Nicht wenige Musiker haben ihre jüngste Veröffentlichung an die Begriffe Pandemie und Lockdown gekoppelt und daraus ein Lockdown-Album werden lassen. Im gleichen Maße trifft das auf Saxon zu. Allerdings ist hier der Fokus ein etwas anderer. Sänger Peter 'Biff' Byford räumte dem Debüt von Heavy Water (2021) eine solche Rolle ein. Hinter dem gleichnamigen Projekt stehen Vater und Sohn Sebastian (Künstlername Seb Byford). Im vergangenen Jahr kam außerdem als Nachfolger von "Thunderbolt" (2018) das Saxon-Album Inspirations in die Läden. Darauf demonstrieren die Briten, dass sie Spaß am Covern haben und mit ihren elf Kompositionen gleichzeitig überraschen können. Als neues Werk folgt "Carpe Diem" (2022).
Ein Album in bester Saxon-Tradition, jedoch in jeder Hinsicht ein Meilenstein. Der denkwürdige Titel umreißt die besondere Situation des Sängers, der daraus kein Geheimnis macht: »Die feurige Intensität von "Carpe Diem" ist größtenteils begründet durch zwei extreme Lebenssituationen: Es waren zwei schwierige Jahre. Ich hatte im September 2019 meinen Herzinfarkt und dadurch lief es für die Band schon nicht gut und drei Monate später kam Covid. Glücklicherweise hatten wir schon mit dem Schreiben und den Aufnahmen zum neuen Album begonnen. Die Drums haben wir in Deutschland eingespielt, die Gitarrenparts an verschiedenen Locations. Ich habe eine Menge während meines Krankenhausaufenthalts geschrieben und wir haben dann alle Ideen, die wir hatten, arrangiert und zusammen geworfen. Ich denke, durch die Umstände ist es ein sehr intensives Album geworden und vielleicht kommt diese Intensität auch von dem Frust, dass man in der Lockdown-Covid-Periode nichts machen konnte«.
Alles mutet an wie in einem Traum, merkt man dem Ergebnis die Schwierigkeiten doch nicht an. Die Protagonisten wussten durch die räumlichen Bedingungen gut zu improvisieren. Die Gitarren wurden von Andy Sneap in den Backstage Recording Studios, Derbyshire (Großbritannien), aufgenommen, die Vocals von Seb Byford in Big Silver Barn, York, und die Drums von Jacky Lehmann (Audiosound) bei Velbyproductions in Grünenplan, Deutschland. Byff Byford steuerte alle Texte bei, dessen Junior Seb Byford sang die Backing Vocals ein. Produziert wurde das Album gemeinsam von Andy Sneap und Biff Byford, gemixt und gemastert von Andy Sneap. Im Zweitberuf ist Produzent Andy Sneap (Judas Priest, Exodus, Accept) zweiter Gitarrist bei Judas Priest und vertritt dort den krankheitsbedingt ausgeschiedenen Glenn Tipton bei Liveauftritten.
Eine Zusammenarbeit auf hohem Niveau, denn musikalisch zünden die zehn Tracks für die Fans des Heavy Metal wie ein Feuerwerk. Der Titelsong (offiziell: "Carpe Diem (Seize The Day)" ist eine würdige erste Single-Auskopplung, die allerdings in der Schärfe der Gitarrenarbeit auf der Platte noch übertrumpft werden sollte. Angesichts der geschilderten Umstände bekommt "Carpe Diem (Seize The Day)" (auf Deutsch: "Nutze den Tag") für Biff Byford und seine Mitstreiter eine einzigartige persönliche Note.
Vielleicht deshalb kommt mir das Titellied seit dem erstmaligen Hören wie eine Hymne der Band daher. Das folgende "Age Of Steam" eröffnet den Reigen der vielen Kracher, die das komplette Werk durchziehen. Ja, es klingt vom Gefühl tatsächlich so, als habe die New Wave of British Heavy Metal in diesem Moment erst begonnen. Die New Wave Of British Heavy Metal (NWoBHM)) formierte sich aber in Wirklichkeit in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren durch eine Zahl junger britischer Bands, die sich mit ihrer Heavy Metal-Musik den gestandenen Formationen wie Black Sabbath oder Deep Purple stellen wollten. Zu den maßgeblichen Akteuren gehörten damals Saxon, die nach der Bandgründung unter ihrem Namen 1979 im Eiltempo loslegten und allein in den ersten drei Jahren vier Alben veröffentlichten. Noch heute sind Titel aus dieser Zeit unverzichtbarer Bestandteil ihrer Bühnenshow.
