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Spirit / Live At Rockpalast 1978 – CD & DVD-Review

Spirit / Live At Rockpalast 1978

Spirit waren und sind eine der am meisten unterschätzten Bands in der Geschichte der Rockmusik. Ein Junge namens Randolph Craig Wolfe hing schon im zarten Jugendalter in den Sechzigern in einem angesagten Musik-Club von Los Angeles ab, den sein Onkel einst gegründet hatte und kam auf diesem Weg irgendwie in die Musik-Szene. Als er 15 war, zog seine Mutter mit ihrem neuen Mann, Ed Cassidy, der später der Drummer an der Seite seines Stiefsohns werden sollte, nach New York City. Dort begegnete Randy einem gewissen Jimi Hendrix und spielte 1966 in dessen Band, Jimmy James And The Blue Flames. Und weil auch der Bassist auf den Vornamen Randy hörte, nannte Jimi seinen zweiten Gitarristen bei Live-Auftritten fortan nach dessen Herkunft 'Randy California' im Gegensatz zu Randy aus Texas.

Eben dieser Randy aus California war fast ein Wunderkind. Weil das Management der aufbrechenden Jimi Hendrix Experience aber keinen zweiten Gitarristen wünschte, vor allem aber die Mutter von Randy einem 15-Jährigen nicht erlauben wollte, nach England zu reisen und einen Plattenvertrag zu unterschreiben, ging Randy, der nun endgültig Mr. California war, seinen eigenen Weg und gründete seine Band Spirit. Mit seinem Stiefvater an der Seite. Noch vor seinem siebzehnten Geburtstag erschien das Debut-Album "Spirit", unter anderem mit dem kurzen Instrumentalsong "Taurus".

Dieser wurde viele Jahre nach dem Tod Randys zum Gegenstand einer Plagiatsklage. Die Ähnlichkeit des Songs zum Intro Led Zeppelins zu "Stairway To Heaven" ist wirklich erschütternd, insbesondere wenn man weiß, dass Led Zep 1969 als Vorband für Spirit auftraten und später den Spirit-Song "Fresh Garbage" als Cover in ihre Live-Auftritte einbauten. Vielleicht haben sie ja damals mehr an spirituellen Eindrücken mitgenommen, als sie wahrhaben wollen. Ich will das nicht weiter kommentieren, es gibt auch genügend Blues-Musiker, die beim Betrachten des Zeppelin’schen Werks verdutzt die Augenbrauen hochziehen.
Es würde aber dem Gedenken an Spirit und ganz besonders an Randy California zutiefst entgegenwirken, wenn man die Band auf eine solch reißerische Story reduzieren würde. Insbesondere einen Mann, der seinen zwölfjährigen Sohn vor dem Ertrinken rettete und selbst dabei zu Tode kam. Denn das war das Schicksal, welches einem der talentiertesten Gitarristen der Rockmusik ein viel zu frühes Ende bereitete.

All das sollte man im Kopf haben, bevor es in das legendäre Konzert von 1978 geht. Damals hatte gerade Dickey Betts, eine Legende amerikanischer Rockmusik, den Saal zum Beben gebracht. Nicht mit den Allman Brothers, sondern seiner eigenen Band Great Southern. Dennoch waren historische Kracher wie "…Elizabeth Reed" und "Jessica" dabei und in der brodelnden Menge machte sich zu später/früher Stunde eine herrliche Spannung und Vorfreude breit, weil sich nun ein weiterer Meilenstein der so bewunderten amerikanischen Rock-Kultur hinter der Bühne eingroovte.

An dieser Stelle möchte ich gerne darauf verweisen, dass ich ein Stück meines Lebens bzw. dessen Verlaufs wohl auch Dickey Betts verdanke, denn ich bin mir absolut sicher, dass der später und zurück bei den Allman Brothers einen Warren Haynes genau dahin gebracht hat, wo er heute steht. Den Mann, der mich in den letzten zehn Jahren meines Lebens so unfassbar bereichert hat. Ohne Dickey und seinen Einfluss auf Warren hätte es Gov’t Mule wohl nie gegeben, da bin ich mir ziemlich sicher.

Legendär ist schon der Auftakt des Konzerts. Ed Cassidy mit seiner Monster-Schießbude, rechts und links garniert mit zwei gigantischen Kesselpauken, gab er einen hypnotisch verschleppten Rhythmus vor, Larry 'Fuzzy` Knight setzte mit schwerem Bass ein, bis endlich Randy ganz dezent und reflektiert mit seiner Gitarre einstieg. Eigentlich ein klassischer, psychedelischer Jam, der sich nun entwickelte und den Namen der Veranstaltung trug, immer wieder aber beschossen von Randys Fußtasten-Moog-Salven. Kleine dumpfe Bassbomben, die auf den ersten Blick bzw. den ersten Hörgang einen recht eigenartigen Eindruck hinterlassen. Damals, als ich nur die Aufnahme vom Tonband kannte, hab ich mich oft gefragt, wo diese Impacts eigentlich herkommen – und ob es die wirklich gebraucht hätte. Jahrzehnte später hab ich irgendwo gelesen, dass Randy damit die Wirkung der Bassläufe verstärken wollte. Nach 41 Jahren gehören sie längst zu meinem Spirit-Empfinden dazu.

