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Stefan Saffer Band / German Babylon – CD-Review

Stefan Saffer Band - "German Babylon" - CD-Review

Es gab mal Zeiten, da hatte sich eine Kontrollfunktion zum Ziel gesetzt, die jugendgefährdende Schallplatten bzw. die sich darauf befindlichen Texte (und manchmal auch 'bösen' Bilder) auf den Index zu setzen bzw. im schlimmsten Fall den jüngeren Teil der Menschheit damit schützen zu wollen, die ihnen als 'obergefährlich' erscheinenden Textzeilen mit Pieptönen zu überspielen. Damit wurden Tausende junge Leute vor dem Abgrund gerettet, vor dem Zerfall in willenlose Drogensüchtige und selbstverständlich wurde damit auch ein Riegel vorgeschoben, dass die Beschützten zu Verbrechern, Schlägern oder Mitglieder in Sekten wurden. Garantiert. Und absolut! Und überhaupt!! Mit den Jahrzehnten und der technischen Entwicklung wurde dann aber auch dieser Job mehr und mehr von Computern übernommen, die bereits seit langer Zeit ihre algorhythmischen Tentakel zielsicher auf 'böses' Songmaterial ausgefahren haben.

Zielsicher? Genau, und jetzt hat es auch den Musiker Stefan Saffer erwischt. Anlass ist der Song "Kid With The Dirty Face" (der von einigen Streaming-Diensten als 'explizit' markiert wurde), in dem es (der Künstler möge mich korrigieren, falls ich falsch liegen sollte) um das emotionale Überleben in einer Welt geht, wo die Starken auch dann noch Spaß daran haben auf die hilflosen Schwächeren einzuschlagen, wenn sich diese bereits als wehrlos zu erkennen geben haben. Es geht um Heuchelei, um Lügen und um (vielleicht naives) Vertrauen, das gnadenlos ausgenutzt wird. Es geht also darum, all dies erst mal auszuhalten, damit einigermaßen zurecht zu kommen, sich währenddessen versuchen charakterlich zu festigen und vor allem darum, sich nicht verbiegen zu lassen und sich selbst treu zu bleiben. Jugendgefährdend? Na sicher! Muss auf den Index? Aber absolut!!! Na dann, gute Nacht …

Aber um von dieser Real-Satire mal weg zu kommen, sei gesagt, dass Stefan Saffer und seine beiden Mitmusiker auch auf ihrem brandneuen Album "German Babylon" richtig fett geradeaus rocken. Bereits der Opener "Two Fires" macht erstmal mächtig Alarm, bevor Saffer mit seiner coolen rauen Stimme auch gesanglich ins Geschehen eingreift. An den Drums ist nach wie vor Koma Kschentz am Start, während auf dieser neuen Scheibe nun Rudi Freese die vier dicken Saiten übernommen hat. Musikalisch ist sich der Musiker mit fettem Rock, Ecken und Kanten sowie viel Dreck unter den Fingernägeln (ach, stimmt ja, er ist ja das "Kid With The Dirty Face") erfreulicherweise treu geblieben und hat zehn schweißtreibende neue Songs an den Start gebracht, die nach wie vor keine musikalischen Innovationen sein wollen, dafür aber jedem waschechten Rocker ein Lächeln auf die Lippen zaubern dürften. Was muss bei den Konzerten dieser Band die Hütte brennen?

Bei "Ashland" wird dann das Tempo etwas rausgenommen und das Stück entwickelt sich zu einem atmosphärischen Groover, der einerseits Abwechslung und andererseits eine zusätzliche Klangfarbe ins Spiel bringt. Auf den restlichen Songs wird allerdings herrlich nach vorne gerockt und das abschließende "Mimimi" überrascht dann sogar als Instrumental, bei dem die Keyboards eine etwas bedeutendere Rolle einnehmen. Feine Sache und eine unglaublich abwechslungsreiche Nummer, die aus mehreren (sowohl musikalisch als auch vom Tempo sehr unterschiedlichen) Parts besteht. Daher kann abschließend nur attestiert werden, dass "German Babylon" für jeden Saffer-Fan und alle die, die es noch werden wollen, als absoluter Gewinner durchs Ziel geht. Meine Anspieltipps sind "Two Fires", "Kid With The Dirty Face", "No One Here Gets Out Alive" und die größte Überraschung "Mimimi".

