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Staggering Leech / Das wahre Leben – CD-Review

Staggering Leech / Das wahre Leben

Als fleißig kann man die vier Herren aus Bönningstedt (Schleswig-Holstein) bezüglich ihrer Plattenveröffentlichungen nun wahrlich nicht bezeichnen. Im Jahr 2008 rezensierte unser leider viel zu früh verstorbener Jürgen Bauerochse das Debüt, welches bereits 2004 veröffentlicht wurde und war davon sehr angetan. Er beendete dieses mit den Worten: »[…] ich freue mich schon auf das zweite Album, das nach Aussagen der Band in diesem Jahr erscheinen soll.«
Doch er musste bis 2015 warten, als er The Key endlich in seinen Player schieben konnte. Und auch bei dieser Platte war er des Lobes voll.

Damals waren noch Drummer Swen Ostermann und Tastenmann Bernhard Froh im Line-up. Doch die Band ist auf vier Mitglieder geschrumpft und die Drumsticks an Christian Brandes weiter gereicht worden.

Nun liegt mir, immerhin neun Jahre nach "The Key", die dritte Scheibe der Band vor. Beigelegt ist – herrlich old school – ein handschriftlicher Zettel, in welchem mir Sven Loose ein paar Infos zum neuen Rundling zukommen lässt. Das besondere daran ist, dass die Texte dieses Mal komplett in deutscher Sprache verfasst worden sind. Sven bemerkte dazu: »Wir denken mit deutscher Sprache mehr Gehör zu bekommen.« Er erklärte weiter, dass einige Songs wie "Sensenmann", "Geh die Straße nicht alleine" oder auch "Tage kann man nicht kaufen" bereits in den 90er Jahren von ihm und seinem Bruder Matthias verfasst wurden und als EP erscheinen sollten. Nun, am Ende ist ein komplettes Album daraus geworden, "Das wahre Leben" eben.

Der erste Eindruck nach dem ersten Durchgang: Coole Scheibe mit ruppigem Charme!
Die 15 Stücke sind kernig, dynamisch und auf den Punkt, vermitteln dem Hörer sofort die Spielfreude aller Beteiligten und reißen diesen förmlich mit – es wird gerockt bis der Arzt kommt. Die vier Jungs versprühen mit ihrer Musik eine Unmenge an Energie und ich bin überzeugt, dass sie auf der Bühne ordentlich die 'Sau rauslassen' und ihren Fans die Ohren kräftig durchpusten.

Als Richtung sind die Straßenjungs, Hannes Bauer oder auch U.D.O. angegeben. Die Texte beschäftigen sich mit allen Irrungen und Wirrungen des Lebens, egal ob es um einen Lottospieler ("Was kostet die Welt") geht, der einen Volltreffer landete. Plötzlich hatte er viel Geld und jede Menge 'Freunde', so lange er sein Geld mit vollen Händen 'zum Fenster rauswarf'. Am Ende stand er wieder vor dem Nichts und auch die sogenannten Freunde waren weg.
Es wird in "Sensenmann" über den Tod sinniert, über 'die da oben' geschimpft ("Maloche") oder der Verlust eines geliebten Menschen beklagt ("Du fehlst"), um nur einige wenige Beispiele zu nennen.

Kraftvoll wird nicht nur gerockt, kraftvoll sind auch die Vocals, mit denen Mathias Beth zum Beispiel den schmissigen Opener "Geh die Straße nicht alleine", ein Song über einen Arbeitslosen ohne Perspektive singt; so als wollte er den Mann endlich aufrütteln.

Ironisch geht es in "Gift" zu – ja alles ist Gift, ob Zigaretten, Alkohol oder Fett – und Tabletten… – wir wissen es und bekommen es ständig vom Arzt vorgepredigt und im Titeltrack mit tollen Wah Wah-Effekten wird zwar auf das vergangene Leben zurück geblickt, aber auch nach vorn geschaut. Jammern hilft nichts, da muss man einfach durch, durch das wahre Leben.

Sehr sehr hart, nicht nur textlich, sondern auch musikalisch geht die Band mit "Gaffer"n ins Gericht, die zusehen und Maulaffen feilhalten, filmen und das RTW behindern, als ein Haus abbrennt. Beth klingt hier – nicht zu unrecht – sehr sehr wütend.

Was mich immer wieder fasziniert, ist der wunderbar dichte und sehr intensive Sound, für den die beiden Gitarristen in den Songs sorgen. Jede Note wird passend gesetzt, da wird nicht geschrammelt und gefrickelt bis der Arzt kommt, auch geht es nicht darum, irgendwelche Geschwindigkeitsrekorde aufzustellen. Eher sägen satte schwere Riffs durch die Kompositionen, das Wah Wah kommt sehr oft zum Einsatz und ab und zu rundet bei aller Härte ein akzentuiert gesetztes Soli die eine oder andere Nummer ab.
Dazu sorgen Tieftöner Sven Lohse und Drummer Christian Brandes für einen grundsoliden Rhythmusteppich, auf dem sich die Gitarren die Bälle zuspielen können.

Tiefer gelegte Klampfen prägen "WOA", in welchem es um das ganz besondere Flair dieses Metal-Festivals geht, nämlich um den Zusammenhalt der Fans, um die tolle Live-Musik, die sie an diesen Tagen alle verbindet. Logisch, dass da natürlich auch das eine oder andere Bierchen fließt…

"Paula", diese leicht Southernrock-mäßig angehauchte, wunderschöne Ballade mit ihrem explodierenden Mittelteil, die mich sofort aufhorchen lässt, ist ebenfalls einer meiner Anspieltipps. Hört man nur oberflächlich hin könnte man meinen, es geht um eine Frau. Ich empfehle einfach mal, genauer hinzuhören…

Ich könnte mich jetzt Song für Song durch- und an diesen abarbeiten, um vielleicht irgendwo eine Schwachstelle ausmachen zu können. Fehlanzeige! Die Platte ist rundum gelungen. Es gibt für meinen Geschmack keine Aussetzer. Deshalb – einfach mal selbst antesten, zum Beispiel beim Staggering Leech Bandcamp.


Line-up Staggering Leech:

Mathias Beth (guitar, vocals)
Matthias Lohse (rhythmguitar, backing vocals)
Sven Lohse (bass, backing vocals)
Christian Brandes (drums)

Tracklist "Das wahre Leben":

  1. Geh die Straße nicht alleine
  2. Gift
  3. Das wahre Leben
  4. Gaffer
  5. Sensenmann
  6. Was kostet die Welt
  7. Ein Bier noch
  8. Das Fahrerlied
  9. Pause
  10. Maloche
  11. Tage kann man nicht kaufen
  12. W.O.A.
  13. Paula
  14. Das Verhör
  15. Du fehlst

Gesamtspielzeit: 65:35, Erscheinungsjahr: 2024

Über den Autor

Ilka Heiser

Hauptgenres: Classic Rock, Blues Rock, Heavy Rock
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