Auch wenn man das Originalkonzert nicht kannte, wird einem sehr schnell und unmissverständlich klar, dass die Musik von Spirit stark durch Jimi Hendrix beeinflusst ist, selbst Randys Outfit scheint ein wenig daran angelehnt und auch der Protagonist spielt die Gitarre mit den Zähnen sowie über dem Kopf. Die Aufnahme zeigt aber auch sehr deutlich, wie die Band tickte. Perfekt aufeinander eingestellt, entwickelte das Powertrio vom ersten Moment an eine überschäumende Euphorie, man schaue nur mal in Eds oder Larrys Gesichter. Und Randy geht von dem Moment an ekstatisch ab, in dem er den ersten Ton spielt. Aber nicht überdreht und auf Show ausgelegt (mein Kollege Georg hat mir da gerade von seinen Walter Trout-Erfahrungen berichtet, es muss ziemlich übel gewesen sein), sondern aus tiefstem Innern und mit einem sehr sympathischen Understatement, das sich ganz besonders im Umgang mit dem Publikum zeigt. Respektvoll, fast demütig spricht Randy zwischen den Songs zum weiten Auditorium, das zu Beginn noch recht reserviert wirkt.

Dies ist ein klassisches Rockpalast-Gefühl und eigentlich etwas, was man wohl auf jedem Festival erleben kann. Wenn gerade eine Band so einen Kracher abgeliefert hat wie hier Dickey Betts, vor allem, wenn der beim Publikum so stark nachwirkt, dann müssen die Zuhörer erst einmal raus aus der jüngsten Vergangenheit und die Antennen umstellen für die neue Musik. Das dauert immer eine Weile. Nach The Who kam es einem Kulturschock gleich, sich auf die Westcoast-Hippies von The Grateful Dead einzugrooven und der betrunkene Mitch Ryder hat sich selbst zum Buhmann auf der Bühne gemacht, weil das Publikum wohl zu lange den Klängen Nils Lofgrens nachhing.

Randy und seine begnadete Truppe aber meisterten das Thema mit stoischer Euphorie und ungebrochen großartiger Musik. Die ersten ausschweifenden Gitarrensoli in "Nature’s Way" und "Hollywood Dream" verfehlten ihre Wirkung nicht und allmählich breitete sich Spirit-Feeling aus. Und dann stießen sie den Bock um, als Randy das Intro zu Jimis "Hey Joe" (ja ich weiß, der hat es nur berühmt gemacht, die Urheberschaft auf den Song ist nicht gesichert aufgeklärt) anspielte. Ein Aufschrei ging durch die Grugahalle und beim Solo ging Randy runter von der Bühne direkt an die Front. Auge in Auge mit den Fans. Ich glaube es war der Aufnahmeleiter, der zu dem ekstatischen Solo direkt vor seinem Helden völlig abspacte. Losgelöste Begeisterung, genau so soll das sein.

Ganz unpolitisch gestaltete sich der Auftritt nicht. Der Song "1984", unschwer erkennbar eine Anspielung auf George Orwells Roman, war seinerzeit in den amerikanischen Radiostationen tabu, weil seine Botschaft der damaligen Regierung nicht genehm war.

Im Prinzip besaßen Spirit angesichts ihrer Herkunft Los Angeles eine Art Alleinstellungsmerkmal. Während an der Westküste vornehmlich Musik aus der Hippie-Bewegung bekannt wurde und mit eben den Grateful Dead, Jefferson Airplane oder Quicksilver Messenger Service für einen eigenen Stil, dem Westcoast standen, spielten Spirit weitgehend psychedelischen Blues Rock, sicherlich geprägt durch Randys Arbeit mit Jimi. Immerhin sind einige Jams und vor allem die herrlich abfliegenden Licks des Herrn California dann irgendwie doch verwandt mit John Cipollina oder Jorma Kaukonen. Und wie schon erwähnt, die Band lebt von einer perfekten Symbiose untereinander. Ich kenne wenige bildliche Beispiele, auf denen man die perfekte und permanente Interaktion zwischen den Dreien beobachtet. Für Musik mit einem hohen Improvisationsanteil von größter Bedeutung. Und dass die Jungs ihre Hausaufgaben gemacht haben, spürt man eben nicht nur im Teamwork. Wenn Ed Cassidy sein Drum-Solo in "It’s All The Same" ablädt, dann fliegen echt die Kühe.

