Da bereist Du den krautigen Orbit psychedelischer Klänge nun schon seit etlichen Jahrzehnten und stößt immer noch auf neue Welten, die schon zu den deutlich älteren zählen? Noch dazu, wenn sie sich zum Teil aus schrägen Harmonien der Sixties nähren, damals als sich Pink Floyd einst auf die Reise machten?
Nein, die Shiny Gnomes sind prinzipiell keine Floydsche Verwandtschaft, ihre Entwicklung, wie ich nun erfahre, startete im Jahre des Herren 1985, nimmt die abgedrehten Spielarten aus den sechziger Jahren auf und entwickelt daraus eine brodelnde Mischung aus Garage, Independent und Psychedelic, immer mit einer leicht pendelnden Amplitude zwischen Punk und Pop. Solche Tendenzen waren in den Achtzigern nicht ungewöhnlich, die späten Punk- und Wave-Bands bezogen sich gerne auf die Musik aus den wilden Sechzigern. Doch die leuchtenden Gnome entwickelten ihre Strahlkraft in diesen unseren Landen, genau genommen in Nürnberg – und das ist mir all die Jahre durch die Lappen gegangen?
In den Iden des März 2022 werden die Shiny Gnomes nun schon ihr zwölftes Album auf den Markt bringen. Schon in den frühen Jahren mutmaßte die Presse über ihren Status, weitaus mehr Beachtung finden zu können, wenn sie denn nicht aus Kraut-Deutschland stammen würden. Tatsächlich hat sich die Independent-Szene aus meiner Sicht erst in den letzten etwa fünfzehn Jahren von allen nationalen Grenzen gelöst, eine Zeit, in der es zwischenzeitlich ein wenig ruhiger um unsere Gnome geworden war. Inzwischen gibt es eine wunderbare Achse cooler Locations von Nürnbergs Hirsch über Würzburg bis nach Aschaffenburg, für eine fränkische Band geradezu eine Lebensader für spannende Live-Events.
Was mich nach dem ersten Anhören total antörnt: Das Album hat gerade zu Beginn und zum Ende hin eine vermutlich gänzlich ungewollte Freundschaftsanfrage zu jemandem, den ich hochgradig verehre. Ich denke an den Meister der abgefahrenen psychedelischen Gitarre und der unkonventionellen Konstrukte, Mister Steve Hillage. Nicht zwingend wegen der reinen Saitenarbeit, vielmehr wegen Steves Songwriting aus der Zeit der späten Siebziger. Auch der wusste schon immer darum, faszinierende Tastentöne sowohl organischen als auch synthetischen Ursprungs seinem fast außerirdischen Gitarrenspiel entgegen zu setzen. Selbstredend möchte ich hier nicht die Virtuosität eines solchen Meisters als Vergleich heranziehen, es geht mir vielmehr um die Kompositionen, die eine Menge Gemeinsamkeiten aufweisen. Man möge sich einmal Steves Version von Donovans "Hurdy Gurdy Man" anhören und dann dieses Album mit Muße betrachten. "Pearly" könnte eine sehr doomige Interpretation dessen darstellen und der Psych-Faktor schießt mich erst einmal in die Reihenhaus-Umlaufbahn. Mann, ist das ein geiler Start. Schon hier flashen die stimmungsvollen Hooks auf der elektrischen Sitar, auf der einst Alex Wiska mit seiner Alex Oriental Experience den Blues neu inszenierte. Im Kleinhirn schwingen die Assoziationen an George Harrison mit, aber der bärenstarke Gesang von Limo hält uns im hier und jetzt.
Und diese Shiny Gnomes scheinen einiges mit uns vor zu haben. Jedenfalls klingen die mächtigen Keyboard-Wände in "Gentle Numbers" fast ein wenig nach dem Boss, quasi "Burn In The USA" in bayrischem Psych eingefangen. Nach dem Bombast zu Beginn darf die Gitarre ein wenig zurückgenommener exaltieren. Die gesungenen Hooklines bleiben aber bestimmend. Coole Nummer.
Und dann tauchen wir ab in die Harmonien der späten Sechziger, für den Chor der Damen ist am Nebentisch gedeckt, fällt mir dazu ein. Loriot, "Pappa Ante Portas"! Ich liebe ihn halt. Das kräftige und sehr komprimierte Gitarrensolo löst sich jedoch aus den historischen Bezügen, da wird der Bezug zum Garage-Rock mehr als deutlich. Die Choräle hingegen haben etwas von "Hair".
Ist es ein Zufall, dass mir die beiden Nummern "Rococo Carvings", wo Nummer 2 vor der 1 gespielt wird, besonders romantisch beziehungsweise vorwärts gerichtet erscheinen? Sicher nicht. Zugegeben, der zweitgespielte erste Teil verwandelt sich nach dem verträumten Intro in eine rhythmusgeprägte, treibenden Nummer mit klaren, meditativ eingebremsten Gitarrenlinien und sanften verspielten Keyboard-Applikationen, während Nummer 1 von den Sitarklängen und den schönen, schlicht begleitenden Achtziger-Jahre-Keys lebt. Diese scheinen sich gegenseitig zu befeuern und am Leben zu halten, der wieder einmal absolut überzeugende Gesang schwebt über dieser Sphäre positiver Energie, die fortschreitend immer mehr die Intensität erhöht und ein wunderschönes Crescendo bietet. Eine musikalische Liebeserklärung, faszinierend umgesetzt.
