Unsere Redaktion erhielt kurz nach der Besprechung von Fuzz Sagrado, der neuen Band von Chris Peters, ein Exemplar des letzten Albums von Samsara Blues Experiment (fortan SBE). Es erschien Ende 2020 auf dem Markt und trägt den Titel "End Of Forever", dem unmissverständlichen Synonym dafür, dass Samsara sich trennen werden und Chris Peters einen neuen Weg gehen wird – nämlich den mit seiner Frau nach Brasilien, wo er inzwischen lebt und arbeitet.
Nun waren wir uns eigentlich nicht ganz sicher, ob wir die Platte gar als Dankeschön für die Besprechung von Fuzz Sagrado erhalten haben oder Chris womöglich festgestellt hat, dass die Scheibe in unserem Archiv noch fehlt. Nun, es gibt keinerlei Berührungsprobleme, sich gerne auch einem Album zu widmen, welches schon ein paar Tage länger auf den Plattentellern rotiert.
Die Entwicklungsgeschichte von SBE muss hier nicht noch einmal aufgerollt werden. Der Weggang von Richard Behrens, der dazu führte, dass der zweite Gitarrist Hans Eiselt auf den Bass umstieg, das alles ist auch bei RockTimes in der Vergangenheit thematisiert worden. Gleichsam der damit verbundene Aufstieg getasteter Töne, für die Chris Peters neben Gesang und Gitarre ebenfalls verantwortlich zeichnet. Für mein Empfinden setzt er dieses Stilmittel hier noch intensiver ein als auf dem Vorgänger One With The Universe. Mehr noch, gelegentlich nehmen die Harmonien ein wenig krautrockige Allüren auf, im Zusammenspiel zwischen Saiten und Tasten kommen bereits im langen Opener "Second Birth" Stimmungen auf, wie sie Eloy auf "Floating" schon vor langer Zeit produzierten. Was gut gefällt ist der Umstand, dass mit dem Bonus-Track ein klassischer Jam am Ende steht und man automatisch in die gleiche Atmosphäre gespült wird, wenn man vom Ende auf den Anfang des Albums umswitcht. Das Intro zu "Second Birth" bildet mit "Jumbo Mumbo Jumbo" eine perfekte Klammer. Dabei ist letztgenannter Song nicht einmal auf dem Inlet des Albums verzeichnet. Fast möchte ich vermuten, dass gerade diese Improvisation als Hommage an alte Wegbegleiter gemeint sein könnte, mit denen SBE viele gemeinsame Wege bestritten, aber das werde ich hier nicht weiter konkretisieren – da mag sich jeder selbst sein Bild machen.
Wie herrlich, dass mit "Southern Sunset" eine Nummer aufblüht, die uns die gute alte Zeit Santanas vor Augen führt. Geht fast los wie einst bei "Jin-Go-Lo-Ba". Dass diese Bezüge in der deutschen Stoner- und Psychedelic-Szene nicht so selten sind, wissen wir spätestens seit Colour Haze und ihrem unfassbaren "She Said". "Southern Sunset" hat aber erstaunlich gängige Hooklines im Mittelteil, die mit dem Latino-Auftakt nicht mehr viel zu tun haben. Für Unterbrechung sorgen ein paar Riffs und dann ein ausgesprochen zugängliches Gitarrensolo, das eigentlich gar nicht recht in die Vita von Chris passt. Das ändert sich nach einem weiteren Break, jetzt geht der Psych und zum Ende die Latino-Percussion noch einmal ab.
"Lovage Leaves" schwenkt in einen geradezu romantischen Exkurs ein. Sanfte Keyboard-Teppiche schmeicheln erst der dezent im Thema verharrenden Gitarre und begehren dann selbst stimmungsvoll auf. Hat das Krautrock-Potenzial? Na klar! Es dient aber letztlich der inneren Versammlung, wenn wir uns zum Titelsong aufmachen. "End Of Forever" mag wohl von vorn herein das Statement der Band umfasst haben, dass ihre Geschichte eben nicht ins Unendliche reichen wird. Düstere Riffs und aggressive Vocals lassen vorübergehend ein wenig vom Spirit Black Sabbaths aufkommen, zumindest so lange, bis uns ein reduzierter Bass und ein leicht mystischer Synthie aufnehmen und scheinbar in eine unbekannte Richtung steuern mögen. Cooler Spannungsbogen. Und dann entlädt sie sich jene geile Gitarre, die ich schon so lange bewundere. Leicht psychedelischer Fuzz, der sich letztlich in die Sabbath-Riffs zurück entwickelt. Ein fettes Statement, auch wenn es eigentlich den traurigen Hintergrund in sich birgt, dass die Zeit von SBE sich dem Ende neigt.