»Germany, wir lieben Dich« ruft ein elektrisiert glücklicher Randy der Menge zu und sie geben uns eine Hommage an Hendrix und Dylan zugleich, wenn sie uns "All Along The Watchtower" spielen, auch wieder integriert die Rockpalast Jam/Eletro Jam – so etwas wie der rote Faden durch das ganze Konzert. »And The wind begins to howl«, Randys Licks sind das perfekte Pendant zu dieser Zeile. Dass die dritte Zugabe auf dem Album, "Downer", damals in der Einblendung "Tampa Jam" genannt wird, will ich nur am Rande erwähnen. Wichtig ist nur, dass Randy auch hier abermals direkten Fankontakt sucht und findet. Da geht echt was ab.

Doch die Show ist erst zu ende, wenn die dicke Frau gesungen hat. In diesem Fall ersetzt durch eine wohl zuvor abgesprochene Jam von Spirit mit Dickey Betts. Und, liebe Leser, allein für dieses Stückchen improvisierter Musik lohnt sich der Erwerb des Albums. Als Mulehead bin ich es durchaus gewohnt, dass eine Band perfekt auf Gastmusiker eingehen kann, Warren Haynes ist ein Meister dieses Fachs. Was sich aber im Morgengrauen des 5. März 1978 tief im Ruhrpott dann entwickelte, kann eigentlich nicht von dieser Welt stammen. Dickey Betts, ein ebenso sympathisch agierender Musiker wie die Band, zu der er sich nun gesellte, findet vom ersten Ton an den Anschluss in das Trio, die Chemie lodert und flammt und scheint fast greifbar zu sein. Und man sollte nicht unbeachtet lassen, dass beide Alphatiere an der Gitarre schon damals zu den größten ihrer Zunft zählten.

Ehrlich, es treibt einem die Tränen in die Augen, wie diese Jungs sich gegenseitig anspornen, den Staffelstab weiterreichen, aufeinander eingehen. Die Harmonie ist so perfekt, dass man glauben könnte, die gesamte Nummer wäre durch und durch komponiert. Mal interagieren die beiden Häuptlinge in aberwitzigen Dialogen, dann verschwindet Randy im Hintergrund und Dickey rockt mit Larry, als hätten die beiden schon immer zusammengespielt. Und wenn die drei sich auch optisch zu einem Trio auf der Bühne zusammenfinden, dann steigt der Druck im Pegel, es rifft und groovt. Ein rasendes Crescendo, bis mir die Schädeldecke wegfliegt. Unglaublich. Wie geil das abgeht sieht man auch an den euphorischen Gesten der Musiker selbst, die keinen Hehl daraus machen, dass sie gerade einen Höllen-Spaß haben.

Dass die Jam so außerirdisch gut war, hat viele Gründe. Sowohl Randy hat das Teamspiel mit Jimi gelernt, genauso wie Dickey, der sich Zeit seines Lebens mit Duane Allman oder Warren Haynes duellieren durfte. Außerdem passt die aggressiv schrille und viel psychedelischem Hall operierende Spirit-Gitarre als perfekter Kontrast zu Dickeys melodiös warmen, malerischen Southern-Sound. So entdecken sie in einer guten Viertelstunde eine völlig neue Symbiose genialer Musik, die über den Tellerrand schaut. Es ist ein Moment von unfassbarer Schönheit.

Später haben sie irgendwo geschrieben, dass diese Aufnahme vielleicht das beste Stück Live-Musik war, das je in Deutschland über den Äther ging. Ich kann es nur bestätigen. Was die vier dort ablieferten, war großartig, gigantisch, göttlich. Momente, für die man Rockmusik liebt.

Es ist sehr traurig, dass auch dieses Konzert schon sehr früh in die Kategorie der Vermächtnisse eingegangen ist, das tragische Ende Randy Californias habe ich ja schon erwähnt. Umso mehr ein Grund, sich dieses Zeugnis fantastischer Musik für alle Zeit zu sichern. Spirit haben dem Rockpalast gegeben, wofür ihr Name stand und steht. Der Spirit von Randy ist unsterblich und er wird immer bei uns sein, so wie viele andere große Helden unserer Kultur. R.I.P. Randolph Craig Wolfe.


Line-up Spirit:

Randy California (vocals, guitar, synth)
Larry 'Fuzz' Knight (bass)
Ed Cassidy (drums)

Special Guest:
Dickey Betts (guitar)

Tracklist "Live At Rockpalast 1978":

CD 1

  1. Rockpalast Jam
  2. Mr. Skin
  3. Nature’s Way
  4. Like A Rolling Stone
  5. Hollywood Dream
  6. 1984
  7. Looking Down From A Mountain
  8. Hey Joe
  9. Animal Zoo
  10. Love Charged

 

CD 2:

  1. It’s All The Same
  2. I Got A Line On You
  3. All Along The Watchtower
  4. Wild Thing
  5. Downer
  6. If I Miss This Train/Rockalast Jam
    (feat. Dickey Betts)

Die Tracklist der DVD ist identisch mit CD 1 & 2.

Gesamtspielzeit: 113:00 (DVD), 50:55 (CD 1), 49:52 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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