Dazwischen eingeschoben liegt das coole "Flashing Clockwise" wie ein moderner Fels in der Brandung, eine Art poppiger Garage-Rock für den gängigen Zeitgeist. Der Song nährt sich von eingängiger Percussion und kulminiert in einer gradlinigen Gitarre, die hier keine Ausflüge anstrebt.
Das schöne Tasten-Intro zu "Go On Then" lässt mich vorübergehend in progressive Gefilde abdriften, die riffigen Gitarren und der wie immer leicht schräge Gesang, der an die Zeiten von Velvet Underground erinnert, erden aber erst einmal, bis ein krasses Gitarren-Freak Out aus den Zonen der psychedelischen Independent-Musik klar macht, dass wir es hier mit einem sehr vielschichtigen Ansatz zu tun haben, der sich nie und nirgendwo einfangen lassen will. Spacig abdriftende Keyboards befeuern den Geist des wilden Westens und "The Best Place" klingt wie eine moderne Adaption auf Bob Dylan direkt aus der Umlaufbahn des Planeten Pluto. Die klassische Orgel und die abermals sehr stilvoll eingesetzten Hintergrundgesänge lassen an den Wurzeln dieser Musik keine Zweifel. Dazu die rotzig freche Gitarre, schön, wie hier zwischen den Zeiten Ping Pong gespielt wird.
Ach, und dann ein so herrliches Finale. "Head On" mit seiner meditativ repetitiven Gitarre über einem sanften Gesang, der thematisch an die erste Nummer anzuschließen scheint, ein Song voller retrospektiver, leicht melancholischer Kraft, der das voran gegangene Werk irgendwie noch einmal zu kommentieren trachtet. Am Ende versammeln wir uns, vereint und beseelt »when love comes in« mit harmonischen progressiven Sounds, die auch am Ende eines Albums von Arena oder Spock’s Beard passen würden.
Psychedelische Sounds sind mein Ding und man findet sie in ausgesprochen unterschiedlichen Spielfeldern. Die klassische Variante ohne Kompromisse mögen bei uns im Land wohl Vibravoid repräsentieren. Die Düsseldorfer sind da auch schon seit mehr als zwanzig Jahre am Werk. Dann gibt es die gitarrenorientierten Psychedeliker wie beispielsweise die Spacelords mit Hang zum Heavy Rock oder die abgefahrenen Projekte eines Dave Schmidt alias Sula Bassana. Shiny Gnomes halten dagegen mit einer sehr lässigen Mischung, die leicht poppigen Tendenzen genauso Platz bereitet wie krachendem Garagen Rock. Es ist und bleibt faszinierend, welche Vielfalt hiesige Bands zu bieten haben. Man kann nur inständig hoffen, das die Bühnen in absehbarer Zeit endlich wieder geentert werden können, es gibt viel zu entdecken auch in deutschen Landen.
Einen sehr spannenden Aspekt in dieser Besprechung möchte ich nicht versäumen. Wenn man sich mit dem Umstand auseinander setzt, dass die Musik auf "Otherness" starke und deutliche Bezüge zu historischer Rockmusik herstellt, sollte man wissen, dass ein promovierter Historiker in der Band mit an Bord ist. Keyboarder Gazi, der im bürgerlichen Leben Rainer Mertens heißt, ist der zweite Chef im Museum der Deutschen Bahn in Nürnberg und dort für die Sammlungen und Ausstellungen verantwortlich – an jenem Standort, wo einst der Adler 1835 die ersten deutschen Bahnmeter zwischen Nürnberg und Fürth bewältigte. Historische Wurzeln, im Beruf und in der Musik, was für ein mitreißendes Betätigungsfeld.
Ob ich jemals nach der inzwischen weitgehend akzeptierten Verbotspolitik im Zusammenhang mit kleinsten Lebewesen noch einmal ein Konzert besuchen werde, kann ich momentan nicht sagen. Sollte dem so sein, werde ich ganz sicher nach den Shiny Gnomes Ausschau halten.
"Otherness" ist eine Reise zwischen Zeiten und Stilen, aber auf verrückte Weise sehr authentisch und stimmig zusammen gebracht.
Ich war schon lange nicht mehr in Nürnberg, schau’n mer mal…
Line-up Shiny Gnomes:
Stefan Lienemann 'Limo' (vocals, guitar, electric sitar)
Rainer Mertens 'Gazi' (keyboards)
Andreas Rösel (bass, synthesizer, vocals)
Lars Worch (drums, percussion)
Guests:
Doris Völkl (vocals)
Stefanie Nerreter (vocals)
Sabine Matheisl (vocals)
Tracklist "Otherness":
- Pearly
- Gentle Numbers
- Is It That
- Rococo Carvings II
- Flashing Clockwise
- Rococo Carvings I
- Go On Then
- The Best Place
- Head On
Gesamtspielzeit: 50:16, Erscheinungsjahr: 2022
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