Die dickste, fetteste Überraschung im Rock-Business der letzten Jahre hat wohl eindeutig die im Jahr 1973 aufgelöste Band Steamhammer abgeliefert, die in diesem Herbst, gerade mal schlappe fünfzig Jahre später, mit "Wailing Again" ein neues Album abgeliefert hat. Fünfzig Jahre später … wer ist da von den alten Besetzungen überhaupt noch dabei? In allererster Linie ist hier wohl der Gitarrist Martin Pugh zu nennen, aber auch Pete Sears, der auf dem gleichnamigen Debütalbum (1969, auch bekannt als "Reflections") als Gast vertreten war und John Lingwood, der in der letzten Phase vor der Auflösung hinter der Schießbude saß. Addiert wurde für diese Steamhammer-Neuauflage der Sänger und Harp-Spieler Phil Colombatto, der das Quartett vervollständigt. Als das Label M.I.G. Music die News zum neuen Album rausgab, war die Spannung und Vorfreude natürlich groß.
Und kann "Wailing Again" die hohen Erwartungen erfüllen? Ja und nein, je nachdem mit welcher Erwartungshaltung man an die Scheibe rangeht. Definitiv 'Nein', wenn man hier auch auch die schiere Power und den Enthusiasmus von 1969 erwartet, dagegen steht ein 'Ja', wenn man gut gemachten Blues- und Psychedelic Rock möchte und dabei ganz locker auf Vergleiche mit einem früheren Leben verzichten kann. Die acht Tracks bzw. 45 Minuten laufen herrlich flüssig und kurzweilig ins Ohr des Hörers, selbst wenn er auf ein großes Highlight vergeblich wartet. Auf Wunsch des Labels wurde das Stück "Junior’s Wailing" nochmal neu belebt, das sich auf dieser neuen Platte eben nicht mehr wie 1969, sondern wie 2022 anhört. Da darf jeder Interessierte – ganz ohne Wertung des Rezensenten – sein ganz eigenes Urteil fällen.
Grundsätzlich gilt aber, dass alle beteiligten Musiker einen richtig guten Job machen und sich auch Phil Colombatto mit seinem Gesang und Harmonika-Spiel perfekt eingefügt hat. Bei "Man In The Blue Suede Shoes (Megan’s Song)" ist hier auch ein melancholisches Instrumental vertreten, das einmal mehr Martin Pughs sehr emotionals Gitarrenspiel heraus hebt. John Lingwoods Schlagzeug legt einen jazzig swingenden Teppich, die anderen Instrumente halten sich zurück und überlassen der Gitarre für die ersten zwei Minuten das Feld. Anschließend übernimmt Pete Sears solistisch und ebenfalls sehr gefühlvoll an den Tasten, bevor sich die beiden die Bälle gegenseitig zuspielen. Absolute Größe beweist die Band bei den langsamen Stücken wie etwa dem Blues "24 Hours", während dem sich eine wohlige Gänsehaut vom Nacken bis über den gesamten Rücken des Verfassers ausbreitet.
Neben "Junior’s Wailing" wurde noch etwas tiefer in der Kiste gegraben, unter anderem mit dem sich bereits auf dem dritten Album "Mountains" (1971) befindlichen "I Wouldn’t Have Thought" sowie dem vor langer Zeit von Martin Pugh und dem Original-Sänger Kieran White komponierten, bisher aber nie veröffentlichten "Fool For You". Hinkende Vergleiche zum erstgenannten Track erspare ich mir hier, das erstmals veröffentlichte Stück passt stilistisch perfekt in die Alben der Band und macht auch in dieser neuen Besetzung eine sehr gute Figur.
Was bleibt am Ende, wenn man den Sentimentalitäts-Bonus außen vor lässt? Ein grundsolides Album "Wailing Again" mit echten Glanzpunkten bei den ruhigeren Stücken, während die Rocker ebenfalls ohne Makel, allerdings auch ohne echte Höhepunkte durchgehen. Sprich: Wer sich nicht gezwungen sieht Äpfel mit Birnen bzw. ein früheres Leben mit dem nächsten zu vergleichen, bekommt hier ganz feine Qualität mit kleinen Abzügen in der B-Note geboten. Als Anspieltipps werfe ich mal "Wailing Once Again" sowie "Fool For You" für die schnelleren und "24 Hours" oder "Man In The Blue Suede Shows (Megan’s Song)" für die langsameren Stücke in den Ring.
Line-up Steamhammer:
Martin Pugh (guitars)
Pete Sears (bass, keyboards, background vocals)
Phil Colombatto (harmonica, lead vocals)
John Lingwood (drums)
Tracklist "Wailing Again":
- I Wouldn’t Have Thought
- Hi Lo Jick Jack Johnny
- Fool For You
- Wailing Once Again
- Midnight Blues Train
- Man In The Blue Suede Shoes (Megan’s Song)
- 24 Hours
- Junior’s Wailing
Gesamtspielzeit: 45:09, Erscheinungsjahr: 2022
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