Aktuell führt mich mein Weg durch die faszinierende Welt retrobehafteter, junger Rockmusik verstärkt in mediterrane Gefilde. Stonus ist der Name einer Band aus Nikosia, die seit 2015 die faszinierenden Breitengrade Zyperns mit kraftvollem Heavy Rock bespielt und nun endlich ihren ersten Langspieler, "Aphasia", produziert hat. Stilgerecht analog aufgenommen und auf Vinyl gepresst.
Die Band vereint krachende Riffs und druckvoll treibende Rhythmen mit allerlei Zitaten angrenzender musikalischer Bereiche, mal doomig entschleunigt wie im gedehnten "Mania", mal mit Anleihen aus dem Stoner, angesichts des Bandnamens wenig verwunderlich. Und über allem schwebt ein psychedelischer Geist und führt den Taktstock hinein in einige wilde, fuzzige Soli, mit denen uns Pavlos Demetriou zielsicher in wabernde Nebelschwaden führt. Diese herrliche Kombi an inspirierenden Zutaten erinnert mich ein wenig an die Neuseeländer von Arc Of Ascent.
Thematisch orientiert sich das Album genretypisch an einer kognitiven Störung namens Aphasie, in deren Folge der Geschädigte in seiner Fähigkeit eingeschränkt wird, Wörter zu verwenden und zu verstehen, was letzten Endes zu einer Schrumpfung des eigenen Bewusstsein führt bzw. führen kann. »Aphasia will always stay inside of you shrinking your thoughts remaining in your consciousness, trying to run after you. Can you handle it?…can you handle it?…can you handle it?« fragt provozierend der Titelsong, der in seinen zentralen Hooklines eine tiefe Verwandschaft zu Black Sabbaths "Paranoid" aufweist, später aber in doomigen Tiefen verschwindet und psychedelische Zwischenspiele wie einst bei Sungrazer heraufbeschwört.
Doch schon der Auftakt ins Abenteuer wartet nach einem kurzen sphärischen Intro mit einem Knalleffekt auf. Die krachende Kombination aus gradlinig, schlichtem Takt und knackig kurzen Saiten-Akkorden klingt anfangs wie eine Heavy-Version von David Lindleys legendärem Auftakt zum "Mercury Blues", wenn sein zweiter Gitarrenmann Bernie Larsen vorübergehend zweckentfremdet allerlei Fässer betrommelte. Sehr geil. Dass sich die Pfade von "Awake" und dem zitierten Bluesklassiker sehr schnell trennen, liegt auf der Hand, eine monoton psychedelische Entschleunigung entführt uns in tranceartige Zustände entmaterialisierter Gehirnwindungen.
"Nadir" ist so etwas wie meine Lieblingsnummer auf der Platte. Ein maximal zurückgenommenes Intro, das zunächst wirkt wie Run Like Hell in einer verlangsamten Form, elaboriert sanft kreiselnd in einem entspannten und nur mäßig treibenden Rhythmus. Die Ecken und Kanten der Riffs werden allmählich deutlicher und daraus heraus kristallisiert sich ein wunderschön gedehntes, irgendwie kontrapunktierendes Solo, wie es einst mein guter alter Freund Diego Bizarro bei Ivy Garden Of The Desert so meisterlich zu spielen verstand. Wer "Enchanting Odyssey" kennt, der weiß, was ich meine. Hier wirkt das Zusammenspiel des repetitiven und eintönigen Gesangs im Kontrast zu der Intensität der Licks ganz besonders eindrücklich, eine echte Bewusstseinserfahrung auch ohne Worte.
"Ghost Town", die Geisterstadt, schließt zunächst den Kreis zum spacigen Intro, nimmt die sphärischen Klänge auf und entwickelt mit dem Titel entsprechenden, mystischem Gesang einen gespenstisch wirkenden Raum, den schon Black Sabbath besucht haben könnten. Der Song hat einen klassischen Spannungsbogen, der auf ein krachendes Finale ausgerichtet ist. Genau das bekommen wir in einer heftigen Eruption, die dann aber sehr schnell ausklingt.
Es ist zum einen fantastisch, dass junge Musiker die guten alten Geister klassischer Rockmusik immer mehr wiederentdecken und darauf aufbauen, auch wenn damit heutzutage nur sehr selten Ruhm und Reichtum zu erringen sind. Vor allem begeistert mich, wie immer mehr weiße Flecken auf der Landkarte verschwinden, wie die unterschiedlichsten Menschen rund um den Erdball sich zu einer kulturellen Bewegung und einer besonderen Lebenseinstellung bekennen, mit denen die meisten von uns aufgewachsen sind. Meine nächste Besprechung wird mich übrigens nach Istanbul führen.
Fette Riffs, attackierende Rhythmen, mal krachend, mal doomig eingefangen. Stonus von der schönen Insel Zypern haben ein hoch dynamisches Konzept voller Energie und Intensität am Start und man darf hoffen, dass sie den Weg zu uns und auf die hiesigen Bühnen finden werden.
Line-up Stonus:
Kyriacos Frangoulis (vocals)
Pavlos Demetriou (lead guitar)
Nicky Ray (rhythm guitar)
Andreas Aristides (bass)
Kotsios Demetriades (drums)
Tracklist "Aphasia":
- Intro
- Awake
- Aphasia
- Mania
- Nadir
- Dead End
- Ghost Town
Gesamtspielzeit: 41:43, Erscheinungsjahr: 2020
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