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Sons Of Apollo / MMXX – CD-Review

Sons Of Apollo / MMXX – CD-Review

Schau einer an, das erste Album namens "MMXX" aus dem neuen Jahrzehnt auf dem Besprechungstisch ist eine Scheibe mit 'Mighty' Mike Portnoy! Nein, eben nicht mit der Neal Morse Band. Genau nach der hatte ich mich erkundigt, doch InsideOut Music hatte vor dem mit Gänsehaut erwarteten Live-Album vom "Great Adventure" noch eine Überraschung in petto.

Sons Of Apollo verdienen wie kaum eine andere Formation das Prädikat einer Supergroup. Wenn man sich die Kollegen und Tätigkeitsfelder der beteiligten Musiker vergegenwärtigt, stößt man auf einen Großteil der Helden, die Menschen meiner Generation begleitet und stets in Stimmung  gebracht haben. Wer wie ich in den Siebzigern mit Deep Purple sozialisiert wurde und später auch differenzierte Konzepte zwischen Progressive, Hardrock und ein bisschen Metal schätzen lernte, wird dem Gott des Lichts und vor allem auch der Musik mit euphorischen Erwartungen entgegentreten. Mike Portnoy und Derek Sherinian (auch Gründungsmitglied bei Black Country Communion) kennen sich schon aus den Tagen bei Dream Theater, aber das Konzept der Söhne Apollos ist ein deutlich anderes. Bassmann Billy Sheehan spielte einst mit Mike bei The Winery Dog, Ron 'Bumblefoot' Thal gab ein Gastspiel bei Guns N' Roses und die fette Röhre von Jeff Scott Soto befeuerte einst die Saitenflitzereien eines noch jungen Yngwie Malmsteen.

Für ein Album aus dem erweiterten Bereich des Prog bekommen wir eine wahrlich metallische oder zumindest schwerlastig hardrockige Interpretation geboten. In diesen Tagen des Wintersports sprechen die Akteure oft von einem besonders griffig scharfen und aggressiven Schnee – eine perfekte Metapher auf diese Musik. Rons Riffs sägen mit gnadenloser Schärfe und feinstem  Gefrickel den Putz von der Decke, während Dereks wilde Keys ein ums andere Mal klingen wie eine zweite Lead-Gitarre. Neben diesen herausragenden solistischen Einlagen, denen sich bisweilen auch Billy Sheehan mit kunstvollen Basseinlagen anschließt, empfangen uns immer wieder faszinierende Harmonien mit deutlichen Reminiszenzen an Rainbow oder deren purpurfarbenen Vorgänger, so wie in "Desolate July" oder "Ressurection Day". "King Of Delusion" hingegen überrascht mit einem nachdenklich elaborierenden Piano-Opening, das sogleich zersägt wird von Rasenmäher scharfen Gitarrenriffs und Mikes ekstatischer Double Bassdrum, nur um mit einem traumhaften Break hinein in herrlich progressive Arena-Gefilde aus der "Visitor"-Zeit geerdet zu werden.

Allein das erhaben gnadenlose Intro zum Auftakt der satten sieben Minuten langen Single "Goodbye Divinity" bringt den geneigten Hörer genüsslich auf Touren. Die krachenden Riffs und der fast eingängige, satte Gesang lassen tatsächlich weit mehr Schnittstellen zu klassischem Hardrock erkennen als eine progressive Richtung. Wenn ich allerdings irgendwo im Netz gelesen habe, Jeffs Stimme würde ein wenig an Ronnie James Dio erinnern, dann kann ich das nicht nachvollziehen, viel eher klingt für mich eine gewisse Verwandtschaft heraus mit dessen Nachfolger 'over the rainbow', Graham Bonnet.

Tiefe Empathie beweist die Band im kurz vor dem CD-Release veröffentlichten "Desolate July". Die sakralen Glocken zu Beginn und der irgendwie besinnliche Duktus folgt dem nachdenklich, traurigen Text zu einer Art musikalischem Nachruf auf einen alten Freund der Band. David Z. stand der Band dem eigenen Bekunden nach sehr nahe, ganz besonders Mike und Jeff. Letzterer widmete dem Freund einen ergreifend mitnehmenden Text und überließ Mike dazu die zweite Stimme. Kann man auf eine schönere Weise von einem Freund Abschied nehmen, als ihm in einem solch tief greifenden Song ein Erbe zu bewahren? Jungs, ich danke Euch sehr für diese Erfahrung, so etwas nenne ich Stil!

