
Das Hannoveraner Label MIG Music (kurz für Made in Germany Music) trägt seine Ausrichtung ja eigentlich schon im Namen und konzentriert sich dann auch hauptsächlich auf die deutsche Rock-Geschichte. Eine tolle Sache, die immer wieder (vielleicht) bereits vergessene Perlen wie beispielsweise von Twenty Sixty Six And Then, Mehrfach-CD-Boxen von Epitaph, SFF (Schicke-Führs-Fröhling) und Gate oder Rockpalast-Auftritte von Peter Panka’s Jane, Hoelderlin, Bröselmaschine sowie Karthago (um nur mal einen Teil des Outputs der letzten paar Jahre anzusprechen) neu ans Tageslicht bringt und (meistens) zu begeistern weiß. Bereits im vergangenen Jahr 2023 kam dann mit "History Box 1 – The Studio Albums 1974-1981" das komplette Studio-Vermächtnis der Kölner Band Satin Whale. Anfang der siebziger Jahre gegründet und lange Zeit als Quartett agierend, kann man die musikalische Hinterlassenschaft dieser Combo sicherlich in drei Parts unterteilen:
Phase I: Satin Whale kamen 1974 beim hochangesehenen Label Brain unter und legten 1974 mit "Desert Places" ein qualitativ hochwertiges Debüt vor. Weniger im Kraut- als vielmehr im Progressive Rock zu verorten, legte die Combo fünf starke Tracks im melodischen Prog-Bereich vor, die auch vor langen Spielzeiten und Jams innerhalb der Stücke sowie vereinzelten jazzrockigen Einsprengseln nicht halt machten. Sehr bereichernd, dass der Gitarrist und Sänger Dieter Roesberg auch seine Jethro Tull-Einflüsse in Form einer sich teilweise mit der Gitarre duellierenden Flöte zur Geltung brachte. Ein sehr gutes Debüt, dessen Qualität die Kölner nie mehr übertreffen würden. Fairerweise muss aber gesagt werden, dass die zweite Platte, "Lost Mankind" von 1975, dem Erstling kaum nachstand. Die Grundauslegung war und ist diesselbe, lediglich wurden die Songs kürzer, es gab einen Besetzungswechsel an den Drums und die Intensität, die Atmosphäre ist nicht mehr ganz so dicht. Dennoch ein ebenfalls starkes Album, das bedenkenlos weiterempfohlen werden kann. Hier endete allerdings auch die (von mir) sogenannte Phase I.
Phase II: In der zweiten Hälfte der Siebziger gab es zwar keine Änderungen im Line-up, dennoch hat sich auf "As A Keepsake", dem dritten Studioalbum, vieles verändert. Zum einen verzichtete Dieter Roesberg mittlerweile auf die Lead Vocals, die ab hier vom Bassisten Thomas Brück übernommen wurden. Die zweite – und noch wichtigere – Änderung war der Sound und die musikalische Ausrichtung. Satin Whale schlugen hier deutlich hörbar eine neue Richtung ein, weg vom Progressiven und hin zum Mainstreamigen. Gut gemacht ist das immer noch, selbst wenn die Fans der ersten beiden Scheiben damals wohl etwas enttäuscht waren. Noch einen Schritt – und für den Rezensenten jetzt dann tatsächlich einen zu viel – ging die Band mit Album Numero 4, dem 1978 veröffentlichten "A Whale Of Time". Zwar vom deutschen Sound-Guru Conny Plank abgemischt, kommen hier jedoch auch symphonische Elemente ins Spiel und die letzten Spuren der ersten beiden Alben – die auf dem Vorgänger immerhin noch erkennbar waren – sind hier allenfalls noch zu erahnen. Am Gesang ist weiterhin Thomas Brück, der seine Sache vor dem Mikro im Übrigen genauso gut machte, wie Dieter Roesberg auf den ersten beiden Platten. Ende von Phase II.