Ach ja… und zu den Algorhythmen bzw. dieser Kontrollfunktion im Allgemeinen gilt übrigens im wirklichen Leben damals so gut wie auch heute noch: Wer seine Sinne beisammen hat, der ist (auch als Jugendlicher) durchaus in der Lage, Texte zu verstehen und einzuordnen. Und wer mal einen falschen Weg eingeschlagen hat, dem wäre das garantiert auch mit irgendwelchen Zensuren von Songtexten – oder alternativ: als Fan von Schlagermusik – passiert. Aber das ist wieder ein anderes und (an dieser Stelle) viel zu weit führendes Thema.


Line-up Stefan Saffer:

Stefan Saffer (guitars, keyboards, vocals)
Rudi Freese (bass)
Koma Kschentz (drums)

Tracklist "German Babylon":

  1. Two Fires
  2. No Justice No Peace
  3. Hatebook
  4. Ashland
  5. Kid With The Dirty Face
  6. No One Here Gets Out Alive
  7. German Babylon
  8. Union Day
  9. This Ball’s On Fire
  10. Mimimi

Gesamtspielzeit: 35:49, Erscheinungsjahr: 2021

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
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6 Kommentare

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  1. Markus Kerren

    Jau, und sowohl den Amis als auch den Briten ist nach wie vor die eine Textzeile in Lou Reeds "Walk On The Wild Side" durchgerutscht 🙂

    1. Manni

      🙂

      Auf deutschen Stationen hört man den Song mit seiner Textzeile (Even when she was giving head) öfter, aber sowohl in UK und USA hab ich Walk On The Wild Side noch nie im Radio gehört. Allerdings waren meine Aufenthalte in beiden Ländern ja zeitlich immer auch ziemlich begrenzt.

      Denn eigentlich kann das doch jeder englischsprachige Mensch auf dem Planten richtig "übersetzen".

      1. Markus Kerren

        Doch, doch, Manni. Als ich in den 2000ern einige Jahre dort gelebt habe, ist der Song auf den Classic Radio-Stationen gelaufen. Und gar nicht mal selten.

        1. Manni

          Hammer, oder Markus? Die Amis haben’s irgendwie drauf…

          Als wir auf dem Interstate 15 von Las Vegas nach Los Angeles gefahren sind, lief im Radio die ABB mit dem 22-Min. "Whipping Post". Ich hab nur noch den Kopf geschüttelt. Als danach dann "Stranglehold" vom guten Ted aka Motor City Madman lief, hab ich die Radiostationen in D allesamt verflucht 🙂

          1. Markus Kerren

            Ja. Total, Manni!! Rock-Musik hat dort auch einen völlig anderen Stellenwert. Gilt sie bei uns weitläufig immer noch als etwas Unwichtiges/Überflüssiges für Menschen, die nie erwachsen geworden sind, so ist sie in den USA in die DNA der Leute übergegangen. Das geht durch alle Altersklassen und findet überall im Alltag statt. Und dementsprechend ist auch das Radioprogramm aufgebaut. Rein von der Musik-Auswahl sind uns die Amerikaner um ca. 200 Jahre voraus.
            Und mir ging es auch oft so… auf dem Highway unterwegs und dann bspw. "Blue Sky" (um mal bei der ABB zu bleiben) oder "Flirtin' With Disaster" im Radio… Da muss ich ja jetzt fast schon ein Nostalgie-Tränchen verdrücken, wenn ich daran zurück denke… 🙂

  2. Manni

    Ob nun "Boy" oder "Kid" (wie in der Trackliste) with the dirty Face… dass sowas auf dem Index landet, ist kein Wunder, wenn man weiß, was in der (amerikanischen) Umgangssprache "with a dirty face" bedeutet. Und da ja kein Mensch die Entscheidung über diesen eindeutig zweideutigen Begriff trifft, sondern ein Computer-Algorithmus, "sieht" dieser eben diesen Ausdruck und Bingo… es geht auf den Index. Da kommt es gar nicht mehr darauf an, wenn der Text etwas ganz anderes meint. Vielleicht war sich der deutsche Interpret der Zweideutigkeit nicht bewußt.

    Seltsamerweise hört man im deutschen ÖRR immer wieder mal Musik mit englischen Texten, die nicht vermeintlich, sondern tatsächlich durchsexualisiert sind, aber da scheinbar weder die Redakteure noch die meisten der Hörer verstehen, was da gesungen wird, senden sie es. Wenn diese Songs in deutscher Sprache vorliegen würden, würde man sie nicht mehr im Radio hören. Zum Glück versteht es also kaum jemand 🙂

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