«

»

Spot On: Nils Lofgren

Man nannte ihn einst »The Guitarist’s Guitarist«, ein Zitat, das irgendwie zutrifft und zugleich einen Kardinalfehler enthält. Nils Lofgren, den kleinen Saiten-Virtuosen aus Washington D.C. auf sein Mitwirken bei berühmten Kollegen zu reduzieren ist ein fataler Fehler. Ein weit verbreiteter – leider!

Wie bei vielen anderen Künstlern verschaffte mir vor vielen Jahren der Rockpalast das Vergnügen, auf Nils Lofgren aufmerksam zu werden. Es war Oktober 1979, als Nils bei bester Laune die Bühne enterte und das Publikum von der ersten Sekunde seines Sets mit seiner sympathisch quirligen Präsenz gefangen nahm. Und mit seinem einzigartigen, völlig unverwechselbaren Stil, wie er Gitarre spielt. Ganz davon abgesehen dürfte er wohl der einzige Gitarrist weltweit sein, der während eines Solos den Salto rückwärts springt. Für diese zirkusreife Nummer hat er stets ein kleines Trampolin auf der Bühne. Verrückt. Die großartige Band mit seinem Bruder Tom spielte damals einen mitreißenden Gig mit Nils' frühen Klassikern wie "Cry Tough", "Keith Don’t Go" (eine Widmung an Herrn Richards) oder "Like Rain" aus der Grin-Phase und versetzte die Grugahalle in ein Tollhaus.

In dieser Nacht erkannten die Rock-Fans in halb Europa, was für ein kompetenter Gitarren-Mann da über den Äther ging. Der Auftritt machte ihn über Nacht auf dem alten Kontinent bekannt und verschaffte mir ein neues Idol, sodass ich mein spärliches Taschengeld gleich mal in die Live DLP investierte, die ein Jahr zuvor erschienen war.

Damals im Rockpalast war Nils 28 Jahre alt, aber auch schon ein »alter Hase« im Business. Schon mit 17 schloss er sich Neil Young an und verewigte sich auf dem Allzeit-Klassiker "After The Goldrush" am Klavier. Akkordeon spielt Nils übrigens auch. Schon 1971 gründete er seine eigene Band namens Grin und veröffentlichte vier Scheiben. Insbesondere "1+1" findet in der Nachbetrachtung weltweit große Zustimmung. Einige dieser Songs prägen noch heute die Konzerte von Nils Lofgren. Parallel vertiefte  Nils bei Crazy Horse seine Zusammenarbeit mit Neil, spielte dort auch mit dem damaligen Gitarristen Danny Whitten zusammen, dessen Song "I Don’t Want To Talk About It" bis heute auf den Tourneen von Nils wohl einfühlsamer gecovert wird als von irgendjemand sonst, eine Gänsehaut-Version fern von kitschiger Gefühlsduselei und voller Respekt und Sympathie für den Schöpfer einer großartigen Ballade.

So entschloss sich der junge Nils schon 1975, eine Solokarriere einzuschlagen und produzierte mit seiner neuen Band einige schöne Alben, die ihm sogar den einen oder anderen Hit bescherten. Und ganz sicher auch den Kontakt zum  Rockpalast, wo er schon drei Jahre vor der großen Rocknacht ein erstes Konzert in Deutschland spielte. Ein Wort noch zu eben jener 5. Rocknacht im Oktober 79. Die lebte damals auch vom Kontrast zwischen dem freundlichen, angenehm bescheidenen Publikumsliebling Nils Lofgren und dem schon ordentlich Whiskey geschwängerten, provokativen Raubein Mitch Ryder,  der damals vor laufender Kamera und später auf der Bühne wohl jeden brüskierte, der ihm über den Weg lief – und der trotz erheblicher Promillezahl ein Jahrhundert-Konzert hinlegte. Legendär!

Durch sein unverwechselbares Gitarren-Spiel vor allem bei seinen Musiker-Kollegen hoch geschätzt, erhielt Nils 1984 das einmalige Angebot eines gewissen Bruce Springsteen, in der E-Street-Band den Platz von Little Steven van Zandt einzunehmen. Sicherlich nicht nur künstlerisch eine Auszeichnung mit Sternchen, auch wirtschaftlich dürfte dieses Engagement für Nils den endgültigen Durchbruch bedeutet haben, denn seine Solo-Platten ernteten stets großes Kritiker-Lob, verkauften sich aber schlichtweg schlecht. Auch mit Neil Young und dem Beatles-Schlagmann Ringo Starr teilte er wiederholt die Bühne, zeigte dort immer wieder seine Anpassungsfähigkeit in die Musikkonzepte anderer Künstler.

Ganz aus den Augen ließ Nils seine Solo-Karriere jedoch nicht und produzierte nach Springsteen’s Trennung von der E-Street-Band sein vielleicht bestes Album, "Silver Lining". Das romantische "Valentine" landete in den Charts und die Live-Version dieses Stücks, ein paar Jahre später auf dem Album "New Lives, BBC" erschienen, treibt mir jedes Mal die Nackenhaare in die Höhe. Nils Lofgren ist in der Lage, allein mit seiner Gitarre Emotionen und Stimmungen zu erzeugen, hat tatsächlich in der Vergangenheit auch schon reine Solo-Konzerte gespielt. Das passt, egal ob die Gitarre nun am Saft hängt oder akustisch daher kommt und gerade die Unplugged-Konzerte führten Nils in der Zeit des Millenniums ins neue Jahrtausend. So pendelte er in den letzten Jahren mit schöner Regelmäßigkeit zwischen Solo-Projekten und dem Ruf des Boss, der ganz offensichtlich sehr genau weiß, warum er den kleinen gebürtigen Chicago’er an seiner Seite auf der Bühne sehen möchte. Um gegen einen charismatischen Entertainer wie Springsteen als Gitarren-Mensch bestehen zu können, bedarf es guter Argumente. Und Nils' wunderschönes Improvisations-Spiel ist eine treffliche Begründung.

In 2014 legte Nils sein vorläufiges Vermächtnis nieder, eine 10 Discs umfassende Sonderedition mit einem Querschnitt von Songs aus allen seinen Schaffens-Phasen. Was den umtriebigen Mann jedoch keineswegs daran hindert, in diesem Jahr wieder mit seinem alten Spezi Bruce Springsteen auf die große 'The River 2016-Tour' zu gehen. Schade, Europa haben sie schon bereist, irgendwann hätte ich diese beiden Protagonisten auch ganz gern mal zusammen auf der Bühne gesehen. Mögen sie noch ein paarmal wiederkommen, Rockmusiker gehen ja nicht prinzipiell mit 65 Jahren in Rente. Und möge der Name Nils Lofgren nicht immer nur genannt werden als der Zuarbeiter noch populärerer Kollegen. Er verdient es, dass man sein persönliches Gesamtwerk in der Geschichte der Rockmusik sieht und würdigt, denn er gehört ganz bestimmt zu den Größten seiner Zunft. Dazu braucht es nicht einmal den Salto-Rückwärts.

Plattentipps:

  • 1+1 (Grin, 1971)
  • Nils Lofgren (1975)
  • Cry Tough (1976)
  • Silver Lining (1991)
  • New Lives (1998)
  • Live (Nils Lofgren Band, 2003)
  • At Rockpalast (DVD, 2005)
  • Acoustic Live (2011)

 

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

Beiträge im RockTimes-Archiv

Über mich

News

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>