Phase III: 1980 krachte es dann doch ganz ordentlich im Besetzungs-Gebälk und sowohl der Gitarrist Roesberg, als auch der Tastenmann Dellmann warfen die Brocken hin, während sich Thomas Brück und Wolfgang Hieronymi darauf um neue Mitmusiker bemühten, um mit "Don’t Stop The Show" das fünfte und letzte Studioalbum der Band-Geschichte einzuspielen. Mit komplett neuer Mannschaft war natürlich auch das neue Klangbild eine völlig anderes. Unter anderem mit dem englischen Sänger Barry Palmer (später u. a. bei Mike Oldfield) ging es hier deutlich in Richtung AOR, sprich den Sound, den Bands wie etwa Foreigner zu jener Zeit fuhren. Ebenfalls qualitativ sehr gut gemacht, von den progressiven Anfängen der Band jedoch in etwa soweit entfernt, wie – etwas überspitzt ausgedrückt – Motörhead von den Eagles.
Keines dieser fünf Alben fällt qualitativ wirklich ab, was sowohl die Songs, als auch die Produktion oder den Gesamteindruck betrifft. Lediglich geschmacklich unterliegt es – wie immer – dem jeweiligen Musik-Fan, welche musikalische Ausrichtung ihm mehr zusagt. Der Rezensent bevorzugt diesbezüglich ganz klar die ersten beiden Werke. Von daher eine sehr gelungene Veröffentlichung von MIG Music, die eine über die Jahrzehnte etwas in Vergessenheit geratene Band hoffentlich wieder ein Stückchen mehr ins Rampenlicht oder zumindest in die Erinnerung zurück bringt. Für Sammler speziell der deutschen Rock-Szene ein absolutes Muss!
Nicht unerwähnt bleiben sollen in diesem Zusammenhang auch die Live-Doppel-LP "Whalecome" von 1977, die die erste Phase der Bandgeschichte abschloss sowie der Soundtrack zu dem Film "Die Faust in der Tasche" aus dem Jahr 1979 . Bereits 1981 wurde von den Bandmitgliedern zusätzlich die Combo Gänsehaut gegründet, die es mit dem Song "Karl, der Käfer" (kann sich noch jemand erinnern?) im Jahr 1983 sogar in die Hitparade schaffte. 1983 löste sich Satin Whale dann jedoch endgültig auf.
Line-up Satin Whale:
Thomas Brück (bass, background vocals – CD 1,2, lead vocals – CD 3,4)
Dieter Roesberg (guitars & flutes & alto sax – CD 1-4, lead vocals – CD 1,2)
Barry Palmer (lead vocals – CD 5)
Eberhard Wagner (guitars – CD 5)
Gerald Dellmann (organ & piano & vibes – CD 1-3, keyboards – CD 4)
Pete Haaser (piano & keyboards – CD 5)
Horst Schättgen (drums & background vocals – CD 1)
Wolfgang Hieronymi (drums – CD 2-5)
Tracklist "History Box 1 …":
- Desert Places
- Seasons Of Life
- Remember
- I Often Wondered
- Perception
CD 2 – "Lost Mankind":
- Six O’Clock
- Lost Mankind
- Reverie
- Go Ahead
- Trace Of Sadness
- Midnight Stone
- Song For Thesy
- Beyond The Horizon
CD 3 – "As A Keepsake":
- Holidays
- Reminiscent River
- Devilish Roundabout
- A Bit Foolish – A Bit Wise
- Shady Way
- Goin' Back To Cologne
- Kew Gardens
- Maree
- No Time To Lose
- A Whale Of Time
- Racing Driver
- Mighty Skyscrapers
- Your Love
- Desert Village
- Spring
- One More Night
- More Than A Voice
- Little Tune
- I Can’t Believe
CD 5 – "Don’t Stop The Show":
- Don’t Stop The Show
- Lady Night
- Stay With Me
- Out Of Control
- Girl
- It’s Better
- Let It Roll
- Too Late
- My Ann
Gesamtspielzeit: 43:50 (CD 1), 42:57 (CD 2), 43:43 (CD 3), 44:18 (CD 4), 39:26 (CD 5), Erscheinungsjahr: 2023 (1974, 1975, 1977, 1978, 1981)
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