Greg Anderson und Stephen O’Malley, diese beiden Namen stehen nicht nur für das US-Label Southern Lord, sondern auch für einige der dort erschienen Bands im Bereich des Doom im näheren und weiteren Sinne, an denen die beiden Musiker beteiligt sind. Im gleichen Jahr, wie das Label nämlich 1998, wurde auch Sunn O))), gegründet, die wohl bekannteste und als Vorreiter für das Genre angesehene Drone Doom-Band . Der Name Sunn O))) bezieht sich auf den Verstärkerhersteller Sunn, das O))) ist ein Dröhnzeichen. Außerdem ist es eine Anspielung auf die Band Earth (die Erde dreht sich bekanntlich um die Sonne). Hier gibt es keine erkennbaren Songstrukturen, sondern scheinbar unendlich ausufernde Klangbilder, die vor allem aus Rückkopplung bestehen. Konzerte, bei denen teilweise unter anderen Attila Csihar von den Black Metallern Mayhem als Vokalist dabei ist, haben den Ruf etwas Besonderes zu sein, eine außergewöhnliche Erfahrung. Von Atmosphäre, Nebel und Dröhnsounds, die sich körperlich auswirken, wird berichtet – was uns neugierig machte…
(Andrea)
Ich hatte ehrlich gesagt erwartet, dass sich nur eine Handvoll Hansels im Schlachter einfinden würde und das Ganze einen Charakter von offenem Proberaum bekommen würde. So war ich doch angenehm überrascht, dass so viele Fans anwesend waren, die sich im wahrsten Sinne des Wortes bedröhnen lassen wollten.
(Jens)
Doch zunächst eröffneten um 20 Uhr Big Brave. Das Trio aus Montreal spielt eine Mischung aus Doom, Sludge, Noise und etwas Post Rock/Grunge oder was auch immer. Lange schwerfällige Songs, bei denen der Drummer Zeit hat, sich den nächsten Schlag zu überlegen, der Gitarrist auf der linken Seite immer wieder fiese Attacken seinem tiefer gestimmten Instrument entlockt und die Gitarristin rechts neben Gewummer für zerbrechlich bis hysterisch wirkende Frauenstimme sorgt. Freundlich ist das Ganze natürlich nicht, sondern nihilistisch, verzweifelt und doch auf gewisse Weise faszinierend. Live entstand für mich ein wenig der Eindruck (verstärkt durch das Bühnenlicht) inmitten eines Gewitters zu stehen, das sich immer wieder entlädt. Brodelnd, mächtig und zwischendurch ertönt das Gekrächze einer Gewitterhexe, was teilweise (gewollt) stressig wirkte. Der Spuk war nach einer guten halben Stunde bereits vorbei, die Wolken verzogen sich und es sollte Nebel folgen.
(Andrea)
Mich erinnerte das Ganze an Daisy Chainsaw auf Valium. Das Ganze hatte was, konnte mich aber nicht restlos überzeugen. Irgendwie fehlte mir da was, etwas mehr, hmm, Apokalypse vielleicht???
(Jens)
Ganz, ganz viel Nebel sollte sogar folgen, der einsetzte als das Hallenlicht kurz vor 21 Uhr ausging. Dazu kam als Intro der Song "Black Sabbath" (nachdem von selbiger Band schon die Pausenmusik war…), was durchaus für unheimliche Stimmung sorgte. Doch diese sollte sich als deutlich harmloser erweisen als das was folgte…
Eine kapuzenverhüllte Gestalt (Fans wissen natürlich, dass es sich hierbei um Attila handelt) erschien im Nebel und begann mit einer tiefen Grabesstimme fremdartige Texte zu intonieren – und dies gefühlt minutenlang ohne dass es langweilig wurde. Langsam stiegen die Instrumente dazu ein, begannen unheilvoll zu dröhnen – nun waren sämtliche der Verstärker eingeschaltet – im Gegensatz zur Vorgruppe – (übrigens nur teilweise von der Firma Sunn…), vermutlich gegeneinander und übereinander gekoppelt. Schließlich ließen sich fünf Schemen im Nebel ausmachen, was in rotes Licht getaucht mich an eine Versammlung von Nazgul denken ließ – wären es neun gewesen wäre wohl für mich Hobbit eine Flucht ratsam geworden…
Ja, die ersten Minuten ließen mich an ein sinisteres Treffen von längst nicht mehr menschlichen Ringgeistern denken und das Dröhnen erschien mir wie die fühlbare Macht des finsteren Sauron, die mich durchdrang – wobei die Assoziationen mit "Herr der Ringe" meiner persönlichen Vorstellung entsprang, andere mögen ganz andere Ansichten erlebt haben.
