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Slingshot / A Variation In Shape – CD-Review

Österreich hat mich noch nie im Stich gelassen – erst recht nicht in der Musik, habe ich doch schon in der jüngeren Vergangenheit so viele faszinierende Bands aus dem Land der Berge und Seen kennen lernen dürfen. Auch wenn mein persönlicher Cruise meist auf Salzburg fixiert ist, hielt auch die SoKo Wien schon verschiedene eloquente Überraschungen bereit. Eine (für mich) neue solche vermitteln mir nun die vier Jungs von Slingshot mit einem feinen Werk aus dem weit gestreuten Reich des Stoner Rocks.

Man sollte jedoch schon im Allgemeinen mit dem Begriff Stoner sorgsam umgehen, denn für viele Rock-Freunde steht dieser Begriff ganz oft auch für das, was man mit Retro eigentlich präziser beschreiben könnte. Slingshot befriedigen beide Seiten dieser Stoner Medaille. Klassische Riffs aus staubtrockenen Soundscapes der ehrwürdigen Väter Kyuss und jede Menge filigrane Rückbezüge auf vergangene Epochen unserer Kultur verbinden sich zu einem Energie geladenen, gut durchdachten Konglomerat in sich stimmiger, saucooler Songs zu einem echten Überraschungsalbum. Spätestens mit dem herrlich groovenden "Steamroller" überrollen mich die Herrschaften und ziehen mich in ihren Flow.

Dabei findet man sehr viele Zitate auf zeitgemäße Genregrößen wie die Münchner Colour Haze und Been Obscene, die lieb gewonnenen Landsleute aus der schönen Stadt der Hochkultur an der malerischen Salzach. Verbunden mit unverkennbaren Allegorien aus dem Reich von Pearl Jam und noch sehr viel früher aktiven Helden ergibt dies eine ausgesprochen zeitlose und erfrischend dynamische Mischung. Hey, und eine ganz tiefe Blutsbruderschaft mag ich zu den jungen Tirolern von Mother’s Cake vermuten, die mich im April mit ihrem starken Auftritt in Moers sehr beeindruckt haben. Merkwürdigerweise bezeichnen diese sich selbst als progressive Band mit entsprechend Retro und Riff orientierten Einflüssen, während Slingshot in der eingängigen Presse eher als Stoner-Band mit progressiven Anwandlungen gehandelt wird. Spielt das eine Rolle? Progressiver Stoner-Rock oder Stoner orientierter Prog-Rock – Hauptsache gut gemacht. Und das gilt für beide.

Musikalisch sind die Herrschaften über jeden Zweifel erhaben. Ein faszinierend vielseitiger und anpassungsfähiger Gesang, wunderbar abwechslungsreiches Gitarrenspiel zwischen explodierenden Riffs, zart und zerbrechlich akzentuierten Klangmalereien und sich virtuos eingroovenden Rhythmusattacken – sehr intelligent kontrastierend zwischen ekstatischen Ausbrüchen und Artrock artigen Applikationen. Und die Rhythmusfraktion drischt nicht ohne Sinn und Verstand auf die Pauke, sondern kommt mit einem sehr sauber und transparenten Bass und einem geschmeidigen Getrommel sehr viel kontrollierter und subtiler daher, als man es von eingängigen Wüstenrockern erwarten kann. Ja, ein gewisser Hang zum Progressiven und Kunstvollen hängt den Kompositionen an, ohne jemals überfrachtet oder stilistisch fragwürdig zu werden. Nein, man hat den Eindruck, dass Slingshot einen sehr präzisen Plan verfolgen und damit eine eindrückliche und unverwechselbare Musik schaffen, die bei den diversen Festivals in der Szene zu einem echten Hinhörer werden könnte.

Aber wir sollten die Rechnung nicht ohne einen Blick in die ausgesprochen philosophischen Texte begleichen. Da ist vielfach von den Maschinen und Robotern die Rede, denen sich Mensch entgegen stellt. Eine rock-musikalische Bearbeitung eines uralten Themas, eine moderne Terminator-Geschichte auf Stoner? Ich denke eher nicht und schaue mir erstmal das Cover an. Ein ziemlich gruseliger mechanisierter Flattermann mit einer Blutsauger tauglichen Kauleiste und spinnigen Beinen glotzt ziemlich unfreundlich auf seine Betrachter. Nun ist der Schmetterling in der Natur nicht gerade eines der besonders Furcht erregenden Tiere unserer Fauna, so kommt mir der Gedanke, dass das Symbol der Metamorphose hier womöglich ein Beweggrund für die Darstellung sein könnte. Nimmt man die mechanische Ausstattung der Monstren und Mutationen nun noch als Metapher an, sehr wahrscheinlich auf all das, was eben der menschlichen Psyche oft so zerstörerisch in den Sinn kommt, was sie zusammen baut wie die Maschinen und Roboter – nämlich alle unsere Ängste und düsteren Gedanken – dann kommt man der Wahrheit wohl ein gutes Stück näher. Der Kampf des Individuums braucht keine bösen Roboter, die übelsten Feinde werden oft in unseren eigenen Köpfen geboren. Wohl dem, der solche Erfahrungen nie gemacht hat, viele werden es nicht sein. So erinnert mich der fiese Falter ein wenig an Buffalo Bill. Nein, nicht der alte Western-Eumel, sondern der irre Killer aus dem genialen Film "Das Schweigen der Lämmer". Dort spielte der Schmetterling eine ganz ähnliche, sehr beängstigende Rolle, was sogar auf den Plakaten und DVD-Covern genutzt wurde. Eine geile Anspielung, wenn’s denn so gemeint war.

»The industry of murder, built by the human race, was taken further, by machines without any grace«. Allein über diese Aussage kann man trefflich diskutieren. In Zeiten, in denen uns eine immer perversere, rüstungshörige Presse scheinbar auf alle möglichen künftigen kriegerischen Szenarien einzuschwören versucht, gewinnen solche Zeilen gespenstisch an Bedeutung.
Und den Text zu "The Betraying Smile" möchte ich jedem ans Herz legen, dem all die abendlich auf den Bildschirmen agierenden Lächler auf den Wecker gehen, die ihre hinterlistigen Ambitionen so unschön mit ihrem heuchlerischen Gefasel verschleiern. Wahre Worte aus dem wirklichen Leben.

Fazit: Coole Musik, die den eigenen Tellerrand gerne in alle möglichen Richtungen überschreitet und Texte, über die es sich nachzudenken lohnt, alter Stoner-Schwede, was willst Du eigentlich mehr?


Line-up Slingshot:

Jonas Berger (guitar, backing vocals)
Wolfgang Pecka (bass, backing vocals)
Günther Schmid (drums, percussion, vibraphone)
Funkhead (vocals)

Tracklist "A Variation In Shape":

  1. The Dark Speech Of The Moon
  2. Steamroller
  3. Killer Queen
  4. A Human Riot
  5. The Betraying Smile
  6. Master Of Disaster
  7. Finely Tuned Motion
  8. Bloodsucker
  9. Reason For Resurrection
  10. Trapped In A Tree

Gesamtspielzeit: 58:49, Erscheinungsjahr: 2016

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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