Die Engländerin Sonja Kristina hatte bereits einen guten Namen in der Londoner Folk-Szene und sogar einige Auftritte im britischen TV als Sonja hinter sich, bevor sie 1968 eine tragende Rolle in dem Musical "Hair" erhielt. Nebenher sang sie noch in anderen Bands, bevor sie am 1. Januar 1970 die offizielle Einladung erhielt, als Sängerin bei der Band Curved Air einzusteigen. Ein Angebot, das sie natürlich nicht ausschlagen konnte. Als 1976 nach sieben Alben (sechsmal Studio, einmal Live) erstmal Schluß mit der Band war, kehrte sie ans Theater und speziell zu "Hair" zurück, ohne die Musik jedoch gänzlich an den Nagel zu hängen. 1980 erschien schließlich ihr erstes, gleichnamiges Soloalbum, das elf Jahre später von "Songs From The Acid Folk" gefolgt wurde. Die mir nun vorliegende "Anthology" stützt sich hauptsächlich auf diese beiden Scheiben.
Aber es gibt auch noch reichlich mehr. Das eröffnende "Frank Mills" beispielsweise ist eine 2017er Neuaufnahme des Tracks, den sie knapp fünfzig Jahre zuvor bereits in "Hair" gesungen hatte. Eine sehr ruhige folkige Nummer, spärlich (aber raffiniert) instrumentiert und mit dem Fokus auf dem Gesang liegend. Oder dann ihr Beitrag "The Passion" zu dem kürzlich in diesem Theater vorgestellten Album Excalibur 4: The Dark Age Of The Dragon von Alan Simon. Auch hier (wie die meisten der Tracks) von akustischen Instrumenten begleitet, gefällt dieses Stück durch seine tolle Gesangsmelodie sowie dichte Atmosphäre. Was für die gesamte Platte gilt, ist das hier eine – vielleicht auch durch die folkige Auslegung – sehr melancholische Grundstimmung den Ton angibt. Sonja Kristinas einzigartige Stimme thront über allem und weckt sehr schnell die Aufmerksamkeit, was alleine schon mal ein Gütesiegel ist.
Vom Solodebüt der Engländerin stammt "Full Time Woman", dessen Anfangstöne zwar umgehend an einen sehr bekannten Song von Mott The Hoople erinnern, das sich dann aber doch sehr bald zu ihrer ganz eigenen Nummer entwickelt. Bei dem zweiten neuen, im sich mittlerweile zu Ende neigenden Jahr 2017 aufgenommenen, Track handelt es sich um "C’est La Vie", bei dem die Sängerin erneut durch ihre weise, in Würde gealtert wirkende Stimme überzeugt. Die zweite CD kommt insgesamt – wenn auch immer noch deutlich in der Folk-Musik verwurzelt – deutlich flotter rüber, wofür unter anderem Tracks wie "Devil May Care", "Buccaneer" oder auch "St. Tropez" und weitere sprechen.
Während ich mich so durch die Scheibe höre, stellenweise gar in diesen Songs versinke und im positiven Sinne vor mich hinträume, werde ich plötzlich hellhörig. Kann das sein? Nein… doch, das ist es! Beim Nachlesen im Booklet bestätigt sich dann, dass die gute Sonja tatsächlich mal einen Beitrag zu einem Motörhead-Tributalbum beigesteuert hat. "I Don’t Believe A Word" hört sich in der hier enthaltenen Fassung selbstverständlich vollkommen anders – nämlich logischerweise ebenfalls akustisch-folkig – an, was dem Titel aber nichts von seiner Klasse nimmt. Oder wie ein weiser Mann einmal festgestellt hat: Ein guter Song bleibt ein guter Song, ganz egal, ob er als Heavy Rock oder Akustik Folk gespielt wird.
Diese insgesamt 21 Tracks bestechen durch eine einzigartige, wenn auch ziemlich melancholisch-intensive Atmosphäre, die auf ihre eigene Art und Weise wunderschön ist. Es mag ein hinkender Vergleich sein, aber ich fühlte mich zeitweise an die Musik von Alexandra (R.I.P.) erinnert. Vielleicht nicht unbedingt ein Album für jeden Tag, aber wenn der Zeitpunkt der richtige ist, dann ist "Anthology" ein einziger Genuss.
Tracklist "Anthology":
- Frank Mills
- If This Was Love
- The Passion
- Baby’s Song
- Full Time Woman
- Man He Colour
- One To One
- Melinda (More Or Less)
- This Is Not A Sanctuary
- Angel
- C’est La Vie
- Devil May Care
- Anna
- Buccaneer
- Rollercoaster
- St. Tropez
- I Don’t Believe A Word
- Street Run
- O Fortuna
- Love Child
- Citadel
Gesamtspielzeit: 44:11 (CD 1), 41:30 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2017 (1980 – 2017)
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