Es ist wohl fair zu sagen, dass sich Stephen Stills in den Jahren von etwa 1968 bis 1973 auf seinem kreativen Höhepunkt befand. Die beiden Studioalben von Crosby, Stills & Nash (& Young), "Crosby, Stills & Nash" (1969) sowie Deja Vu (1970), dazu die Doppel-Live-Scheibe "4 Way Street" (1971), seine beiden ersten Soloplatten von 1970 sowie 1971 und schließlich kam sogar noch die Band Manassas mit zumindest einem, nämlich dem ersten, gleichnamigen Hammer-Album. Und rastlos wie er war, spielte Stills dazwischen auch soviele Konzerte wie möglich. Mit "Live At Berkely 1971" wurde nun ein solches aus den Gewölben ausgegraben, klangtechnisch restauriert und wieder unter die Leute gebracht. Und das ist verdammt gut so, denn die hier enthaltenen 15 Tracks von den beiden Konzerten am 20. und 21. August 1971 an der Universität von Berkeley, California haben es wirklich in sich.
Der Amerikaner machte erst gar keine Gefangenen und eröffnete den Abend mit einem seiner größten Solo-Hits "Love The One You’re With". Und bereits bei diesem ersten Track gibt das Album seinen großen Schatz preis. Denn hier wurde gaz offensichtlich nichts geschönt oder nachträglich 'korrigiert'. Stills bearbeitet seine Akustik-Gitarre wie ein Berserker, seine Stimme klingt rau und angegriffen, scheint die Töne aber immer gerade noch so richtig zu treffen. Klasse! Etwa zwei Drittel der Stücke betstritt er ohne Band, also akustisch mit der Gitarre oder dem Piano. Nach dem Opener wird es mit "Do For The Others" sowie "Jesus Gave Love Away For Free" etwas ruhiger, bevor er unter riesigem Beifall seinen Kollegen David Crosby für die Nummern "You Don’t Have To Cry" und "The Lee Shore" auf die Bühne bittet. Und wieder einmal ist bestechend, wie gut die Stimmen der beiden, dazu offensichtlich mühelos, zusammen funktionieren.
Stephen Stills wechselt anschließend ans Piano und bringt mit dem superben "Sugar Babe" einen der Favoriten des Rezensenten aus dem kompletten Backkatalog des Amerikaners. Auch hier pulsiert der Song regelrecht und die Atmosphärie ist so dicht und aufgeladen, dass man fast das Gefühl hat, persönlich bei dem Konzert anwesend zu sein. Nach dem mit Banjo vorgetragenen "Know You’ve Got To Run" ist schließlich die komplette Band, inklusive der Memphis Horns auf der Bühne, um ein stürmisches "Bluebird Revisited" auf die Bretter zu legen. Die Bläser bleiben dann auch für den Rest dieser Scheibe präsent und allgegenwärtig. Der Gesang hat – nicht nur erst hier, sondern von Beginn der Platte an – eine durchaus soulige Note, strotzt nur so vor Feeling und gibt alles. Auffällig bei so einigen Nummern ist auch, wie groß der Einfluss von Stills wohl auch auf das komplette erste Crosby, Stills & Nash-Album war. Aber es ist ja auch schon lange kein Geheimnis mehr, dass er bis auf die Drums so gut wie alle Instrumente dafür eingespielt hatte.
"Live In Berkeley" ist ein hervorragendes Live- und Zeitdokument aus den frühen siebziger Jahren von einem Ausnahmemusiker, der bis heute aktiv ist. Die darauf enthaltenen Songs atmen, schwitzen, leiden, zelebrieren und leben. Stills verausgabt sich teilweise bis aufs Letzte und genau das sind dann die Konzerte, aus denen man als Besucher mit offenem Mund rausgeht. Um nur mal einen Bruchteil der besten Songs hervor zu heben, sollte man zumindest "Love The One You’re With", "Sugar Babe", "49 Bye-Byes/For What It’s Worth", "Bluebird Revisited" oder auch "Lean On Me" von diesem Album unbedingt mal anchecken. Ganz dicker Tipp nicht nur für Stephen Stills-, sondern alle Rock- bzw. Musik-Fans.
Line-up Stephen Stills:
Stephen Stills (guitars, piano, banjo, lead vocals)
David Crosby (guitar & vocals – #4,5)
Steve Fromholz (guitar, background vocals)
Sidney George (alto saxophone, flute)
Paul Harris (organ)
Joe Lala (congas, percussion)
Calvin 'Fuzzy' Samuels (bass)
Dallas Taylor (drums)
The Memphis Horns (horns)
Tracklist "Live At Berkeley 1971":
- Love The One You’re With
- Do For The Others
- Jesus Gave Love Away For Free
- You Don’t Have To Cry
- The Lee Shore
- Word Game
- Sugar Babe
- 49 Bye-Byes/For What It’s Worth
- Black Queen
- Know You Got To Run
- Bluebird Revisited
- Lean On Me
- Cherokee
- Band Introduction
- Ecology Song
Gesamtspielzeit: 66:00, Erscheinungsjahr: 2023 (1971)
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