Dass die Band mit "New World Today" am Ende den längsten Titel des Albums setzt, macht Sinn. Auch diese Nummer folgt einem klaren kompositorischen Konzept, bietet aber eben genau den Spielraum für diverse solistische Ausritte und Improvisationen, diese sechszehn Minuten bieten genau dadurch ungeheure Spannung und vergehen wie im Flug. Sehr geil!

Sons Of Apollo gehen in ihr drittes Jahr. Nach dem großartigen Debut "Psychotik Symphony" und einem faszinierenden Live-Album (mit der ultimativen Metal-Version von "Comfortably Numb", und zwar mit philharmonischer Begleitung) betont Mike Portnoy im Bezug auf die Entwicklung der Band, dass sie, die fünf Jungs, die in der Rockmusik so ziemlich alles gesehen haben, was es zu erleben gibt, inzwischen sehr viel mehr intuitiv auf einander einzugehen verstehen. Logo, eine Mannschaft muss zusammenfinden, egal wie perfekt die Einzelspieler sind. Kennen wir vom Fußball.

Fasziniert hat mich die Erzählung, wie das Album entstanden ist. Scheinbar hat auch hier, ähnlich wie einst bei der Neal Morse Band, Mike Portnoy als erster mit den Drum-Lines das Grundgerüst für die Aufnahmen geliefert. Nach und nach wurden die Puzzle-Teile dazu geschnitten und entsprechend aufbereitet. Als jemand, der kein Instrument beherrscht, habe ich mir diesen Prozess in dieser Form vorher kaum vorstellen können.

Kristallen wirkende, glasklare Sounds zwischen erbarmungsloser Härte und virtuosen Ausritten, vereint mit fast schon allgemeinverständlichen Harmonien und Hooklines, gestaltet in überragender Instrumentalität und geführt von mitreißendem Gesang – die Söhne des Musikgottes wissen, wie man den gemeinen Rocker bei den Eiern kriegt.
Insgesamt gehen die kompositorischen Experimente nicht allzu weit, die Musik lebt von den außergewöhnlichen Fähigkeiten seiner Protagonisten und der kompakter werdenden Teamarbeit. Beides führt zu einer ungeheuren Dichte im Sound und einem stimmigen roten Faden von der ersten bis zur letzten Sekunde einer faszinierenden Scheibe.

"MMXX", ergo 2020 in der lateinischen Schreibweise ist ein Klasse Album für Hardrock-Fans egal welchen Alters. Bezüge zu früheren Helden gibt es genug, doch die Ausrichtung ist auf eine durchaus zeitgemäße und damit dem Titel verpflichtete Gestaltung fokussiert. Wer angesichts der starken Ex-Dream Theater-Fraktion eine progressivere Ausprägung erwartet hätte, muss sich auf einige wenige Momente innerhalb der turmhohem Soundwände freuen. Die sind dann aber auch von atemberaubender Schönheit, man höre nur, wie sich Mr. Bumblefoot über einem hier nun ganz sanftem Tastenteppich in virtuoser Emotion in das epische "New World Today" hinein arbeitet.

Die Welttournee zum Album startet bereits Ende diesen Monats in Übersee und ab Februar stehen etliche Termine in Europa an. Bewohner westdeutscher Gefilde könnten sich mit Karlsruhe und Eindhoven anfreunden, via Venlo helfen gerne die Freunde der Nederlandse Spoorwegen. Südwestdeutsche Apollo-Fans dürften sich hingegen auf Pratteln freuen. Für die anderen gibt es das Album.


Sons Of Apollo Line-up:

Mike Portnoy (drums, vocals)
Derek Sherinian (keyboards)
Billy Sheehan (bass)
Ron 'Bumblefoot' Thal (guitar, vocals)
Jeff Scott Soto (vocals)

Tracklist "MMXX":

  1. Goodbye Divinity
  2. Wither To Black
  3. Asphyxiation
  4. Desolate July
  5. King Of Delusion
  6. Fall To Ascend
  7. Resurrection Day
  8. New World Today

Gesamtspielzeit: 58:37, Erscheinungsjahr: 2020

 

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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