Das anschließende "The Pilgrimage" (Deutsch: Pilgerfahrt) ist ein Juwel und der einzige Ruhepunkt auf dieser Platte, wenn man davon überhaupt sprechen kann. Feinfühliger, zeitloser Metal, bei dem die Instrumentalisten kollektiv ihr Können zeigen. Ab "Dambusters" gibt es kein Halten mehr. Heavy Metal – wie er im Bilderbuch steht. "Dambusters" thematisiert die Zerstörung der Talsperren im zweiten Weltkrieg. Einen brisanten aktuellen Hintergrund hat "Remember The Fallen". Eine einprägsame Komposition, die sich den Opfern der Pandemie widmet und Fragen rund um Corona aufwirft.
Neben "Remember The Fallen" versetzen uns vor allem "Super Nova" und "All For One" gedanklich und im Klang in die Zeit der New Wave of British Heavy Metal. Hier geht es aber nicht um Nostalgie, wir hören vielmehr moderne und zeitlose Metal-Musik aus dem Hier und Jetzt. Bei "All For One" kommt gut das exzellente Zusammenspiel der beiden Gitarren und der Rhythmusgruppe zur Geltung. Diese Perfektion gehört inzwischen ebenso zu den Markenzeichen wie Biff Byfords ausdrucksstarker Gesang.
Der Rausschmeißer ist "Living On The Limit". Dieser Name sollte allein dafür stehen, dass das "Carpe Diem" neue Maßstäbe bei der Riff-Geschwindigkeit setzt. Dazu noch einmal der Sänger und Mitbegründer von Saxon, der vom »dynamischsten Album seit Jahren« schwärmt: »Alles beginnt mit dem Riff. Wenn das Riff mich anspricht, sind wir auf einem guten Weg. Es ist ein sehr intensives Album und beschränkt sich auf die Tatsache, dass ein großartiger Metal-Song mit einem sehr guten Riff startet. Dieses Album hat eine Menge davon.«
"Carpe Diem" ist eine herausragende Metal-Produktion mit einem dicken Ausrufezeichen. Nach den vielen Durchläufen des Albums ist es mir ein Bedürfnis, ein paar persönliche Worte loszuwerden. Es nötigt mir großen Respekt ab, wie Peter 'Biff' Byford an der Spitze von Saxon mit persönlichen Krisen umgeht und wie er dieses Flaggschiff des Heavy Metal auch in schwierigen Zeiten auf Kurs hält. Längst ist mir die Band ans Herz gewachsen. Das neue Studioalbum unterstreicht diese Tatsache.
Line-up Saxon:
Biff Byford (vocals)
Paul Quinn (guitar)
Doug Scarratt (guitar)
Nibbs Carter (bass)
Nigel Glockler (drums)
Guest:
Seb Byford (backing vocals)
Tracklist "Carpe Diem":
- Carpe Diem (Seize the Day)
- Age of Steam
- The Pilgrimage
- Dambusters
- Remember the Fallen
- Super Nova
- Lady In Gray
- All for One
- Black is the Night
- Living On the Limit
Gesamtspielzeit: 44:19, Erscheinungsjahr: 2022
1 Kommentar
Wilhelm Eric Berwanger
3. Februar 2022 um 19:42 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Mario,
als Saxon Fan der ersten Stunde macht mir das neue Album wieder richtig Hoffnung. Es war für mich in all den Jahren ein auf und ab und als das Innocence is no Excuse- Album heraus kam, dachte ich die New Wave of British Heavy Metal ist vorbei. Die Tour habe ich live gesehen und die Pretty Maids als Vorgruppe haben Saxon damals an die Wand gespielt. Warum? Weil die Maids auch damals keine Experimente gemacht haben. Es war aber auch die Zeit wo Priest mit Turbo, Ozzy mit Ultimate Sin, Kiss mit The Elder usw. den Metal neu erfinden wollten und (dem Metal God sei Dank) alle wieder "back to the roots" gegangen sind. Auch Saxon haben sich danach wieder besonnen und bis Killing Ground wieder ordentlichen Metal gespielt. Die Alben die danach kamen, waren aber nicht mehr meine Welt und weit weg von Songs wie Princess of the Night oder Power and the Glory. Bei Inspirations habe ich dann auch wieder bei Saxon reingehört und Carpe Diem bringt mich vielleicht auch wieder auf die Stallions of the Highway.
Danke für das geile Review Mario und Saxon forever!