Entsprechend sanftmütig reagiert die "Orchid Annie" mit einer entspannt Sound-malenden Gitarre und auch der Gesang von Chris ist um einige Stufen zugänglicher, ein Song wie eine Hommage an eine vergangene Liebe? Oder eine vergangene Epoche? Das Zusammenspiel zwischen Keyboard-Passagen und Gitarre hat abermals einen starken krautrockigen Charakter und ich bin erstaunt, wie sehr Chris inzwischen die Tasten in den Vordergrund stellt. Er hat ja in jenem Interview, auf das ich noch zu sprechen komme, bereits ausgesagt, dass er seine Hippie-Phase für beendet hält. Vielleicht ist dies ja der Ausdruck dafür.
Und damit wir uns erst gar nicht allzu lang mit dieser These auseinandersetzen müssen, legt die Band eben jenen Jam nach, der auf Vinyl nicht zu haben ist und der uns herrlich fuzzige Psychedelic schenkt. Und der richtig geile Mittelpart klingt dann tatsächlich wie eine leicht Acid-getränkte Version von Frank Bornemann in frühen Jahren. Überhaupt kann man meinen, dass die immer leicht mystische Stimmung und der Hang zu einer verträumten Melodik den Herren Peters und Bornemann gleichsam zu eigen ist, wenn auch in unterschiedlichen Stilrichtungen. So oder so, Eloy ist irgendwie in meinem Hinterkopf mit dabei. Diese Nummer macht mir ein letztes mal klar, warum ich ein Fan von SBE war, seit sie im Jahr 2010 ihren Long Distance Trip veröffentlichten. Es war damals eines meiner Lieblingsalben des Jahres.
Etwa zum Zeitpunkt des Erscheinens von "End Of Forever" gab Chris ein umfangreiches Interview beim Magazin eclipsed, wo er sehr ausführlich über die Entwicklung von SBE und den Beziehungen zwischen den beteiligten Musikern spricht, aber auch durchblicken lässt, warum seine Frau und er nun Berlin verlassen werden. Ein kurzer Abschnitt daraus ist besonders haften geblieben: »Man muss nicht vor allem im Leben Angst und Bedenken haben usw. Das fand ich in den letzten Jahren in Berlin schon echt nervig, heute Corona, gestern das Klima oder irgendein anderes 'Weltuntergangsszenario'. Damit will ich nicht die Probleme runter spielen, aber die deutsche Mentalität finde ich schon sehr ängstlich und vieles ist irgendwie zu verkopft.«
Dem mag ich sehr wohl zustimmen. Leider bin ich zu alt, um eine konsequente Reaktion wie Chris zu zeigen, dazu fehlt mir der Mut und die Kraft. Wäre ich zwanzig Jahre jünger, dann…
Genug des Gejammers, ist es doch auch ein Jammer, SBE vermutlich in dieser Form nicht mehr erleben zu können. Zugleich ist es eine umso größere Freude, den Werdegang dieser tollen und immer sehr eigenständigen Rockband mit begleitet zu haben. Etliche Live-Konzerte bleiben mir im Gedächtnis und ihre Platten warten freudig drauf, mal wieder in den Player geschoben zu werden. Wenn es denn so war, dass Chris uns dieses Exemplar als ein Dankeschön hat zukommen lassen, dann sei ihm hiermit dafür herzlich gedankt, die Platte fehlte nämlich noch im Hause Pasternak. Gut zu wissen, dass unser Archiv nun auch das letzte Werk einer Band beherbergt, die für mich lange Zeit so etwas wie das Aushängeschild deutscher Hippie-Musik gewesen ist.
Line-up Samsara Blues Experiment:
Chris Peters (guitar, vocals, keyboards)
Thomas Vedder (drums, percussion)
Hans Eiselt (bass, backing vocals)
Tracklist "End Of Forever"":
- Second Birth
- Massive Passive
- Southern Sunset
- Don’t Look Back
- End Of Forever
- Orchid Annie
Gesamtspielzeit: 51:22, Erscheinungsjahr: 2020
Neueste Kommentare