Unabhängig von der individuellen Interpretation entstand ein besonderes Erlebnis durch die spürbaren Klänge, die sich auf den ganzen Körper auswirkten, kombiniert mit den gehörten Tönen und dem optischen Spiel aus Farbe und Nebel. Das war kein gewöhnliches Konzert, auch wenn Musik die Basis darstellte, sondern ein audiovisueller Eindruck, der auf das Publikum einwirkte. Die meisten standen ruhig, manche versuchten sich in synchronen Armbewegungen zu den auf der Bühne vollführten – mit der Zeit fielen mir, wenn ich mich mal umschaute um den auf mir lastenden Bann zu lockern, einige Zuschauer auf, die sich mitten in der Menge auf den Boden setzen. Folge des Druckes? Zum Genießen ohne Bilder? Ich habe mal kurz die Augen geschlossen, doch dann fehlte mir etwas, ich wollte sehen, was geschieht, obwohl da außer Schemen im Nebel eigentlich nichts war. Die Bewegungen der Musiker wirkten wie (oder waren?) in Zeitlupe – ich war mir schon bald nicht mehr sicher, ob ich meinen Sinnen trauen konnte. Als einer neben mir um 22 Uhr auf die Uhr seines Smartphones blickte, hatte ich das Gefühl, es wären bereits vier Stunden vergangen, nicht etwa, weil mir langweilig war, sondern aufgrund der extremen Intensität. Mittlerweile waren die verschiedenen Rottöne fahlem weiß und gelb gewichen, später gab es blau und lila, danach wiederholte sich das Farbspektrum. Die Soundwälle schwollen mal auf, mal ab, mal verließen die Gitarristen die Bühne, stellenweise ließ Attila seine Stimme erklingen. Für einen besonderen Akzent sorgte eine eingesetzte Posaune, die natürlich wie alles andere hier einen ganz eigenen Klang hatte – unwirklich, unheimlich, fremdartig.
Nach geschätzt 90 Minuten stellte ich einen merkwürdigen Zwiespalt fest: Einerseits war ich immer noch fasziniert und voll im Bann, andererseits keimten Gedanken in der Richtung auf, dass es hoffentlich nicht mehr lange dauern würde. Der Druck und die dadurch entstehende Anspannung machten sich bemerkbar. Doch mangels für mich erkennbarer Songstrukturen war kein Ende abzuschätzen. Als ich dachte, nun sei es gleich soweit, tauchte Attila mit einem Strahlenkranz am Kopf (sollte die Sonne symbolisieren???) auf und kurz darauf begann er zu kreischen, was mich etwas erschreckte, lag wohl an meinen mittlerweile angespannten Nerven. Irgendwie musste ich an außerirdische Riesenkäfer denken – auch diese Assoziation kann ich nicht rational erklären. So gelang Sunn O))) doch tatsächlich zum Finale noch einmal eine Steigerung, nachdem ich mich an den ’normalen' Dröhnzustand gewöhnt hatte. Kurz vor 23 Uhr war dann endgültig Schluss und die Musiker kamen ohne Maske/Umhang auf die Bühne, um sich vom Publikum zu verabschieden, wirkten nun menschlich und erfreut, einen gelungenen Auftritt hingelegt zu haben. Dieser war wirklich durch seine Intensität ein besonderes Erlebnis, das sich deutlich von anderen Konzerten abhob. Dieser Eindruck hallte nach als wir durch den Dunst nach draußen gingen… und auch später, auch wenn das Ganze schon recht speziell war. Wirklich, die im Vorfeld gelesenen Beschreibungen waren nicht übertrieben.
(Andrea)
Andrea hat das schon gut so zusammengefasst. Ich war zum Schluss aber auch irgendwie froh, dass es vorbei war. So genial das Ganze auch war, so fordernd, brutal, ja fast schon unerträglich schön war die Show. Ein tolles Konzert umschreibt die Sache aber schlecht. Ich würde es eher schon in die Ecke Kunstinstallation stecken. Und richtig geniale Kunst ist ja immer auch ein Stück weit verstörend.
(Jens)
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