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Saint Gallus Convention Tapes / Files Vol. 01 – CD-Review

Saint Gallus Convention Tapes / Files Vol. 01

Die Presseinfo erklärt zum Debütalbum "Files Vol. 01": »Die Band Saint Gallus Convention Tapes mischt die Klänge des britischen Blues und texanischer Psychedelia der 60er Jahre mit zeitgenössischem Stoner Rock.« Na dann wohl an.

Der heilige Gallus war im übrigen ein Wandermönch und Missionar, der im Frühmittelalter im Bodenseeraum gewirkt haben soll. Ich gebe zu, das musste ich nachlesen und ich weiß nicht genau, welche Thesen und Abkommen er einst vertrat, immerhin inspirierte er anscheinend eine Gruppe von vier Musikern aus dem Raum Dortmund zu einem außergewöhnlichen Bandtitel. Dabei hatte sich das ungleiche Quartett ursprünglich nur zum jammen getroffen, doch die Chemie sprang über und das Bandprojekt war im Kasten.

Joe Black ist im Ruhrgebiet schon lange kein Unbekannter mehr, spielte schon vor dem Millennium in der Oberhausener Garage-Band The Hippsters Harp und Gitarre und war viel im Blues unterwegs. Zusammen mit drei jungen Musikern macht er sich nun auf, dem Blues eine völlig neue Seite abzugewinnen. Dabei durchstreifen wir gelegentlich doomige Untiefen, erleben krachende Stoner-Riffs, nur um im nächsten Moment in einem psychedelischen Farbenspiel abzudriften.

Gerade die Psychedelik wird durch den zweistimmigen Gesang schon in der ersten Nummer "Wang Dang Doodle" heraufbeschworen. Wem bei diesem Titel die Ohren klingeln hat recht, es handelt sich um ein Willie Dixon-Cover, genau wie der letzte Song, "Bring It On Home". Doch Vorsicht, der Begriff Cover sollte hier sehr lose verstanden werden, SGCT, um nicht immer die lange Schreibweise nutzen zu müssen, interpretieren die Klassiker in einer sehr freien Form.

Zwei Eigenkompositionen fließen in das Debüt-Album ein, nämlich zum einen das dichte "Drought", dass mit einer mäandernden Gitarre und dem sanft schwebendem Gesang ein wenig die Geister von Jefferson Airplane herauf beschwört. Doch wenn Bass und Schläge in den Vordergrund drängen, fetzt plötzlich ein krachend krächzender, tiefer Riff-Tornado in die beschauliche Atmosphäre – ein fast brutaler Kontrast zu dem losgelösten Grundgerüst des Songs. Es war diese Nummer, die mich auf die Platte aufmerksam gemacht hat.

Der zweite eigene Titel heißt "White Tears" und hat ein gutes Stück Gänsehautcharakter. Eine repetitive, lose im Raum schwebende Gitarre kreiselt durch die Hirnwindungen des Zuhörers, ein leiser Sprechgesang geistert scheinbar ziellos darüber hinweg. Anfangs hat das ein wenig von Velvet Undergrounds "Ocean". Doch wenn der Gesang in eine Art Litanei übergeht, fühle ich schon ein wenig vom zeitlosen Blues und seiner Dramatik, der aber wirklich nur in den Vocals Ausdruck findet. Die Musik mäandert nämlich wie ein transzendentaler Klangteppich leise und völlig entschleunigt dahin, Zeit und Raum scheinen sich aufzulösen.

Neben dem bereits zitierten Willie Dixon begegnen wir auch Einspielungen, die einst von Howlin' Wolf, J. B. Lenoir und Mr. Elmore James ersonnen wurden, bei letzterem dem Meister entsprechend mit einer Slide-Einlage. Doch während diese Nummer in ihrer Aufbereitung relativ klassisch erscheint, nimmt beispielsweise "Don’t Dog Your Woman" im zweiten Teil des Songs einen hypnotischen Trip und löst somit die eigentlichen Blues-Strukturen auf.

Die prägnanteste aber ist sicherlich die schon zitierte Dixon-Nummer, "Bring It On Home", mit ihren harten düsteren Akkorden und der spärlichen Harp. Ich kann mir nicht helfen, der Song löst bei mir unweigerlich Erinnerungen an David Lynchs "Blue Velvet" aus, obwohl dieses Stück im Original nicht Bestandteil des Films war. Doch nach guten vier Minuten ist Schluss mit lustig und der Song driftet ab in einen mystischen, hypnotisch monotonen Jam, der allerlei Effekte bis zum Exzess bedient. So etwas wie eine Songstruktur wird wie eine lästige Haut abgestreift, wir gehen im Strudel der Zeit verloren. Sehr schön bestimmt hier die Rhythmusfraktion den Duktus, die Gitarre lässt sich teilweise kaum mehr wahrnehmbar zurückfallen, nur um im nächsten Moment zu einem neuen Kreisel anzusetzen. Plötzlich schwebt weit hinten in den Kleinhirnregionen ein bisschen von Dick Dales "Misirlou" vorüber. Ihr wisst schon, der geniale Opener für "Pulp Fiction". Vielleicht sollte ich an dieser Stelle anmerken, dass SGCT auch schon zu einem Soundtrack beigetragen haben,  der Film hieß "Die Übriggebliebenen – Valley Of The Leftovers" aus dem Jahre 2018.

Saint Gallus Convention Tapes finden auf ihrem Debüt eine spannende Kombination verschiedener Musikwelten, bleiben dabei stets erdig und handgemacht, die Lust am Jam ist in jeder Phase zu spüren. Der leicht soulige und losgelöste Gesang von Co-Vokalistin Tonia schenkt ein wenig Leichtigkeit und sorgt für psychedelische Momente.

Wer Blues einmal auf neue Art interpretiert hören möchte und keine Angst hat vor Experimenten, tief gestimmten Saiten und düsteren Riffs, dem sei die Wanderschaft mit dem heiligen Gallus nahe gelegt. Dafür muss man nicht an den Bodensee reisen, die Bühnen rund um Dortmund warten, wenn denn irgendwann diese Virenkrise überwunden wurde.


Line-up Saint Gallus Convention Tapes:

Joe Black (vocals, guitar, harp)
Tonia Goehlich (vocals)
Kevin Krenczer (bass)
Florian Grass(drums)

Tracklist "Files Vol. 01":

  1. Wang Dang Doodle
  2. Drought
  3. Smokestack Lightnin'
  4. White Tears
  5. Don’t Dog Your Woman
  6. Done Somebody Wrong
  7. Bringt It On Home

Gesamtspielzeit: 44:37, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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