist nämlich so, dass ich der kleinen Schrift auf dem rückseitigen Papersleeve wegen, die Suchmaschine anwarf, um im Netz eventuell die Infos besser lesbar zu finden. Und dann kam der Moment, den ein jeder sicherlich schon erlebt hat: Der berühmte Schlag mit der flachen Hand an die eigene Stirn, weil man plötzlich auf etwas gekommen ist, was einem trotz Grübelns partout nicht einfallen wollte. In den Suchergebnissen zu 'Sahara Sunrise' tauchte nämlich als Fundstelle RockTimes auf! Vorliegendes Album wurde von uns bereits besprochen und zwar im Jahr 2007 vom ehemaligen Kollegen Jogi. Und nicht nur dass, er hat auch den Nachfolger For All The Clowns rezensiert und sogar ein Interview mit Sahara geführt. Und um mir so richtig in den Hintern zu treten: im gleichen Jahr taucht die Band auch in unserem Bericht des Herzberg-Festivals auf.
Ich muss immer wieder erstaunt feststellen, dass in den Tiefen unseres Archivs, das bis ins Jahr 2004 zurückreicht, so allerhand schlummert, was scheinbar ab und an gehoben werden will. Die Gelegenheit, liebe Leser, mal zu erforschen, was es dort zu entdecken gibt. Vielleicht mal den alten Künstlerindex untersuchen, oder wenn ihr einen Lieblingsrezensenten habt – hier ist unser altes Impressum, in dem ihr jede Menge Schreiberlinge samt ihren Artikeln findet.
Da ich mit der damaligen Rezension von Jogi konform gehe, will ich nicht in Wiederholungen verfallen. Anmerken möchte ich aber, dass die fast halbstündige und titelgebende Monsternummer "Sunrise" aus den vollen schöpft und dass das in den 'kurzen' Stücken Gehörte hier ausgiebig im Jam zelebriert wird. Das Spiel scheint gezielt improvisatorisch inszeniert und besonders der Moog darf sich austoben, die jazzrockigen Attacken kommen sehr gut und mit Verve, lediglich das Country angehauchte Westcoast Stück wird thematisch nicht angegangen.
Der 2007er-Ausgabe hat vorliegendes Album zwei Bonustracks voraus. Da wäre einmal der rockige "Rainbow Rider", der als kurze Singleversion vorliegt und dann ist da natürlich noch eine starke Liveversion von "Sunrise". Unmerklich zusammengemixt aus Shows aus München und zwar 2014 im Olympiapark sowie aus dem Interim 2013. Eingeleitet wird das Stück mit gesprochenen Worten von Armand Presser, die in deutscher Sprache in Bezug zum englischen Songtext stehen. Sein Text, als auch die Lyrics aus den beiden Tracks mit Text sind im sehr informativen Booklet zu finden. Neben zeitgenössischen Bildern und jeder Menge weiterer Infos. Die Rückseite ziert anscheinend das Cover der Original-LP (deswegen wohl die kleine Schrift), denn dort ist zu sehen, das "Sunrise" der erste und einzige Track der zweiten Vinylseite war bzw. ist. Wem die beiden Bonustracks als Kaufanreiz nicht genügen, dem sei gesagt, dass der Klang, da remastert, vorzüglich ist. Ein feines Teil deutscher Musikgeschichte – und last but not least: Die Band ist noch bzw. wieder aktiv und spielte im April dieses Jahres wieder im Münchner Interim. Sobald es weitere Termine gibt, werden wir diese veröffentlichen.
Was immer Sahara heute spielt, ob es neue Songs gibt usw., weiß ich nicht. Gemessen an vorliegendem Album wäre alles möglich. Sie beherrschen Westcoast, Kraut, Jazz- und Prog Rock. Allerdings wird das Stück "Sunrise" wohl niemals ungespielt bleiben, ist es doch quasi Saharas Solar Music
Line-up Sahara:
Hennes Hering (keyboards)
Michael Hofmann de Boer (woodwinds, Moog, melotron, vocals)
Alex Pittwohn (harmonica, tenor sax, vocals)
Harry Rosenkind (drums & percussion)
Stephan Wissnet (bass, vocals)
Nick Woodland (guitars)
And on Bounstrack #1:
Armand Presser (voice: Sunrise Intro)
Tracklist "Sahara":
- Marie Celeste (7:35)
- Circles (4:38)
- Rainbow Rider (7:40)
- Sunrise (27:20)
Part I
(a) Sunrise
(b)The Divnity Of Being
(c) Perception … Including "Devils Tune"
(d) Paramount Confuence
Part II
(a) Aspiration
(b) Creativity
(c) Relisation - Sunrise [Mashup Mix live im Olympiapark München, 2014 und im Interim München, 2013] (23:29) [Bonustrack]
- Rainbow Rider [Single Edit] (2:47) [Bonustrack]
Gesamtspielzeit: 74:38, Erscheinungsjahr: 2019 (1973)
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4 Kommentare
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Doc Rock
4. September 2019 um 11:42 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Unter dem Namen
SaharaSubjectEsq
hat die band einen eigenen Channel auf YT, auch mit vielen Konzertausschnitten. Grandios.
Doc Rock
4. September 2019 um 11:36 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
ENDLICH mal wieder eine Scheibe aus den goldenen 70gern, die hier vorgestellt wird. Dieses Album ist phänomenal und befindet sich in Originalversion auch in meinem Besitz.
Wenn man diese ganzen Bands der 70ger Jahre hört, begreift man erst, wieviel Geist und Seele der Musik heute abhanden gekommen sind.
Auf YT kann man das gesamte Originalalbum finden.
Ulli Heiser
31. August 2019 um 19:16 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hi Michael,
ich bin auch immer wieder überrascht, was da noch so an mir unbekannter Musik aus der goldenen Zeit schlummert. Und ich bin sicher, dass uns beim Flaschenleeren die eine oder andere davon über den Weg läuft 🙂
LG
Ulli
Michael Breuer
31. August 2019 um 18:35 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hey Ulli,
langsam wird es unheimlich.
Da hast Du schon wieder eine alte Krautrockperle meines Gustos ausgegraben!!! Genial, dass es die jetzt mit Bonus-Material gibt. Ich hoffe inständig, dass das Nachfolge-Album auch noch einmal mit entsprechenden Präsenten aufbereitet wird, denn "For All The Clowns" gehört schon immer zu meinen heimlichen Krautrock-Lieblingen. Auszüge aus dem Album haben mich vor knapp 30 Jahren auf ollen Cassetten und einem sündhaft teuren Walkman in den Himalaja begleitet und beim Weihnacht-Special 2016 hatte ich die "Clowns" lange in der engeren Auswahl.
Geil, dass diese tolle Band auf diesem Weg mal wieder ein wenig in den Fokus gerät.
Ich bin schon jetzt gespannt, welche überraschenden Schnittstellen wir noch freilegen werden, wenn wir demnächst mal die eine oder andere Flasche gemeinsam köpfen. Und da freu ich mich ganz besonders drauf!
LG, Michael